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Politik per Chat: Anke Domscheit-Berg erklärt, wie der Bundestag in der Corona-Krise funktioniert

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Von: Bascha Mika

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Virtuelle Sitzungen der Bundestagsfraktion sind kein adäquater Ersatz für reale, sagt Domscheit-Berg.
Virtuelle Sitzungen der Bundestagsfraktion sind kein adäquater Ersatz für reale, sagt Domscheit-Berg. © Kay Nietfeld/dpa

Die Linken-Abgeordnete und Digitalexpertin Anke Domscheit-Berg über die Parlamentsarbeit in der Corona-Krise und warum Online-Votings dort gefährlich sind.

Liebe Anke Domscheit-Berg, auch wenn mich journalistische Neugier zu diesem Gespräch getrieben hat, ist es eines unter langjährigen Freundinnen. Deshalb – bist Du gesund und munter?

Mir geht es sehr gut, ich bin auch privilegiert, denn ich lebe auf dem Land, in einem Haus mit Garten. So fällt mir nie die Decke auf den Kopf. Ich war im Februar krank, eine Folge von Überlastung. So schräg das klingt, ich konnte gewissermaßen durch Corona wieder richtig gesund werden, weil die plötzlich komplett ausfallenden Termine mir erst die nötige Erholung ermöglicht haben.

Auch bei Politikern hat sich der Alltag verändert. Wie laufen denn trotz Versammlungsverbot die innerparteilichen Verständigungsprozesse?

Ausgesprochen mühsam, weil Debatten jenseits der Fraktionssitzungen ausbleiben. Es gibt natürlich Gruppenchats und E-Mails, die über den Fraktionsverteiler kursieren ... aber das funktioniert nicht so gut. Dabei ist der Abstimmungsbedarf jetzt natürlich besonders groß.

Verschärfen sich dadurch Konflikte?

Anke Domscheit-Berg sitzt für die Linken im Bundestag.
Anke Domscheit-Berg sitzt für die Linken im Bundestag.

Es ist schwieriger, innerparteiliche Demokratie herzustellen. Oder ausreichend zu vermitteln, dass sie in gleichem Maße existiert. Es gab zum Beispiel Absprachen zwischen den Fraktionsspitzen und der Bundesregierung, von denen man wenig mitbekam. Das lese ich dann in der Zeitung. Die Sensibilität für das Problem ist größer als früher, aber das Problem eben auch.

Corona-Krise und Politikalltag: Arbeit unter hohem Druck

Du fühlst dich von politischen Entscheidungen abgeschnitten?

Ja, stimmt. Früher war vieles an Kommunikationsprozessen zwischen den Sitzungswochen zwar auch nicht anders, aber das Bedürfnis nach innerparteilichem Austausch ist jetzt größer. Auch aufgrund des hohen politischen Drucks und der Dringlichkeit der Debatten, die ja nicht Wochen warten können. Da willst du mitmachen und involviert sein, kannst es aber nicht wirklich. Das wurde zum Problem und so gab es dann eine außerordentliche virtuelle Fraktionssitzung ganz ohne Sitzungswoche, bei der wir viele Dinge ausführlich besprechen konnten, wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Zu Beginn der Krise waren sich alle Parteien erstaunlich einig. Ein Totalausfall der Opposition?

Keineswegs, es gab schon sehr wilde Debatten. Wenn man Schulden macht, um die negativen Folgen der Krise abzufedern, muss das Geld ja irgendwo herkommen. Wir haben uns dafür stark gemacht, dass die besonders Vermögenden mit einer Corona-Abgabe belastet werden. Das findet natürlich keinerlei Beifall bei der Regierung. Andere Entscheidungen gingen uns nicht weit genug. Ist ja schön, dass Mieter in den nächsten drei Monaten nicht einfach gekündigt werden können, aber was ist danach? Da wollen wir natürlich mehr Schutz.

Inzwischen kam die Fraktion zu dir ins Haus – wenn auch nur virtuell. Wie lief das ab?

In jener Sitzungswoche fand die Fraktionssitzung erstmalig als Videokonferenz statt und da ging es noch etwas chaotisch zu. Mit so vielen verschiedenen Teilnehmer*innen ist es eine richtige Herausforderung, vor allem, weil es für manche neu war. Die Schwierigkeit begann schon mit den Log- ins, ich habe anderthalb Stunden gebraucht, um überhaupt reinzukommen, weil es mit der Registrierung für die Anwendung Probleme gab. Dann hat es mindestens eine halbe Stunde gedauert, bis der Letzte begriffen hatte, dass man sein Mikro lautlos stellen muss, wenn es sich nicht anhören soll, wie im Weltraum ...

... klingt anstrengend.

Und wie. Nach einer halben Stunde war ich schon durch, ohne dass wir überhaupt angefangen hatten, über Inhalte zu reden. Wahrscheinlich lief es in dieser Zeit bei allen Fraktionen ähnlich unrund.

Domscheit-Berg: politische Weichenstellung von extremer Tragweite

Für dich als Digitalexpertin dürfte das doch halb so stressig sein.

Eine Videokonferenz mit so vielen Leuten stresst jeden, egal wie gut man die Werkzeuge kennt.

Verändert sich die politische Debatte, wenn man nicht mehr leibhaftig zusammensitzt?

