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DAAD-Präsident: „Wir sollten China besser kennen und besser verstehen“

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Von: Peter Hanack, Jakob Maurer

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„Es ist in unserem Interesse – auch im politischen –, mit möglichst vielen Wissenschaftssystemen dieser Welt zu kooperieren“, sagt Muhkerjee im FR-Interview. Foto: Christoph Boeckheler-
„Es ist in unserem Interesse – auch im politischen –, mit möglichst vielen Wissenschaftssystemen dieser Welt zu kooperieren“, sagt Muhkerjee im FR-Interview. Foto: Christoph Boeckheler- © christoph boeckheler*

Joybrato Mukherjee vom Deutschen Akademischen Austauschdienst schildert die Zeitenwende in der wissenschaftlichen Welt und wirbt für mehr Kooperation mit China – auch in Form von China-Zentren.

Herr Mukherjee, seit einem Jahr hat die deutsche Wissenschaft als Reaktion auf den russischen Angriff auf die gesamte Ukraine Verbindungen nach Russland gekappt. Wie ist die Situation?

Wir haben als DAAD am ersten Tag des russischen Überfalls deutlich gemacht, dass unsere Aufgabe darin besteht, die Ukraine umfassend zu unterstützen. Am 25. Februar hat der DAAD dann auf drei Ebenen die Kontakte nach Russland ausgesetzt: Erstens haben wir seither keine politischen Kontakte mehr, etwa zu russischen Ministerien, zweitens keine institutionellen Kontakte, etwa zwischen Hochschulen, und drittens keine Mobilitätsförderung mehr von Deutschland nach Russland, weil das automatisch einen Mittelzufluss nach Russland bedeuten würde. Das haben wir allein und selbstbestimmt so beschlossen, weil wir es für moralisch und außenwissenschaftspolitisch für geboten hielten und weiterhin halten.

Von Russland nach Deutschland gibt es aber weiterhin Bewegung.

Ja, auf der vierten Ebene halten wir die Türen offen. Individuelle akademische Mobilität von Russinnen und Russen nach Deutschland soll weiter möglich sein. Und die Russinnen und Russen, die bei uns auf den Hochschulcampi sind, sind weiter willkommen und sollen in Studium und Forschung gefördert werden. Vor dem Überfall hatten wir etwa 10 500 russische Studierende. Und diese Zahl dürfte sich so massiv gar nicht reduziert haben, weil wir von Anfang an gesagt haben, dass wir russische Studierende natürlich nicht exmatrikulieren – anders als es die russische Staatspropaganda behauptet.

Was der DAAD betreibt, nennt man auch Außenwissenschaftspolitik, gab es auch hier eine Zeitenwende?

Es ist so wie in allen Sphären der Politik: Diese Zeitenwende – wir benutzen diesen Scholz’schen Begriff für den Moment – bezieht sich auf den 24. Februar als für alle sichtbaren, nicht mehr ignorierbaren Kipppunkt in der Geschichte. Die Dinge sind aber schon vorher gekippt, auch wenn wir es noch nicht wahrhaben wollten. Nicht nur in der Verteidigungs- und Energiepolitik.

Wann hat das in der Wissenschaftspolitik angefangen?

Schon in den Nuller- und Zehnerjahren sind viele Dinge in Bewegung geraten. Selbst im europäischen Hochschulraum agierten manche Staaten schon in den vergangenen Jahren nicht vollständig auf unserem Wertefundament, sondern auf eine Art und Weise, dass wir sagen würden, das hat nicht viel mit Wissenschaftsfreiheit zu tun. Ein anderes Beispiel ist Chinas Aufstieg und sein Anspruch, 2049 die führende Wissenschaftsnation der Welt zu sein.

Sehen Sie einen Konflikt, wenn politische Entwicklungen auf diesen globalwissenschaftlichen Ansatz Einfluss nehmen?

Sie gehen also davon aus, dass zu normalen Zeiten Wissenschaft Wissenschaft ist und Politik Politik?

Ja, oder täuscht das?

Wir haben in Deutschland in der Tat eine starke Tradition einer weitreichenden Wissenschaftsfreiheit. Sie ist vom Grundgesetz Artikel 5 geschützt. Das ist in anderen Staaten dieser Welt leider nicht der Fall. Aber mit allen Staaten dieser Welt müssen wir, wenn es irgendwie geht, zusammenarbeiten, weil wir viele gemeinsame Herausforderungen haben. Deswegen ist es in unserem Interesse – auch im politischen –, mit möglichst vielen Wissenschaftssystemen dieser Welt zu kooperieren, um zum Beispiel Fragen des Klimawandels gemeinsam zu adressieren.

Sie fordern, dass sich die deutsche Außenwissenschaftspolitik angesichts der zunehmenden Systemrivalität in der Welt stärker als Teil von Deutschlands Sicherheitspolitik sehen muss. Was hat Wissenschaft mit Sicherheitspolitik zu tun?

Was die Außenwissenschaftspolitik leistet, ist nicht folkloristisches Beiwerk unserer Außenpolitik. Ganz im Gegenteil: Was in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik getan wird, ist unmittelbar relevant für die Sicherheit. In der Nationalen Sicherheitsstrategie, die die Bundesregierung gerade erstellt, wird es um einen umfassenden Sicherheitsbegriff gehen. Das schließt ein, dass auch Bereiche wie die Wissenschaft zu einer Sicherheitserhöhung beitragen.

