Chinas Verhandlungszeremonie

Mit dem Telefonat zwischen Selenskyj und Xi begibt sich China stärker in die Rolle des Vermittlers im Ukraine-Konflikt - aber ohne große Eile. Eine Analyse.
Eine Stunde lang sollen Wolodymyr Selenskyj und Xi Jinping am Mittwochabend miteinander telefoniert haben, Chinas Staatschef sprach danach in einer Verlautbarung von „strategischer Partnerschaft“. Zum Vergleich: Bei Xis Staatsbesuch in Moskau dauerte sein Vieraugengespräch mit Putin 4,5 Stunden, aber hinterher war auch dort „von strategischem Zusammenwirken“ die Rede. „Noch ein zeremonielles Ereignis, um Chinas Neutralität zu unterstreichen“, sagt der Sinologe Alexej Tschigadajew gegenüber TV Doschd. „Seht her, wir reden mit China und mit der Ukraine!“
China scheint wirklich die Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt spielen zu wollen. Nach dem Telefonat gab die Regierung in Peking bekannt, sie werde ihren Sonderbeauftragten für Eurasien zu weiteren Gesprächen über eine Friedenslösung in die Ukraine „und andere Länder“ schicken. Der Beauftragte Li Hui war zehn Jahre lang Botschafter in Moskau und gilt als Kenner des postsowjetischen Raums.
Offenbar hat er den Auftrag, einen neuen Verhandlungsprozess vorzubereiten. Schon positionieren sich die Kriegsparteien, jede auf ihre Weise. Selenskyj verkündete nach dem Telefonat, er und Xi hätten Berührungspunkte bezüglich ihrer Friedenspläne gefunden. Der Ukrainer pochte auf die territoriale Unversehrtheit seines Landes als völkerrechtlichem Grundsatz. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, unterstellte dagegen den Ukrainern, sie verweigerten sich „jeder gesunden Initiative“ und machten Verhandlungen von unrealistischen Vorbedingungen abhängig.
Im Westen gab es vorsichtiges Lob für das Telefonat. Aber US-Expert:innen verdächtigen China, es liefere Russland heimlich Waffen, auch seine Friedensinitiative sei nicht ernst gemeint.
Pekings Schritte wirken wie ein langsames Zeremoniell mit leeren Sprechblasen. Xi ließ nach dem Telefonat verlautbaren, er habe „vier Unverzichtbarkeiten“, „vier gemeinsame Schritte“ und „drei Themen zum Nachdenken“ vorgeschlagen und wies auf Chinas Positionspapier von Februar hin, das zwölf Punkte umfasst. Möglich, dass Punkt 1, der Respekt vor der Souveränität und territorialer Unversehrtheit aller Länder, eine ukrainische Position, als „Unverzichtbarkeit“ zählt.
Laut Xi werden jetzt auch andere rationale Stimmen laut, damit meint er wohl die kürzlich in Peking vorstellig gewordenen Präsidenten Frankreichs und Brasiliens. Der Kiewer Politologe Ihor Tyschkewitsch vermutet, Xi wolle mit beiden Ländern eine Vermittler-Koalition gründen. Aber auch dabei werde er sich Zeit lassen.
Bisher bewegen sich die Chinesen ohne Hast, im Monatstakt: 24. Februar: Veröffentlichung des chinesischen Friedenspapiers, 24. März: Treffen Xi mit Putins, 26. April: Telefonat mit Selenskyj.
Noch ist völlig ungewiss, wann Peking reale Gespräche zwischen den verfeindeten Parteien in Angriff nehmen wird. Tyschkewitsch glaubt, vorher würden die Chinesen erst noch die ukrainische Sommeroffensive und ihre Ergebnisse abwarten.