Corona: Paris behält die Kontrolle

Frankreichs Parlament verlängert mit einer nur knappen Mehrheit den umstrittenen Corona-Pass und Sonderbefugnisse, so wie von Präsident Macron gewünscht.
Die schweigende Mehrheit sei auch schon größer gewesen, flachste ein Abgeordneter der Opposition am Donnerstag. In einer hitzigen Nachtdebatte hatte die französische Nationalversammlung die Regierung ermächtigt, den Anti-Covid-Gesundheitspass bis zum 31. Juli 2022 zu verlängern. Die Abstimmung fiel sehr knapp aus: Nur 135 Vertreter:innen der Macron-Partei „La République en marche“ (LRM) votierten dafür, bei 125 Gegenstimmen.
Regierungssprecher Gabriel Attal erklärte zur Begründung, 50 der 68 Millionen Französinnen und Franzosen hätten sich bis heute doppelt impfen lassen; eine klare Mehrheit sei damit wohl für die Beibehaltung des Zertifikats, das unter anderem für den Besuch von Restaurants, Amtsstellen oder Kinos erforderlich ist. Derzeit nähmen die Inzidenzwerte und Spitaleinweisungen wieder zu, befand Attal weiter.
Am Corona-Pass gibt es in Frankreich viel Kritik
Linke wie rechte Abgeordnete liefen Sturm. Neben der Gültigkeit des Corona-Passes wurde auch die rechtliche Basis verlängert, mit der die französische Regierung zum Beispiel Ausgangssperren verhängen kann – ohne jede parlamentarische Rücksprache. Sogar einzelne LRM-Vertreter:innen stimmten gegen die Verlängerung und damit gegen die Vorgabe ihres Präsidenten, Emmanuel Macron. Einer von ihnen, Pacôme Rupin, erklärte in der Debatte: „Wir dürfen uns nicht an das Ausnahmerecht gewöhnen.“
Solche Töne waren bisher nur an den wöchentlichen Demonstrationen der Impfskeptiker:innen zu hören gewesen. Während die Zahl der Menschen, die zu den Kundgebungen kommen, schrumpft, mehrt sich die politische Kritik an Macron.
Macron: Freie Hand bis zur Wahl
Dem Präsidenten wird vorgeworfen, er wolle vor den Präsidentschaftswahlen von April 2022 freie Hand bewahren, falls eine neue Pandemiewelle Frankreich erreiche. Die Nationalversammlung wird ihre Arbeit im Februar einstellen; in den zwei letzten, wohl wahlentscheidenden Monaten kann der Präsident die Impfpass-Schraube dann selber anziehen oder lockern. Er muss sich zwar an mehrere Test- und Inzidenz-Kriterien halten, doch lassen diese einen Interpretationsspielraum – den Macron schon früher ausgiebig genutzt hat.
Der Widerstand gegen die Pass-Verlängerung geht allerdings weit über Vakzin- oder Wahlfragen hinaus. Laute Kritik an Macrons Vorgehen gibt es auch außerhalb der Nationalversammlung. Der Verfassungsrechtler Paul Cassia meinte am Donnerstag, die Regierung lasse sich vom Parlament – wo sie die absolute Mehrheit genießt – immer mehr „provisorische“ Sonderrechte geben, die dann jahrelang gälten. So sei es schon bei dem polizeilichen Notrecht gewesen, das die Exekutive nach den Terroranschlägen von 2015 für sechs Monate eingerichtet – und dann jahrelang verlängert habe. Auf diese Weise schaffe man eine „Gewöhnung an die Einschränkung der Freiheiten“, beklagte Cassia.
Macron zentralisiert politische Entscheide systematisch weiter
Kritisiert wird in Frankreich immer mehr auch die traditionelle Vorherrschaft der Exekutive – verkürzt gesagt der Umstand, dass der Staatschef bestimmt und das Parlament nickt. Mit seinem Hang zu eigenmächtigem Handeln hat Macron dieses Kräfteungleichgewicht noch verstärkt. Politische Entscheide zentralisiert er systematisch. Das verhindert je nach Inzidenzzahlen sinnvolle regionale Abstufungen wie etwa bei der Maskenpflicht an Schulen.
Das Impfgesetz kommt in einer Woche vor die Zweitkammer des Senats; die Nationalversammlung müsste ihren Entscheid aus erster Lesung aber selber umstoßen. Dies wird der des Elysée-Palast zu verhindern wissen.