Zur Person

Joybrato Mukherjee (49) ist seit 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Der habilitierte Anglist ist zudem seit 2009 Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen. FR

Wie kann die Wissenschaft das tun?

Indem wir beispielsweise die Ukraine unterstützen. Es geht ja nicht nur um Panzerhaubitzen und Kampfpanzer. In der Ukraine ist man dankbar für die akademische Soforthilfe, in Form von Stipendien, digitalen Programmen oder Förderprogrammen. Der Blick dort geht weit über den Tellerrand des Krieges hinaus. In der Ukraine will man auch in der Wissenschaft den Weg Richtung Westen antreten. Wenn wir hier Brücken bauen, dann verstärkt das auch die Sicherheit in Europa.

Eine weitere Krise droht im Verhältnis mit China. Ist ein möglicher Angriff auf den Inselstaat Taiwan die rote Linie oder muss die deutsche Wissenschaft schon jetzt die Zusammenarbeit überdenken?

Volksrepublik China und Taiwan ist nicht das gleiche wie Russische Föderation und die Ukraine. Schon völkerrechtlich nicht. Wir akzeptieren in der Außenpolitik seit Jahrzehnten die Ein-China-Politik.

Dennoch, die Drohungen aus China gegen Taiwan werden immer lauter.

Ja, es könnte auf die gewaltsame Änderung eines fragilen Zustands, den wir schon seit Jahrzehnten haben, hinauslaufen. Das will niemand, auch wir nicht in der Wissenschaft. Wir als DAAD sind allerdings über die Entwicklung in der Volksrepublik China nicht überrascht, auch Historiker sind das nicht. Wir haben oftmals im Westen die Fehlwahrnehmung, China steige auf. Das ist nicht die chinesische Wahrnehmung: China kehrt zurück an den Platz, den es Jahrhunderte lang hatte. China hat den Anspruch, die multipolare Ordnung maßgeblich zu beeinflussen, und das kann keiner verweigern. Deswegen müssen wir ganz nüchtern sagen, dass wir mit China den Austausch pflegen müssen. Auch wenn es Werteunterschiede gibt.

Dann sind wir beim Stichwort Außenwissenschaftsrealpolitik.

Genau. Wir müssen uns immer wieder fragen, wie weit man gehen kann, soll und darf, inwieweit die Kooperationsbedingungen verantwortbar sind. Aber immer unter der Überschrift, so viel wie möglich mit möglichst vielen Staaten dieser Erde zusammen zu machen. Russland ist jetzt ein Sonderfall. Davon sollten wir nicht ableiten, wie wir mit allen anderen herausfordernden Ländern umgehen.

Ein Streitthema im Verhältnis mit China sind Konfuzius-Institute an deutschen Universitäten. Mahnende Stimmen, auch der DAAD, sehen darin mögliche Einfallstore für Spionage und Staatspropaganda. Muss etwas getan werden?

Es waren bislang 19 Hochschulen in Deutschland, die Konfuzius-Institute bei sich haben. Zwei sind nun aus dem Programm ausgestiegen. Die Verträge unterscheiden sich voneinander, deswegen kann man nicht pauschal urteilen. Aber wenn China die finanziellen Mittel, etwa für das Personal, zur Verfügung stellt, oder bei den Lehrmaterialien und -plänen mitbestimmt, sind das Abhängigkeitsverhältnisse, die man kritisch sehen kann. Doch die Schlussfolgerung kann nicht sein: Wir stampfen das ein. Denn dann bilden wir noch weniger China-Kompetenz in Deutschland aus.

Kalligrafieunterricht an einem von China betriebenen Konfuzius-Institut in Russland. DAAD-Präsident Mukherjee spricht sich dafür aus, in Deutschland China-Zentren vorrangig mit deutschem Steuergeld zu finanzieren. Foto: Imago Images.
Kalligrafieunterricht an einem von China betriebenen Konfuzius-Institut in Russland. DAAD-Präsident Mukherjee spricht sich dafür aus, in Deutschland China-Zentren vorrangig mit deutschem Steuergeld zu finanzieren. Foto: Imago Images. © Imago

Was schlussfolgern Sie?

Ganz konkret sollte man den Hochschulen anbieten: Wir bauen China-Kompetenz mit deutschen Steuermitteln auf und gehen vielleicht auch über die 19 – oder demnächst 17 – Hochschulen hinaus.

Das heißt, Sie fordern Konfuzius-Institute in anderem Gewand?

China ist – noch – das bevölkerungsreichste Land der Welt. Wir sprechen von einem sehr starken und immer stärker werdenden Wissenschaftssystem. Wir sollten das Land besser kennen, besser verstehen, die Sprache besser lernen. Deswegen brauchen wir unabhängige China-Zentren oder gar China-Häuser, ähnlich wie einst die Amerikahäuser – die allerdings von den USA betrieben wurden – nach dem Zweiten Weltkrieg. Es liegt in unserem nationalen Interesse, das zu tun, nicht weil wir China einen Gefallen tun wollen.

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