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Intensivmediziner Janssens: Bei Triage müssen Mediziner entscheiden

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Von: Katja Thorwarth

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Das Bundesverfassungsgericht gibt eine Entscheidung zum Thema Triage in der Corona-Krise bekannt. Doch juristische Regelungen haben Grenzen, sagen Experten.

Update vom Mittwoch, 29.12.2021, 07.45 Uhr: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage gehen die Diskussionen weiter. So hat der Intensivmediziner Uwe Janssens auf die Grenzen juristischer Regelungen verwiesen. Kein Gesetz der Welt könne das abbilden, was sich an einem Krankenbett abspielt, sagte der ehemalige Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) am Dienstag in den ARD- „Tagesthemen“.

Dem Behandlungsteam müsse das Vertrauen ausgesprochen werden, dass es Befunde zusammenführt und daraus eine klinische Erfolgsaussicht ableitet. Die Divi habe immer darauf hingewiesen, „dass bei Priorisierungsentscheidungen am Krankenbett die Behinderung oder das Alter keine Rolle spielen dürfen“. 

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte nach dem Urteil erklärt, der Gesetzgeber dürfe es nicht mehr den medizinischen Fachgesellschaften überlassen, Leitlinien für den Fall einer Triage aufzustellen.
 

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage gehen die Diskussionen weiter.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage gehen die Diskussionen weiter. © Peter Kneffel/dpa

Triage: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht fest

+++ 9.50 Uhr: Der Bundestag muss „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer sogenannten Triage treffen. Das Bundesverfassungsgericht teilte am Dienstag in Karlsruhe mit, aus dem Schutzauftrag wegen des Risikos für das höchstrangige Rechtsgut Leben folge eine Handlungspflicht für den Gesetzgeber. Diese habe er verletzt, weil er keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen habe. Er müsse dieser Pflicht in Pandemiezeiten nachkommen. Bei der konkreten Ausgestaltung habe er Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum. (Az. 1 BvR 1541/20)

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb „trier“, das „sortieren“ oder „aussuchen“ bedeutet. Es beschreibt eine Situation, in der Ärzte entscheiden müssen, wen sie retten und wen nicht - zum Beispiel, weil so viele schwerstkranke Corona-Patienten in die Krankenhäuser kommen, dass es nicht genug Intensivbetten gibt. Neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen haben Verfassungsbeschwerde eingereicht. Sie befürchten, von Ärzten aufgegeben zu werden, wenn keine Vorgaben existieren. Das höchste deutsche Gericht gab ihnen nun Recht. Niemand dürfe wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt werden.

Bundesverfassungsgericht: Gesetzgeber muss Menschen mit Behinderung bei Corona-Triage schützen

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hat mit anderen Fachgesellschaften „Klinisch-ethische Empfehlungen“ erarbeitet. Die Klägerinnen und Kläger sehen die dort genannten Kriterien mit Sorge, weil auch die Gebrechlichkeit des Patienten und zusätzlich bestehende Krankheiten eine Rolle spielen. Sie befürchten, aufgrund ihrer statistisch schlechteren Überlebenschancen immer das Nachsehen zu haben. Das Verfassungsgericht erläuterte, die Empfehlungen der Divi seien rechtlich nicht verbindlich und „kein Synonym für den medizinischen Standard im Fachrecht“. Zudem weist es auf die möglichen Risiken bei der Beurteilung hin, die sich aus den Empfehlungen ergeben könnten. Es müsse sichergestellt sein, „dass allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird“.

Der Gesetzgeber habe mehrere Möglichkeiten, dem Risiko einer Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Ressourcen wirkungsvoll zu begegnen, befand das Gericht. Als Beispiel wurden Vorgaben für ein Mehraugen-Prinzip bei Auswahlentscheidungen genannt oder Regelungen zur Unterstützung vor Ort. „Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, welche Maßnahmen zweckdienlich sind“, hieß es in der Mitteilung. Die Verfassungsbeschwerde ist schon seit Mitte 2020 in Karlsruhe anhängig. Damit verbunden war auch ein Eilantrag - den die Richterinnen und Richter des zuständigen Ersten Senats unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth allerdings abgewiesen hatten. Sie teilten damals mit, das Verfahren werfe schwierige Fragen auf, die nicht auf die Schnelle beantwortet werden könnten.

Triage in Corona-Pandemie: Bundesverfassungsgericht teilt Entscheidung mit

+++ 9.30 Uhr: Der Gesetzgeber muss „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer sogenannten Triage treffen. Er müsse in Pandemiezeiten der aus dem Grundgesetz folgenden Handlungspflicht nachkommen, teilte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe mit.

Bundesverfassungsgericht: Triage-Entscheidung steht bevor

Erstmeldung von Dienstag, 28.12.2021, 8.30 Uhr: Karlsruhe – Am Dienstag (28.12.2021) veröffentlicht das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Entscheidung zur Triage in Krankenhäusern wegen der Corona*-Pandemie (9.30 Uhr). Die behinderten oder chronisch kranken Beschwerdeführer wollen sicherstellen, dass sie im Fall knapper Plätze auf den Intensivstationen nicht benachteiligt werden. (Az: 1 BvR 1541/20)

Die sogenannte Triage* betrifft Situationen, in denen weniger Plätze oder Geräte zur Verfügung stehen, als für die Patienten erforderlich. Ärzte müssen dann entscheiden, welche Patienten beispielsweise ein Beatmungsgerät erhalten. Nach den hierfür bislang maßgeblichen „Empfehlungen“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin sind dabei die klinischen Erfolgsaussichten das entscheidende Kriterium. Die Beschwerdeführer fordern dagegen eine gesetzliche Regelung.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlicht eine Entscheidung zur Triage.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlicht eine Entscheidung zur Triage. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Bundesverfassungsgericht: Entscheidung zur Triage – Patientenschützer sehen Bundestag in der Pflicht

Auch Patientenschützer sehen den Bundestag in der Pflicht, Regelungen zur sogenannten Triage bei der Behandlung von Covid-19-Erkrankten festzulegen. „Die Bundestagsabgeordneten sind die einzigen, die demokratisch zu einer solchen Entscheidung legitimiert sind“, sagte hierzu der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der dpa.

Vor allem gehe es um die Frage, ob jemand vom Beatmungsgerät genommen wird. Die Regeln müssten in allen Krankenhäusern gleich sein, forderte Brysch. „Und lieber entscheidet das der Bundestag als Ökonomen.“ 

Entscheidung zur Triage in Zeiten von Corona: Nach welchen Kriterien wird entschieden?

Brysch erhoffte sich aus Karlsruhe eine klare Entscheidung, ob das Parlament hier Regeln beschließen muss - und am besten auch, anhand welcher Kriterien. Dabei gehe es vor allem um Dringlichkeit und Erfolgschancen. Daraus ergebe sich oft ein Konflikt, machte der Patientenschützer deutlich: „Bei jemandem, der dringend eine Therapie braucht, sind die Erfolgsaussichten meist nicht am größten.“

Während Dringlichkeit recht gut anhand von Daten zu begründen sei und in der Regel das angewandte Kriterium - etwa bei Organspenden -, könne Erfolg ganz unterschiedlich beurteilt werden: „Definieren wir Erfolg aus Sicht des Betroffenen, des Arztes, der Klinik, der Familie oder der Bevölkerung?“, listete Brysch auf. Er warnte davor, sich bei der Beurteilung nur auf den Faktor Erfolg zu konzentrieren. (ktho mit AFP/dpa) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
 

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