Die Welt nach Corona: Gerecht die Klimakrise lösen

Aus den Fehlern der Coronakrise müssen wir lernen. Ein Gastbeitrag von Ronja Weil und Maximilian Becker.
Um die Klimakrise zu stoppen, sind – wie in der Coronakrise – grundlegende gesellschaftliche Veränderungen notwendig. Für beide Krisen gilt jedoch: Autoritäre Staatsmacht, Abschottung und Nationalismus sind nicht die Lösung.
Haben Sie die Nachricht mitbekommen, dass der vergangene Winter im Durchschnitt vier Grad zu warm war und die Klimakrise damit einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht hat? Wahrscheinlich nicht. Der mediale Diskurs, die Politik und die Alltagsgespräche konzentrieren sich aktuell auf eine andere, eine neue globale Krise: die Corona-Pandemie.
Die Klimakrise darf auch während der Corona-Pandemie nicht vergessen werden
Um massenhaft Leid zu vermeiden, muss die Ausbreitung von Corona so schnell wie möglich gestoppt werden, das ist klar. Die Klimakrise darf jedoch nicht zu einem Thema unter „ferner liefen“ werden. Sie ist nach wie vor eine akute Bedrohung für Millionen Menschen weltweit.
Corona sorgt aktuell für einen massiven gesellschaftlichen Umbruch. Ein solcher Umbruch droht uns auch in der Klimakrise. Es ist deshalb wichtig zu analysieren: Was können wir als Gesellschaft aus dem Umgang mit Corona im Hinblick auf den menschengemachten Klimawandel lernen – und was müssen wir auf jeden Fall anders machen?
Corona-Pandemie und Klimakrise sind vor allem soziale Krisen

Zunächst einmal müssen wir feststellen: Sowohl die Corona-Pandemie als auch die Klimakrise sind vor allem soziale Krisen. Sie verschärfen die bestehenden Ungerechtigkeiten. Anders als oft verlautbart wird, sind vor Pandemien und Naturkatastrophen nicht alle Menschen gleich. Corona trifft Beschäftigte in Dienstleistungsberufen besonders hart, sie müssen ihrer Arbeit trotz hoher Ansteckungsgefahr weiter nachgehen. Und während Managerinnen und Manager im Homeoffice sitzen, müssen Arbeiter und Arbeiterinnen weiterhin am Band stehen.
Auch die globalen Ungerechtigkeiten verschärfen sich durch Corona: Während in Deutschland ein Mindeststandard an medizinischer Versorgung sichergestellt ist, wären die Folgen eines Ausbruchs des Coronavirus in Moria auf Lesbos oder im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab verheerend. Ähnliches gilt bei der Klimakrise: Länder im globalen Norden können sich besser gegen Wetterveränderungen, Ernteausfälle, Stürme und Überschwemmungen wappnen als Staaten im globalen Süden.
Im Gegensatz zur Coronakrise weist die Klimakrise sogar eine doppelte Ungerechtigkeit auf: Die Menschen im globalen Süden, die am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beitragen haben, werden einen Großteil der Folgen zu tragen haben. Aber auch hierzulande werden arme Menschen stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen sein als reiche.
Unterschied zwischen Corona und Klimakrise zeigt sich darin, wie die Politik mit ihnen umgeht

