Dänemarks digitale Geheimdienst-Posse

Die sozialdemokratische Regierung schlingert sich durch einen Online-Spionageskandal.
Dass Dänemarks Justiz einen heimischen Geheimdienstchef im dritten Monat wegen Verdacht auf Landesverrat bei totaler Geheimhaltung der Gründe hinter Gittern hält, reicht schon für dicke Schlagzeilen: Könnte der hochangesehene Karrierebeamte Lars Findsen tatsächlich Staatsgeheimnisse an feindliche Mächte verraten oder gar verkauft haben? Jetzt wird noch eins draufgesetzt: Ex-Verteidigungsminister Claus Hjort erfuhr an der Haustür, dass auch er Gegenstand von Ermittlungen als mutmaßlicher Landesverräter sei.
Der durch Immunität geschützte Abgeordnete ist nicht in Haft, muss aber wie Findsen zu den Vorwürfen komplett schweigen. Dabei sind sich alle rund um den Parlamentssitz „Borgen“ ziemlich einig, dass beiden im Kern die öffentliche Bestätigung von illegaler Massenüberwachung des Internetverkehrs im Dienst des US-Geheimdienstes NSA vorgeworfen wird.
In Kopenhagens Polit-Geschäft findet man keine ausgebuffteren Profi als Hjort. Nach dem ersten Schock angesichts möglicherweise bis zu zwölf Jahren Haft teilte er selbstbewusst auf Facebook mit, er habe die Unterlagen eingesehen: „Sie werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet, sind es aber nicht. Es geht nur um Artikel und Debatten, die öffentlich gelaufen sind. Da ist nichts mit falschen Bärten und getönten Brillen.“
Die Äußerung vergewisserte viele, dass es wohl auch bei den Vorwürfen gegen Findsen um seinen Umgang mit den Medien gehen muss. Umgekehrt war den Behörden offenbar erst per Spätzündung klar geworden, dass der schon inhaftierte Geheimdienstchef im Wesentlichen nur dasselbe getan hatte wie der Ex-Minister. Folglich musste man sich auch Hjort vornehmen.
Findsen sorgte bei beiden Haftterminen für mediale Aufmerksamkeit, wie man das eher von russischen Prozessen gegen Oppositionelle in Käfigen kennt: Nach dem ersten rief er im Hinausgehen der wartenden Presse zu: „Das hier ist vollkommen wahnsinnig. Damit könnt ihr mich zitieren.“ Beim zweiten machte ihm ein Bewacher solche Kontaktaufnahme unmöglich. Stattdessen zeigte der U-Häftling ein mitgebrachtes Buch mit dem Titel „Alles Licht, das wir nicht sehen“. Das altehrwürdige Blatt „Berlingske“ mutmaßte, damit habe Findsen eine „möglicherweise versteckte Botschaft“ über seine Rolle als im Blinden tappende Hauptperson übermitteln wollen. Selten ist derart Bizarres aus Kopenhagen zu berichten.
Der lokale Sprecher von Transparency International, Jesper Olsen, zeigte sich bei TV2 offensichtlichst irritiert: „Sonst steckt man Geheimdienstchefs unter strengster Geheimhaltung nur in Ländern hinter Gitter, mit denen wir lieber nicht verglichen werden möchten.“ Der liberale Abgeordnete Henrik Dahl will sich der Aufhebung der Immunität von Hjort verweigern: „Die Sache ist derart absurd, dass man einen Politiker deshalb doch nicht anklagen kann.“
Über eine Anklageerhebung entscheidet am Ende der Justizminister. Das wird nicht leicht für den Sozialdemokraten Nick Hækkerup. Die Regierung seiner Parteikollegin Mette Frederiksen hat jedenfalls die Chance verpasst, etwaige zu aktive Medienkontakte ihres Spionagechefs per Versetzung zum Amt für die Straßenbeleuchtung zu sanktionieren, wie sonst üblich. Auch hat die Geheimniskrämerei erst recht einen Verdacht mit extremer politischer Sprengkraft bestärkt: Dass hinter den Ermittlungen gegen Findsen die ausgesprochen machtbewusst agierende Regierungschefin selbst steht.
Vielleicht war es ja auch ihre Idee, dass beide aktuellen Geheimdienstchefs alle wichtigen Medien in Kopenhagen aufsuchten, um vor Berichterstattung über alles Nachrichtendienstliche zu warnen. Was die Besuchten öffentlich als Drohung und also die Pressefreiheit betreffend einstuften. Nach allzu tölpeligem Krisenmanagement in Sachen Geheimdienst ließ Frederiksen Verteidigungsministerin Trine Bramsen dann in der vergangenen Woche ins ruhigere Transportministerium wechseln. Der politische Gesamtpreis für die sozialdemokratische Ein-Parteien-Regierung kann noch erheblich steigen.