1. Startseite
  2. Politik

OB-Wahl in Frankfurt: „Das A und O ist positive Bekanntheit“

Erstellt:

Von: Pitt v. Bebenburg

Kommentare

Spätestens am 26. März wird man wissen, wer im Römer als Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister arbeitet.
Spätestens am 26. März wird man wissen, wer im Römer als Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister arbeitet. © ROLF OESER

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder spricht kurz vor der Oberbürgermeister-Wahl in Frankfurt über die wachsende Bedeutung von Persönlichkeiten bei solchen Entscheidungen

Herr Schroeder, in Frankfurt wird am Sonntag eine neue Oberbürgermeisterin oder ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Spielt bei solchen Wahlen die Persönlichkeit eine wichtigere Rolle als die Parteizugehörigkeit?

Wir erleben schon seit langer Zeit eine starke Personalisierung von Wahlen, eigentlich bis hin zur Bundesebene.

Woran liegt das?

Personen tragen zur Reduzierung von Komplexität bei, sie können Vertrauen aufbauen und eine gewisse Sicherheit vermitteln. Hinzu kommt, dass durch die in Hessen seit 1992 vorgegebene Direktwahl der Bürgermeister Parteien strukturell geschwächt worden sind. Das können wir auch empirisch nachvollziehen. In Hessen hat sich seither die Zahl der parteiunabhängigen Bürgermeister verdreifacht. Die größte Partei in Hessen bei den Bürgermeistern ist mit Abstand die Partei der Parteiunabhängigen: 2021 lag sie mit 174 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor der SPD mit 117, der CDU mit 98 und den drei Grünen in Hessen.

Wie sieht das jenseits von Hessen aus?

Diesen Trend erleben wir überall, teilweise sogar in Großstädten. Der bekannteste Fall ist Köln, wo es seit 2015 mit Henriette Reker die erste Oberbürgermeisterin ohne Parteizugehörigkeit in einer Millionenstadt gibt. In Mainz, wo am Sonntag gewählt wird, liegt vor der Stichwahl auch ein Parteiunabhängiger vorne. Manchmal wird dieser Trend auch angetrieben durch Konflikte in den Parteien. Das ist in Kassel der Fall, wo Christian Geselle nach einem Zerwürfnis mit seiner Partei als unabhängiger Amtsträger antritt, auch wenn er als SPD-Mann in das Oberbürgermeisteramt gefunden hat.

Zerwürfnisse sind in Frankfurt nicht unbekannt. Die Wahl wird überhaupt erst nötig, weil SPD-Mann Peter Feldmann abgewählt wurde, nachdem sich auch seine Partei gegen ihn gestellt hatte. Belastet die Konstellation den neuen SPD-Kandidaten Mike Josef?

Die Causa Feldmann ist eine Belastung für Mike Josef. Er kann sich allerdings freischwimmen, wenn er deutlich macht, dass mit ihm ein Neuanfang möglich ist. Das hat er getan, indem er den Abwahlantrag mitgetragen hat. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die ihm wiederum ankreiden, dass er diese Abwahl von Feldmann mit befördert hat.

Bei den Grünen ist die Situation anders. Die Partei ist in Frankfurt seit Jahren stark, aber ihre Kandidatin Manuela Rottmann musste sich erst wieder bekannt machen, nachdem sie lange nicht mehr in Frankfurt gewesen ist. Kann sie den Bonus der Grünen mitnehmen?

Das A und O bei Direktwahlen ist eine positive persönliche Bekanntheit und eine Mobilisierungsfähigkeit über die eigene Partei hinaus. Für Rottmann kann die fehlende Dynamik über die Grünen hinaus zu einem Problem werden. Hinzu kommt, dass innerhalb der Grünen über diese Personalie gestritten wurde.

Genau die umgekehrte Konstellation kann man dann in Tübingen beobachten, wo Boris Palmer als Person sich seit Jahren anlegt mit seiner grünen Partei und deswegen oder trotzdem immer wieder gewählt wird, jetzt schon seit mehr als 15 Jahren.

Wenn man sich mit der eigenen Partei anlegt und gleichzeitig glaubhaft machen kann, dass man dies im Sinne der Sache tut und die gesamte Bürgergesellschaft adressiert, kann das auch die Attraktivität der eigenen Person fördern. Hinzu kommt der Amtsbonus, den in Frankfurt jetzt niemand hat. Rund 90 Prozent aller Amtsträgerinnen und Amtsträger auf der kommunalen Ebene werden wiedergewählt.

Mehr zu Wahl

Der Wahlhelfer findet sich im digitalen Dossier der FR zur OB-Wahl unter www.fr.de/ob-wahl

In dem Online-Dossier sind zudem die Positionen der Kandidierenden zu den acht Politikfeldern Klima, Verkehr, Sicherheit, Migration/Diversität, Wohnen, Bildung, Kultur und Soziales nachzulesen.

