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Das Schweigen brechen: Spanisches Gesetz soll die Diktatur Francos aufarbeiten

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Von: Clara Gehrunger

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Ein Gesetz soll in Spanien zur Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Francos Diktatur beitragen. Lange fand die Vergangenheitsbewältigung überhaupt nicht statt.

Sie sind in ganz Spanien zu finden, teilweise seit mehr als 80 Jahren, aber ihre Existenz wird oft verschwiegen. Lange gehörten die Massengräber zu den Themen, die in der spanischen Zivilgesellschaft ebenso wie in der Regierung als Tabu galten. Die genaue Zahl der Gräber ist nicht bekannt. Der Verband für historische Erinnerung (ARMH) geht davon aus, dass darin über 114 000 Menschen begraben liegen – Verschwundene aus dem spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur.

Bisher sind es Familienangehörige und Verbände, die sich um Exhumierungen der Massengräber kümmern, nur teilweise mit finanzieller Hilfe vom Staat. Das soll sich nun ändern. Ein neues Gesetz zur Aufarbeitung der Vergangenheit soll im August den Ministerrat passieren und noch im Herbst in Kraft treten. Im Gesetzentwurf der sozialistischen Vizepräsidentin Carmen Calvo zur „demokratischen Erinnerung“ sind weitreichende Schritte geplant, um die Unterdrückung aufzuarbeiten, die große Teile der Bevölkerung unter den Franquisten erlebt haben.

Diktatur in Spanien: Exhumierung von Francos Opfern

Ein Aspekt ist die vonseiten des Staats organisierte Exhumierung von Massengräbern. Nach Einschätzung des Forensikers Francisco Etxeberria, der die Regierung bei dem Gesetzesvorhaben berät, könnten in knapp fünf Jahren bis zu 25 000 Opfer geborgen werden. Dabei gibt es auch Rückschläge. In der Gemeinde Monòver (Alicante) werden die Skelette von 26 Menschen vermisst*. Ulrike Capdepón, die zur Aufarbeitung der Vergangenheit in Spanien forscht, erkennt in den generellen Bemühungen auch einen symbolischen Wert. Sie hat selbst bereits an Exhumierungen in Spanien teilgenommen und bestätigt die Metapher, „dass mit der Ausgrabung von Massengräbern das gesellschaftliche Schweigen durchbrochen wird“.

So erzählten Angehörige, meistens Frauen, bei der Gelegenheit teilweise zum ersten Mal von ihren Erfahrungen mit Repressionen, beispielsweise von Enteignung und gesellschaftlicher Marginalisierung. Zurückzuführen ist das Schweigen auf den spanischen Bürgerkrieg, der die Spanierinnen und Spanier polarisierte. „Der Bürgerkrieg war ein Krieg, der durch die gesamte Gesellschaft ging“, erklärt Capdepón. So habe die Spaltung auch Familien entzweit, was sich bis heute auswirke. Die Faschisten töteten systematisch vor allem Männer aus dem republikanischen Lager, deren Frauen drängten Francos Anhänger an den Rand der Gesellschaft.

Auch symbolisch wichtig: Aus Massengräbern auf dem Berg Estepar bei Burgos werden die Überreste von dort verscharrten Menschen geborgen.
Auch symbolisch wichtig: Aus Massengräbern auf dem Berg Estepar bei Burgos werden die Überreste von dort verscharrten Menschen geborgen. © Cesar Manso/afp

Diktatur in Spanien: Francos Grab eine Kultstätte für seine Anhänger

Während Franco nach dem Krieg seine getöteten Anhänger aus den Massengräbern bergen und ordentlich beerdigen ließ, blieben die republikanischen Toten anonym vergraben. Der Diktator befahl den Bau einer prächtigen Basilika in den Bergen Madrids. Es waren republikanische Zwangsarbeiter, die das sogenannte Tal der Gefallenen erbauten, dessen Verwaltung in den Händen eines Benediktinerordens liegt. Ein Ort, an den über die Jahre der Diktatur zahlreiche Massengräber umgebettet wurden, so dass er als größtes Massengrab Spaniens gilt.

Besucher der Basilika bekommen von all dem nichts mit, es fehlt jeglicher Hinweis. Stattdessen war das Tal schon während der Diktatur eine Kultstätte für Franquisten. Nach seinem Tod wurde Franco prominent in der Basilika beerdigt. Jährlich versammelten sich dort daraufhin Tausende Anhänger an seinem Todestag. Vor zwei Jahren ordnete die sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez die Umbettung Francos an.