Politische Arbeit findet ja auch sonst häufig im kleinen Kreis oder bilateral statt. Da ist der Unterschied zu digitaler Kommunikation fast null, vor allem, wenn ich die Menschen bereits kenne. Ganz anders, wenn eine größere Debatte stattfinden soll. Ab zehn Personen wird es außerordentlich schwierig: die Gesprächsführung ist kompliziert, man kann schlechter miteinander diskutieren, die Dynamiken im Raum sind andere, weil der ja nur virtuell ist ...

Was heißt das für die demokratischen Prozesse in der nächsten Zeit?

Anke Domscheit-Berg ist Publizistin und Unternehmerin und sitzt seit 2017 für die Partei Die Linke im Bundestag. Sie engagiert sich stark für eine Digitalisierung der Gesellschaft, die am Gemeinwohl orientiert ist, für transparentere Politik und mehr Bürgerbeteiligung. 2013 gehörte sie zu den Frauen, die die #aufschrei-Debatte über Alltagssexismus in Deutschland vorantrieben.

Ich halte es für unproblematisch, wenn die jetzigen Einschränkungen nur noch wenige Wochen gelten. Das kann eine Demokratie aushalten. Gleichzeitig haben wir es aber mit politischen Weichenstellungen von extremer Tragweite zu tun, sie greifen in Grundrechte ein wie nie zuvor. Reisefreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, selbst Eigentumsrechte sind eingeschränkt. Themen wie die Kontakt-Tracking-App berühren sensible Themen wie den Datenschutz. Das alles würde eine besonders ausgeprägte Debatte verlangen – die gibt es aber zur Zeit nicht. Das lässt sich in einer Demokratie nicht lange so machen.

Und wenn sich die Normalisierung doch noch Monate hinzieht?

Dann müssen wir überlegen, wie wir unter diesen Bedingungen Demokratie gestalten können. Da schwirren ja alle möglichen Vorschläge durch den Raum, vom Notparlament wie in Kriegszeiten bis zu Online-Debatten des Bundestags. Es ist aber ein entscheidender Unterschied, ob ich im Plenum sitze und mit den anderen in einem Raum diskutiere oder ob ich mir eine Art Skype-Video von einer redenden Person ansehe.

Ein weiteres Interview mit Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg: Warum Suffragetten auch im Jahr 2018 als Vorbild dienen sollten.

Parlamentsarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie: Brief-Entscheidungen sind Online-Abstimmungen vorzuziehen

Was ist mit Online-Abstimmungen?

Extrem problematisch, weil sie anfällig sind für Fälschungen. Nicht umsonst haben wir kein Online-Voting im Bundestag. Es hat bisher noch niemand ein System gefunden, das wirklich sicher ist. Und wenn es um gravierende Entscheidungen geht, müssen die Abstimmungen halt ganz sicher und überprüfbar sein. Brief-Entscheidungen wären da wohl besser ...

... die Postkutsche aus der analogen Welt?

Bei relevanten Vorgängen ist die Post immer noch sicherer.

Klingt nicht danach, als wäre der Bundestag in der Digitalisierung angekommen.

Online-Abstimmungen sind ein generelles Problem, unabhängig vom Bundestag. Aber es gibt andere Herausforderungen, auf die wir uns jetzt stürzen und Lösungen finden müssen, damit wir im Parlament vernünftig weiterarbeiten können. Wenn Abgeordneten mit bis zu zehn Mitarbeiter*innen nur drei Bundestags-Laptops zustehen – wie willst du dann mit einem größeren Team im Homeoffice arbeiten? Auch das Video-Konferenzsystem des Bundestages war nur für dreihundert Leute ausgelegt, und das reichte auch nicht. Jetzt hat man neue Lizenzen beschafft, die hoffentlich reichen werden. Aber auch Server waren überlastet, weil es so viele Parallele Zugriffe von Homeoffice-Arbeitenden gab. Wenn wir da jetzt rangehen, könnten wir die parlamentarische Arbeit wirklich erleichtern.

Und was bringt die Krise sonst noch für dich?

Ich komme am besten mit ihr klar, wenn ich irgendetwas tue. Die ausgefallenen Termine genießen und Däumchen drehen, ist gar nicht mein Ding. Mit meinem Mann und ein paar Mitstreitern hatten wir ja hier im Bahnhof Fürstenberg eine offene Werkstatt als Bildungsstätte gegründet. Aber im Moment produzieren wir dort im Dauerbetrieb Gesichtsvisiere, die wir mit Drei-D-Druckern und Lasercuttern herstellen. Sie werden von medizinischem Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern, Laboren und in Pflegeeinrichtungen als zusätzlicher Schutz über den Atemmasken gebraucht.

Und die verkauft ihr?

Wir sind ein gemeinnütziger Verein und finanzieren uns aus Bordmitteln und Spenden. Nur bei sehr großen Bestellungen, z. B. 1000 Stück für die Beschaffungsstelle eines Landkreises, stellen wir eine Rechnung, um Kosten zu decken, weil da Spenden nicht gehen und wir das nicht tragen könnten. Ca. 1.500 sind bereits ausgeliefert, weitere 4.000 bestellt. Inzwischen bekommen wir auch Spritzgussmodelle, anders ist das nicht mehr zu schaffen.

Interview: Bascha Mika

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