Die „OB-Talks“, das aufgezeichnete FR-Stadtgespräch und die Twitter-Interviews unserer Leserinnen und Leser stehen dort ebenfalls. dit

Die CDU hat seit langem Probleme, Oberbürgermeisterposten zu erobern, auch in Hessen. Sie diskutiert seit Jahren über die Frage, wie sie Großstadtpartei werden kann. Was müsste sie dafür erfüllen?

Sie braucht authentische Kandidatinnen und Kandidaten, die das Klima einer Großstadt widerspiegeln. Großstädte verstehen sich als Zentren des Fortschritts, der Vielfalt und Offenheit. Die Leute wollen Personen, die diesen Spirit verkörpern, und eher keinen Verwalter an der Spitze.

Ordnen Sie den Frankfurter CDU-Kandidaten Uwe Becker als Verwalter ein oder in die Rubrik kosmopolitische Dynamik?

Eher in die Gruppe der Verwalter. Aber auch dieser Typ Kandidat kann in einer bestimmten Situation gefragt sein, wenn Menschen den Eindruck haben, dass die Funktionsfähigkeit ihrer Stadt gefährdet ist. Darum geht es in Frankfurt etwa in der Diskussion über das Bahnhofsviertel, aber auch bei baulich-verkehrspolitischen Fragen. In Berlin sieht man, dass das funktionieren kann. Kai Wegner war kein Kandidat, der ins Bild dieser dynamischen Großstadt passt, aber er hat die Funktionsfähigkeit der Stadt zum Thema gemacht. Nun deutet sich eine Regierungsübernahme durch seine CDU an.

Trotz der allgemeinen Tendenz zur Parteiunabhängigkeit konzentriert sich in Frankfurt die Aufmerksamkeit auf die parteigebundenen Personen, so sieht es auch in einer Umfrage aus. Woran liegt das?

Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass diejenigen, die gewählt werden, auch die Dinge beherrschen und in ihrem Sinne realisieren können. Zählkandidaten aus der Bürgerschaft findet man interessant, und da gibt es auch lokale und milieubedingte Anhängerschaften. Ihnen fehlt dann doch das umfassendere Mobilisierungsfeld, also die Parteien. Und im Hinblick auf die Führung des großen Ganzen genießen sie keinen Vertrauensvorschuss, solange es erfahrene und integere Kandidaten aus dem Umfeld der Parteien gibt. Sie haben eher das Image eines Augenblickspolitikers, der kurz auf einer großen Bühne auftritt. Sie inszenieren die eigene Singularität vor einem relativ großen Publikum, das sie sonst nie haben würden. Wie kleine Schauspieler.

Wolfgang Schroeder ist Politologe
Wolfgang Schroeder ist ein Politologe. © David Ausserhofer

Die Persönlichkeit spielt längst auch eine ausschlaggebende Rolle auf der Landesebene. Ob Winfried Kretschmann, Bodo Ramelow, Malu Dreyer oder Anke Rehlinger – alle konnten sich vom Trend ihrer Parteien deutlich absetzen. Was bedeutet das?

Wir beobachten auf der lokalen Ebene schon lange einen Prozess der Entparteilichung. Teilweise findet dieser Prozess für die jeweils regierende Koalition seine Fortsetzung auf Landesebene. So spielt der Amtsbonus bei Landtagswahlen eine enorme Rolle. Kaum jemand ist auf Landesebene bekannt außer dem Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin. Die von Ihnen genannten Landesfürstinnen und -fürsten haben schon ihren jeweils sehr eigenen Stil, dem sich die jeweiligen Parteien klug angepasst haben.

Also wird auch die Hessenwahl im Oktober vor allem eine Persönlichkeitswahl zwischen Ministerpräsident Boris Rhein, seinem Stellvertreter Tarek Al-Wazir und der Bundesinnenministerin Nancy Faeser?

Davon ist auszugehen. Nancy Faeser wird in diesem Dreikampf nur eine Chance haben, wenn Kandidatin und Partei eine Einheit bilden. Die Partei dient der Kandidatin auf ihrem Weg zur Macht und im Gegenzug partizipiert die Partei an der Machtverteilung. Erfolgreich praktiziert im Modell von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz.

Das ist auch das traditionelle Modell der CDU. Oder der hessischen Grünen, die einst eine rebellische Partei ohne Personenkult und ohne lange Amtszeiten sein wollten.

Das hat sich verändert. Die Grünen in Hessen haben sich von einer Gesinnungs- zu einer machtbewussten Gestaltungspartei gewandelt. Das ist ihre Stärke und gleichzeitig natürlich ein bisschen auch ihre Schwäche, weil sie damit gegenüber den Aktivisten der Ökobewegung wenig Attraktivität und Bindefähigkeit erreichen. Aber mit jedem Schritt, den sie gegenüber den Aktivisten an Integrationskraft verlieren, gewinnen sie Integrationskraft in der Mitte.

Auch interessant

Kommentare