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Coronavirus in Spanien: Viele Tote in Altenheimen - wurden die Alten bewusst vernachlässigt?

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Von: Martin Dahms

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Besuch mit Sicherheitsabstand: Angehörige und Bewohnerinnen eines Pflegeheims bei Madrid.
Besuch mit Sicherheitsabstand: Angehörige und Bewohnerinnen eines Pflegeheims bei Madrid. © Marta Fernández Jara/EUROPA PRE

In Spanien waren vier von fünf Covid-19-Opfern alte Menschen in Heimen. Hinterbliebene machen Behörden verantwortlich.

Mari Carmen Porcel erinnert sich mit Grauen: „Die ganze Woche lang rang unsere Mutter mit dem Tode, ohne Sauerstoff zu bekommen“, erzählt sie. Die Mutter lag in einem Altersheim in Sant Joan Despí, einem Vorort von Barcelona. Am 14. März, an dem Spanien in die Quarantäne geschickt wurde, zeigten sich bei Porcels Mutter erste Symptome einer Coronavirus-Infektion, acht Tage später wurde sie endlich ins Hospital gebracht. „Es dauerte sechs Stunden, bis der Krankenwagen kam“, erinnert sich die Tochter. Zwei Tage später starb ihre Mutter.

Spanien hat erste Corona-Welle hinter sich

Spanien hat das Schlimmste der ersten Covid-19-Welle gerade hinter sich, das Land tastet sich langsam in den Alltag zurück. Nach der Statistik des Gesundheitsministeriums sind gut 27 000 Menschen der Krankheit erlegen, schaut man auf die Übersterblichkeitsstatistik, waren es wohl noch Tausende mehr. In Spaniens Altenheimen starben nach den Zahlen der 17 Regionalregierungen knapp 20 000 Menschen. Dass die Altenheime die Todesfalle Nummer 1 waren, bezweifelt niemand.

„Es waren 25 oder 26 Tage Hölle“, sagt Cinta Pascual, die Präsidentin des Unternehmerkreises Personenbetreuung (CEAPs), Spaniens größtem Verband privater Altenheime. Der Verband hat einen 45-seitigen Bericht zur Lage in den Heimen während der Hochphase der Epidemie in Spanien vorgelegt. „Es war ein Horror. Es gab keinen Sauerstoff, keine Tests, kein Schutzmaterial“, sagte sie der Madrider Zeitung El Mundo. „Wir hatten Verstorbene, die niemand aus den Heimen abholte, weil die Bestattungsunternehmen keine Schutzausrüstung für ihre Mitarbeiter hatten.“

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Der schlimmste Verdacht aber ist, dass den alten Leuten in den Heimen der Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung verwehrt wurde. „Auch wenn sich nicht zeigen lässt, dass es einen systematischen Ausschluss von der Notfallbetreuung in den Kliniken gab“, sagt Pascual, habe sie doch den Eindruck, dass genau dies im März und April die „wiederholte und beständige Handlungsweise“ der Gesundheitsbehörden gewesen sei. Die CEAPs-Präsidentin will nicht spekulieren, ob und wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, aber sie ist sicher, dass „unter normalen Umständen ein hoher Anteil der Bewohner, die im Heim gestorben sind, zur Notaufnahme der Krankenhäuser gebracht worden wären.“

Spanien: Fast 200 Ermittlungsfälle zu Corona-Todesfällen

Den Eindruck der bewussten Vernachlässigung der Alten in Heimen teilen etliche Angehörige von Verstorbenen, die deshalb Anzeige erstattet haben. Spaniens Generalstaatsanwaltschaft zählt 191 Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung, davon allein 81 in der Region Madrid und 33 in Katalonien. Die für die Altenheime zuständigen Regionalregierungen fühlen sich zu Unrecht unter Verdacht. „Zu keinem Zeitpunkt wurde die Überweisung von Heimbewohnern an die Krankenhäuser unterbunden“, sagt etwa Verónica Casado, Gesundheitsministerin von Kastilien und León.

Die Hospitäler standen unter enormem Druck, es war sehr früh klar, dass sich die Ärzte nicht um alle kümmern konnten. Dass aber möglicherweise die Unterbringung der Infizierten – zu Hause oder im Heim – über Behandlung oder Nichtbehandlung entschied, hält selbst der Madrider Sozialminister Alberto Reyero für „wenig ethisch und wohl auch illegal“. Wegen der Corona-Pandemie gibt es bei Regionalwahlen in Nordspanien strenge Auflagen.

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