Spanien: Die Rolle der Kirche in Francos Diktatur

Im neuen Gesetz ist vorgesehen, das Tal der Gefallenen zu einem Ort der demokratischen Bildung und Erinnerung umzufunktionieren. Ein schwieriges Unterfangen, so Capdepón, „weil weiterhin franquistische und katholische Symbolik überdimensional präsent sind“. Insgesamt spiele die katholische Kirche eine wichtige Rolle im Kampf um den Umgang mit der Vergangenheit: „Die Kirche war von Anfang an eine tragende Säule der Diktatur und verweigert sich der Aufarbeitung“, berichtet Capdepón.

In Spanien ein echtes Problem, denn die Kirche erfreut sich eines recht großen Einflusses auf die Bildung. Neben den staatlichen erfahren private katholische Schulen einen deutlichen Zuspruch: Laut der spanischen Onlinezeitung „eldiario.es“ waren im Jahr 2017 mehr als 2500 schulische Einrichtungen in kirchlicher Hand. Die Aufarbeitung der Repressionen war im Geschichtsunterricht allerdings bisher auch an staatlichen Schulen meist Mangelware. Ein Berichterstatter der Vereinten Nationen, Pablo de Greiff, kritisierte 2014 nach einer entsprechenden Untersuchung, dass die Diktatur und der Bürgerkrieg im spanischen Schulunterricht kaum thematisiert würden und forderte Reformen.

Anders als sein Vorgänger von 2007 enthält das neue Gesetz deswegen planmäßig Vorgaben für den pädagogischen Bereich. Dazu gehört, dass die Unterdrückung während Bürgerkrieg und Diktatur eine größere Rolle im Lehrplan spielen soll. Außerdem sind Gespräche mit Zeitzeugen an Schulen und neue Lehrmaterialien zu dem Thema vorgesehen. Darauf angesprochen, betont Ulrike Capdepón, für die Aufarbeitung einer gewaltsamen Vergangenheit spiele die Bildung eine fundamentale Rolle. Aus Angst vor Konflikten würden viele Lehrkräfte die neuere Vergangenheit Spaniens nicht ansprechen.

Spanien: Die Aufarbeitung von Francos Diktatur

Zu dieser neueren Vergangenheit gehört auch der Übergang zur Demokratie, den König Juan Carlos nach dem Tod Francisco Francos einleitete. Statt einer Abgrenzung von der Diktatur verabschiedete das Parlament 1977 ein Amnestiegesetz, das strafrechtliche Maßnahmen wegen aller zuvor begangener politischer Straftaten verhindert, und das noch heute gilt.

Das Amnestiegesetz ist gesellschaftlich umstritten: Einerseits wird es oft als notwendiger Schritt der „Transición“ angesehen, um das neue System zu stabilisieren und politische Gefangene zu befreien. Dabei spielte vor allem die Angst vor einem Putsch und einer daraus folgenden Rückkehr zur Diktatur eine tragende Rolle. Andererseits verhinderte es einen gesellschaftlichen Neuanfang. „Es gab keinen klaren Bruch mit der Vergangenheit, sondern in gewisser Weise eine steile Kontinuität“, fasst Capdepón zusammen. Auch im neuen Gesetz zur „demokratischen Erinnerung“ bleibt die Generalamnestie unberührt.

Franco-Diktatur in Spanien: Neues Gesetz ein wichtiger Schritt

Eine vollständige Aufarbeitung der Vergangenheit verspricht das neue Gesetz von Vizepräsidentin Calvo also nicht. Trotzdem sieht Ulrike Capdepón darin „einen guten Vorstoß mit einigen notwendigen Schritten“. Für die Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Aufarbeitung findet die Expertin klare Worte: „Wenn Nachfolgeregime sich nicht eindeutig von einer Gewaltvergangenheit distanzieren, können sie demokratische Werte nicht glaubwürdig vermitteln.“

Für das neue Gesetz zur Aufarbeitung durften Bürgerinnen und Bürger Ende Juni 15 Tage lang Vorschläge und Ideen einreichen, mehr als 400 nutzten die Möglichkeit. Spanischen Medienberichten zufolge nahmen viele davon Bezug auf die Massengräber und die darin Begrabenen. In der Zivilgesellschaft nimmt das Bedürfnis zu, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.

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