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Corona in Skandinavien: Wirklich alles im Griff im Norden?

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Von: Thomas Borchert

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Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen: Keine Alarmrufe aus der Politik.
Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen: Keine Alarmrufe aus der Politik. © Steffen Trumpf/dpa

Der Entwicklung der vierten Welle wird in Dänemark und Schweden mit unumstößlicher Ruhe begegnet.

Stockholm/Kopenhagen - Dem Skandinavien-Korrespondenten sei ein persönlicher Einstieg gestattet: Vor gut einer Woche habe ich einen Aufenthalt in Berlin wegen der sich extrem verdüsternden Corona-Tonlage in Deutschland verunsichert abgebrochen und bin nach Dänemark zurückgekehrt. An diesem Wochenende titelte auch die FR: „Vor dem Kollaps“ und informierte auf mehreren Seiten über bevorstehende Lockdowns, überlaufene Intensivstationen und politischen Streit um den richtigen Weg. Der größten dänischen Zeitung „Politiken“ waren am Sonntag die aktuellen Infektions- und Todeszahlen im eigenen Land ganze drei Sätze wert.

Auch bei den für den „liberalen Sonderweg“ ihrer Gesundheitsbehörden lange weltweit aufmerksam beobachteten Nachbarn in Schweden herrscht verblüffende Ruhe bezüglich Corona. Stärker als über die eigene pandemische Entwicklung berichten hier die Medien über beunruhigende Entwicklungen andernorts wie den österreichischen Lockdown samt bevorstehender Impfpflicht und die Krawalle in den Niederlanden. Also alles im Griff im Norden?

Corona in Dänemark: Sieben-Tage-Inzidenz höher als in Deutschland

Erstmal sieht die dänische Sieben-Tage-Inzidenz genauso beunruhigend aus wie die deutsche. Mit 464 Infizierten je 100.000 lag das kleine Nachbarland am Wochenende sogar deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 372,6 bei fast identischen Steigerungsraten. Trotzdem kommen aus dem Gesundheitswesen und der Politik keine Alarmrufe: Die Impfbereitschaft sei groß, die als die am meisten gefährdet angesehene Bevölkerungsgruppe ab 50 sei zu 95 Prozent durchgeimpft.

Eine Überlastung der Intensivstationen sieht niemand kommen. Gesundheitsminister Magnus Heunicke kündigt die Verpflichtung auf Vorlage eines Corona-Passes an staatlichen Arbeitsplätzen an. Das Hauptaugenmerk liege auf erweiterten Testmöglichkeiten vor allem für Kinder. Weit strengere Regelungen wie in Deutschland oder gar ein Lockdown wie in Österreich steht er skeptisch gegenüber: „Ich hab nicht den Eindruck, dass das viel bringt“.

Das vorweihnachtliche Gewusel mit Betriebsfesten und Einkaufstouren ohne Beschränkung soll weiterlaufen. Als politisch kaum umstrittene Grundhaltung setzt sich mehr und mehr durch, dass Corona zum Alltag gehört und dank starker Impfbereitschaft und ständig besserer Behandlungsmöglichkeiten beherrschbarer wird.

Corona in Schweden: Stockholm setzt auf Freiwilligkeit

Nachbar Schweden steht mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 58,8 und bescheidenen Steigerungsraten ganz tief unten auf der europäischen Infektions-Rangliste. Trotzdem hat die Regierung die Einführung eines Corona-Passes für Geimpfte angekündigt, der bei Veranstaltungen im Innern mit über 100 Menschen vorzuzeigen sein wird.

Dass es diesen Pass noch nicht gibt, liegt vor allem an der auf Freiwilligkeit setzenden Corona-Linie Schwedens. Von der sich Gesundheitsbehörden und Regierung aber doch in der jetzt vierten Welle vorsichtig absetzen. Zu klar auch fällt die Kritik einer parlamentarischen Untersuchungskommission am fehlenden Schutz vor allem alter Menschen in Heimen aus. Das hatte in Schweden eine dreimal so hohe Zahl an Toten (relativ zur Bevölkerungszahl) wie in Dänemark, regiert von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, zur Folge.

Die jetzt in Stockholm ohne viel Tamtam verkündeten Regeln werden von der Öffentlichkeit ähnlich friedfertig akzeptiert wie die von Kopenhagen. Wenn ich auch mit einer persönlichen Bemerkung schließen darf: Das dahinter steckende Vertrauen in einen funktionierenden und wohlmeinenden Staat teile ich als hier Lebender. Bin aber unsicher, ob es die richtige Beruhigungspille für die vierte Welle ist. (Thomas Borchert)

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