Angst vor Waffenlieferungen Chinas an Russland: Macron und von der Leyen reisen nach Peking

Chinas Staatschef Xi Jinping steht ein Besuchermarathon aus der EU und Brasilien bevor. Bei allen auf der Agenda: Die chinesische Rolle im Ukraine-Krieg – trotz Xis Nähe zu Putin.
Peking – Staatschefs stehen Schlange in Peking: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte eigentlich diese Woche nach China reisen wollen. Eine Lungenentzündung bremste den 77-Jährigen kurzfristig aus. Doch Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping dürfte sich auch so nicht einsam fühlen. In den nächsten zehn Tagen kommen gleich drei Staatenlenkende aus Europa zu ihm: Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen und Pedro Sánchez. Nach drei Jahren selbst auferlegter Null-Covid-Isolation drängen Xi und sein Land zurück auf die Weltbühne und halten Hof in Peking.
Der Nachholbedarf ist enorm. Denn in letzter Zeit ist China vor allem geopolitisch über zwei Dinge wahrgenommen worden: seinen Dauerkonflikt mit den USA – und seine Nähe zum Kriegstreiber in der Ukraine, Russlands Präsident Wladimir Putin. Erst wenige Tage alt sind Bilder, die Xi in trauter Eintracht mit Putin in Moskau zeigen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wartet unterdessen noch immer auf das angekündigte Gespräch mit Xi.
EU: Die Angst vor möglichen Waffenlieferungen Chinas an Russland
Doch während die USA sich anscheinend der Abwärtsspirale in ihren Beziehungen zu China hingeben, will die EU im Gespräch bleiben. Brüssel und die Mitgliedsstaaten wollen offenbar um jeden Preis verhindern, dass Peking immer weiter Richtung Moskau driftet. Während einer privaten Sitzung auf dem EU-Gipfel in Brüssel am Wochenende forderte Frankreichs Präsident Macron seine Kollegen nach einem Bericht des US-Nachrichtenportals Politico auf, sich doppelt anzustrengen, um China von einer verstärkten Unterstützung für die russische Invasion abzuhalten. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatten die USA den Verdacht geäußert, China erwäge Waffenlieferungen an Russland. Es gab mehrere Berichte über Drohnen oder Gewehre, doch bisher nichts Greifbares.
Öffentlich sagte Macron auf dem Gipfel: „Wir sind uns einig, dass wir China auf unsere Seite ziehen wollen, um Druck zu machen, damit Russland keine chemischen Waffen oder Atomwaffen einsetzt.“ Frankreich hatte den im Februar von China vorgestellten „Zwölfpunkteplan“ für Frieden in der Ukraine grundsätzlich begrüßt – und Peking zugleich aufgefordert, keinesfalls Waffen an Russland zu liefern.
Vom 4. bis 8. April wird Macron nach China reisen. Und das nicht allein. Er hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen, ihn zu begleiten. Er habe sich dabei mit Bundeskanzler Olaf Scholz abgestimmt, denn mit Blick auf China sei eine „europäische Stimme“ nötig, sagte Macron. Scholz betonte am Wochenende in Brüssel, China habe ausdrücklich zugesichert, keine Waffen an Moskau zu liefern. Der Kanzler war bereits Anfang November zu einem Antrittsbesuch nach Peking gereist.
Spaniens Ministerpräsident Sánchez: Als erster auf dem Weg nach China
Dass China vermitteln kann, wenn es will, hatte Chef-Außenpolitiker Wang Yi kürzlich bewiesen, als er die verfeindeten Staaten Iran und Saudi-Arabien dazu brachte, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Doch dort war China wirklich neutral, da es mit Riad und Teheran ähnlich enge Beziehungen pflegt. Im Ukraine-Krieg dagegen nimmt niemand im Westen Xi eine neutrale Haltung ab. China unterscheidet derweil klar zwischen Washington und Brüssel: Während die USA als Gegenspieler Nummer Eins gelten, sieht man in Peking Europa trotz allem weiterhin als möglichen Partner. Und so wettern Chinas Diplomaten im Dauerfeuer gegen USA und Nato. Brüssel dagegen rufen sie zu „strategischer Unabhängigkeit“ auf – was nichts anderes bedeutet, als dass sich Europa in der China-Politik von den USA absetzen solle.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte schon vergangene Woche Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union aufgefordert, China nicht zu isolieren, da eine solche Strategie das Risiko berge, dass Peking seinen eigenen Weg gehe.
Der erste Europäer auf dem Weg nach China wird – noch vor Macron – Spaniens Ministerpräsident Sánchez sein. Nach Angaben seines Büros wird Sánchez diese Woche zunächst auf der Tropeninsel Hainan am Boao Forum for Asia – einer Art chinesisches Davos-Forum – teilnehmen und dann am Freitag nach Peking fliegen, um dort Xi zu treffen. Seine Reise ist insofern bedeutsam, als Spanien im Juli die rotierende EU-Präsidentschaft übernimmt. Offizieller Anlass ist das 50-jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten. Doch auch Sánchez geht es vor allem um die Ukraine. Er betonte am Samstag, er werde in Peking auf einen fairen Frieden drängen, der die „von Russland verletzte territoriale Integrität der Ukraine“ einschließt.
Lula sieht China als unbeteiligten Vermittler
Auch Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni wird Berichten zufolge demnächst nach Peking reisen. Sie gilt ebenso wie Sánchez als klare Unterstützerin Kiews. Anders ist das bei Lula. Er irritierte Scholz bei dessen Besuch in Brasilien mit der Bemerkung, zu einem Streit gehörten letztlich immer zwei. Lulas Position ist indes nicht untypisch für Länder des globalen Südens. Viele von ihnen fühlen sich bevormundet vom Westen und seinen Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten; auch die vielfach als Arroganz und Doppelmoral wahrgenommene Haltung der USA ist zunehmend unbeliebt. China – und teilweise auch Russland – gelten dagegen vielerorts als neutral und hilfsbereit. Auch ist China, anders als die Staaten Europas, keine einstige Kolonialmacht.
Im Ukraine-Krieg befürworte Lula einen Prozess, der von unbeteiligten Staaten wie China, Indien oder Brasilien gesteuert werde, schreibt Moritz Rudolf vom Paul Tsai China Center der US-Universität Yale. Auch habe Lula das chinesische „Zwölfpunktepapier“ gebilligt. Lula hatte schon während seiner ersten Amtszeiten von 2003 bis 2011 einen engen Kontakt zu Peking gepflegt. 2009 überholte China die USA als größter Handelspartner seines Landes. Auch investiert China nirgendwo in Südamerika so viel wie in Brasilien. Die Wirtschaftsbeziehungen litten kaum unter dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro, der während seiner Präsidentschaft auf laute China-Kritik gesetzt hatte. Ganz anders Lula. Sechs Tage wollte Brasiliens Staatschef nach Peking und Shanghai reisen, mit einer großen Wirtschaftsdelegation. Es sei möglich, dass Brasilien bei Lulas Besuch in China sogar der „Neuen Seidenstraße“ beitrete, meint Rudolf. Doch das muss nun erst einmal warten. Vorerst gehört die Bühne in Peking den Europäern.