Corona in Deutschland: Lockdown, 2G oder die Pflicht-Impfung - was ist rechtlich möglich?

Die vierte Corona-Welle trifft Deutschland: Der Schrei nach Maßnahmen wird wieder lauter. Doch was ist verfassungsrechtlich denkbar und was nicht?
Karlsruhe – Deutschland wird derzeit von der vierten Corona-Welle überrollt. Die immer weiter steigenden Corona-Zahlen lassen Diskussionen über weitere Corona-Maßnahmen wieder aufflammen.
Doch was ist aus rechtlicher Perspektive überhaupt möglich? Ein Überblick über den Stand der Dinge aus Sicht des Verfassungsrechts.
Warum gibt es auch nach zwei Jahren Corona-Pandemie noch so viel rechtliche Unsicherheit?
Es gibt inzwischen viele Gerichtsentscheidungen zu Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Die meisten sind aber lediglich Eilentscheidungen. Hier prüfen Richter:innen lediglich kursorisch: Wie schlimm wäre es, wenn wir die Maßnahme jetzt fälschlicherweise kippen? Und was bedeutet es für den Kläger, wenn sie – möglicherweise unrechtmäßig – noch eine Weile in Kraft bleibt? Vom Bundesverfassungsgericht wurden auf diese Weise Gottesdienste und Demonstrationen wieder ermöglicht. Abschließende Entscheidungen gibt es derzeit zu vielen wichtigen Fragen noch nicht.
Wann ist mit solchen Entscheidungen zu rechnen?
Anfang Oktober (2021) wurden die, während der ersten Corona-Welle in Bayern verhängten, Ausgangsbeschränkungen als unverhältnismäßig eingestuft. Die Staatsregierung hat angekündigt, gegen die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes Revision einzulegen, weshalb das Urteil bisher noch nicht rechtskräftig ist.
Für Ende November (2021) wird eine erste große Entscheidung in Karlsruhe erwartet. In diesem Fall geht es um die sogenannte Bundes-Notbremse. Diese ermöglichte zwischen April und Juni 2021 bundesweit einheitliche Regelungen.
Was ist von der ersten großen Entscheidung in Karlsruhe zu erwarten?
Laut dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, geht es um „ein bestimmtes Gesetz zu einem bestimmten Zeitpunkt“, das sagte er im „heute Journal“ des ZDF. Durch eine „sehr, sehr ausführliche“ Entscheidung würde das Gericht neue Maßstäbe entwickeln, um die Verfassung zu konkretisieren. Daraus ergäben sich üblicherweise «Hinweise für Folgefragen, die sich stellen werden, etwa für kommende Pandemien oder für Maßnahmen in der gegenwärtigen Pandemie für die kommenden Monate».
Wie wird es in der Zwischenzeit weitergehen?
„Die Verfassung steht einer weiterhin maßvollen, aber eben auch effektiven Pandemiebekämpfung keineswegs entgegen“, schreibt Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold von der Universität Flensburg im „Verfassungsblog“. Auch wenn die Politik momentan sozusagen auf Sicht fahren muss, sind auch jetzt schon „gewisse Leitplanken“ zu erkennen, so die Professorin.
Gibt es generelle verfassungsrechtlichen Vorgaben die hier Anwendung finden?
Eine Voraussetzung für Eingriffe in die Grundrechte ist die „Verhältnismäßigkeit“ dieser. Demnach müssen die Eingriffe geeignet, angemessen und erforderlich sein. Wenn der Zweck auch mit „milderen Mitteln“ erreicht werden kann – sind diese bevorzugt anzuwenden. Im Falle der Corona-Maßnahmen sind außerdem die betroffenen Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Die Abwägung findet hier zwischen Freiheitsrechten und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit statt.
Warum ist genau diese Abwägung im Fall von Corona so schwierig?
Die Abwägung hängt jeweils von der Situation und dem wissenschaftlichen Kenntnisstand ab. Im Fall der Corona-Pandemie verändert sich beides immer wieder. Man denke nur an die Entwicklung des Impfstoffes, das Aufkommen der Delta-Variante oder die Erkenntnis, dass auch geimpfte Personen ansteckend sein können.
Erschwerend kommt hinzu, dass manche Maßnahmen bei entspannter Corona-Lage völlig unverhältnismäßig erschienen, heute aber legitim sein könnten.
Dürfen Ungeimpfte strikteren Beschränkungen unterworfen werden?
Keiner der Rechtsexpert:innen sieht darin ein Problem. Solange eine unterschiedliche Behandlung auf einer Sachgrundlage fußt, ist sie zulässig. Denn das Grundgesetz macht gar nicht die Vorgabe, dass alle immer gleich behandelt werden müssen. Eine 2G-Regelung wäre also während der Corona-Pandmie verfassungsrechtlich möglich.
Könnte es wieder zu Einschränkungen für alle kommen?
Überfüllte Intensivstationen bedrohen potenziell die Gesundheit aller Menschen. Deshalb hält Frau Mangold „flächendeckende und kontaktbeschränkende Maßnahmen gegenüber der gesamten Bevölkerung“ für denkbar. Die Professorin der Universität Flensburg hat im Frühjahr selbst eine Verfassungsbeschwerde gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen unter der Bundes-Notbremse verfasst.
Die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr-Uni Bochum meint dagegen, es müsse differenziert werden. «Einfach pauschal irgendwelche Dinge anordnen, die dann für alle Personen uneingeschränkt gleich gelten, das geht nicht mehr», sagte sie «Zeit Online».
Ist eine Impfpflicht in Deutschland denkbar?
Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster empfiehlt eine Impfpflicht gegen das Corona-Virus sogar dem Bundestag. Nach seinem Dafürhalten handelt es sich bei einer Impfpflicht um ein „milderes Mittel“, als beispielsweise bei einem „allgemeinen Lockdown für Schulen oder Hochschulen“.
Auch Andrea Kießling hat „da keine verfassungsrechtlichen Bauchschmerzen“.
Ist eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ weiterhin notwendig?
Durch die Feststellung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ wird die Anordnung einer Vielzahl von Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz möglich. Unter anderem auch die Anordnung von Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen. Eine Verlängerung der Lage über den 25. November hinaus, stellt die angestrebte Ampel-Koalition bisher nicht in Aussicht. Die Länder sollen aber einen Teil der Schutzmaßnahmen auf andere Weise ermöglicht bekommen. Unter Jurist:innen sorgt das aktuell für viel Streit.
Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz C. Mayer meint: «Die Feuerwehr wirft mitten im Einsatz Teile ihrer Ausrüstung ins Feuer.» Ferdinand Wollenschläger von der Uni Augsburg hält es für «rechtlich nicht geboten», den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen derart zusammenzustreichen. Andere Experten finden den Zeitpunkt richtig.
(Lucas Maier mit dpa)