Ein zentraler Unterschied zwischen Corona und der Klimakrise zeigt sich darin, wie die Politik mit ihnen umgeht. In Deutschland hat eine große Koalition, die im Klimabereich seit Jahren handlungsunwillig ist, angesichts der Coronakrise unter Beweis gestellt, dass es sehr wohl möglich ist, die schwarze Null außer Kraft zu setzen und Milliardenhilfen zur Verfügung zu stellen. Aber zugleich bewies sie auch, dass sie im Handumdrehen Grundrechte außer Kraft setzen kann. Staatlich angeordnete Grenzschließungen, Kontaktverbote und teilweise Ausgangssperren mögen angesichts der Corona-Pandemie medizinisch sinnvoll sein. Für die Gesellschaft und unsere Demokratie aber bergen sie große Gefahren. Und auf keinen Fall dient dieses staatliche Handeln in der aktuellen Situation als Vorbild für das Handeln in der Klimakrise.
Die Lösung für die Klimakrise endet nicht an der Landesgrenze
Die Lösung für die Klimakrise ist nicht ein „Klimanotstand“, mit dem der Staat unsere Bewegungsfreiheit einschränkt. Die Lösung für die Klimakrise sind nicht milliardenschwere Rettungspakete für einen maroden Kapitalismus. Die Lösung für die Klimakrise sind nicht Abschottung und nationale Alleingänge. Die Lösung für die Klimakrise endet nicht an der Landesgrenze. Kurzum: Die Lösung für die Klimakrise ist nicht der „starke Staat“.
Stattdessen liegt die Lösung der Klimakrise in einem Systemwandel: weg von einem Kapitalismus mit einem inhärenten Wachstumszwang. Hin zu einem System der Klimagerechtigkeit. Hin zu einer grundsätzlichen Umstrukturierung unserer Gesellschaft, einer anderen Art miteinander zu leben und zu wirtschaften. Hin zu einem System, das die Bekämpfung der Erderwärmung und den Abbau sozialer Ungleichheit gleichermaßen in den Blick nimmt.
Corona ist eine Warnung: Wenn der Kapitalismus versagt, wünschen sich viele einen starken Staat
Corona ist keine Blaupause, die zeigt, wie wir die Klimakrise stoppen können, sondern vielmehr eine Warnung: Wenn der Kapitalismus versagt, wünschen sich plötzlich große Teile der Bevölkerung, selbst Neoliberale, einen starken Staat. Für eine freie, offene und emanzipatorische Gesellschaft kann das nicht die Antwort sein. Was wir stattdessen benötigen ist Gerechtigkeit. In Zeiten von Corona braucht es internationale Solidarität, den Abbau sozialer Ungleichheit und Umverteilung. In der Klimakrise lautet unsere Antwort: Klimagerechtigkeit statt Nationalismus. Wir können Grenzschließungen nicht akzeptieren, wenn vor den Grenzen Menschen sterben.
Wir wollen ein gutes Leben für alle Menschen, überall auf der Welt. Wir wollen Solidarität mit allen, die körperlich oder ökonomisch benachteiligt sind. Dafür reicht aber kein Ruf nach dem starken Staat, weder bei Corona noch in der Klimakrise. Klimagerechtigkeit müssen wir weiterhin selbst erkämpfen. Und das werden wir auch in Zukunft tun. Eben weil der letzte Winter 4 Grad wärmer war, der globale Süden die Hauptlast der Klimakrise davon trägt und unser jetziges System Krisen befeuert und nicht in der Lage ist, sie zu löschen.
Die Serie: Die Welt nach Corona
Mitten in der Krise über die Welt danach zu reden – ist das eine Zumutung? Haben wir nicht alle genug damit zu tun, die Beschränkungen des alltäglichen Lebens, die Angst vor der Erkrankung und den materiellen Folgen zu bewältigen? Wir haben uns entschieden, den Blick in die Zukunft dennoch zu wagen. Wir sind überzeugt, dass wir jetzt überlegen müssen, was auf Dauer anders werden muss, damit es für alle besser wird.
Sehr unterschiedliche Aspekte soll diese Serie abdecken: von der Erfahrung der fehlenden Verfügbarkeit über das eigene Leben bis zur grundlegenden Gestaltung der Wirtschaftsordnung. Im Auftakttext von FR-Autor Stephan Hebel geht es um die öffentliche Daseinsvorsorge.
Viele Gastautorinnen und -autoren haben ihre Teilnahme zugesagt, darunter die Philosophinnen Nancy Fraser (New York), Rahel Jaeggi (Berlin), der Erfolgsautor Paul Mason (London) sowie die Gesellschaftswissenschaftler Stephan Lessenich (München) und Hartmut Rosa (Jena). (FR)