China auf dem Weg zur Weltmacht: Xi Jinping macht Kampfansage an den Westen
Mission erfüllt: Xi Jinping hat sein Land in den letzten Tagen umgebaut wie lange keiner mehr vor ihm. Das soll China stark machen für die Konfrontation mit den USA.
München/Peking – Die linke Hand hat er auf die Verfassung gelegt, ein schweres rotes Buch, das zuvor ein Soldat im Stechschritt in die große Halle des Volkes im Zentrum Pekings getragen hatte. „Ich schwöre“, sagt Xi Jinping, „mich für den Aufbau eines starken, demokratischen, zivilisierten, harmonischen und schönen modernen sozialistischen Staates einzusetzen.“ Seine rechte Hand hat Xi erhoben, zur Faust geballt. Die martialisch anmutende Geste hat Tradition bei Chinas Kommunisten. Diesmal aber wirkt sie, mehr noch als sonst, wie eine Kampfansage.
Kurz zuvor hatten die 2.952 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses den 69-Jährigen einstimmig im Amt des Staatspräsidenten der Volksrepublik China bestätigt. Das war am vergangenen Freitag, es war der Höhepunkt des Nationalen Volkskongresses, der alljährlichen Abnickveranstaltung von Chinas Parlament. Xis dritte Amtszeit ist historisch. Die Verfassung, auf die er nun schwor, hatte er für diesen Schritt 2018 eigens ändern lassen. Xi, der auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei ist und Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee, ist jetzt so mächtig wie kein anderer chinesischer Politiker seit Mao Zedong.
Xi Jinping wirft USA „umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas“ vor
Macht, die er nutzen will, um China stark zu machen und das Land zu rüsten für die Konfrontation mit den USA, die Xi kommen sieht. Den Amerikanern warf er am Rande des Volkskongresses vor, sie verfolgten „eine umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas, was nie da gewesene schwere Herausforderungen für die Entwicklung Chinas mit sich bringt“. Konkret hält Xi Washington vor, durch Exportverbote für hoch entwickelte Mikrochips die chinesische Hightech-Branche zerstören zu wollen. Mindestens ebenso erzürnt ihn das, was er als ungerechtfertigte Einmischung in innere Angelegenheit betrachtet: etwa die amerikanische Unterstützung für Taiwan und die Kritik der USA und ihrer Verbündeten an den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Xi strebt eine multipolare Welt an, die USA aber, so sieht er das, wollen China kleinhalten.
Wie Peking auf diese gefühlte Bedrohung reagieren will, machte Xi in den vergangenen Tagen deutlich. Zunächst sollen die militärischen Fähigkeiten des Landes gestärkt werden. Der Verteidigungshaushalt soll um 7,2 Prozent steigen, die Volksbefreiungsarmee zu einer „Großen Mauer aus Stahl“ ausgebaut werden, wie Xi am Montag in seiner Abschlussrede zum Volkskongress sagte. Gleichzeitig soll, wenige Monate nach Ende der Null-Covid-Politik, die Wirtschaft des Landes wieder stärker wachsen. „Rund fünf Prozent“ hat Peking als Zielmarke vorgegeben, zwei Prozentpunkte mehr als das mickrige Wachstum, das China im vergangenen Jahr tatsächlich erreicht hatte. Das Land soll wirtschaftlich unabhängiger werden vom Westen, der Binnenkonsum angekurbelt, Spitzentechnologie gefördert werden. Peking will dazu auch die Privatwirtschaft wieder mehr fördern.
Li Qiang: Kann Xi Jinpings Nummer zwei Chinas Wirtschaft auf Vordermann bringen?
Abzuwarten bleibt indes, welche Freiheiten Xi den Unternehmen, die er in den letzten Jahren an die kurze Leine genommen hatte, wirklich lässt. Und welchen Spielraum er Chinas Nummer zwei gewährt: Li Qiang, der im vergangenen Oktober in den Ständigen Ausschuss des Politbüros aufgestiegen war und damit in Chinas Machtzentrale, wurde am Samstag mit nur drei Gegenstimmen sowie acht Enthaltungen ins Amt des Ministerpräsidenten gewählt. Der 63-Jährige, der zuletzt Parteichef von Shanghai war, gilt als wirtschaftsfreundlich, gleichzeitig aber auch als enger Vertrauter von Xi Jinping. In diesem Spannungsfeld soll Li Chinas Wirtschaft nun wieder auf Vordermann bringen.
Auf seiner ersten Pressekonferenz im neuen Amt sprach Li am Montag von einer „herausfordernden Aufgabe“. Li muss ein Platzen der Immobilienblase verhindern und die nach drei Jahren Corona-Maßnahmen finanziell ausgelaugten Provinzen unterstützen. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist noch immer hoch. Verschärft werden Chinas Probleme in den kommenden Jahren zudem durch den Geburtenrückgang. Dass China diese Herausforderungen nicht allein bewältigen wird, scheint Li klar zu sein. „China und die USA können und müssen zusammenarbeiten“, erklärte er am Montag. „Einkreisung und Unterdrückung sind im Interesse von niemandem.“
Xi Jinping: „Die Partei führt alles an“
Li hatte im vergangenen Frühjahr den chaotischen Lockdown in Shanghai zu verantworten, offenbar auf Geheiß von Xi Jinping, der von seiner Null-Covid-Politik nicht abrücken wollte. Man kann sich vorstellen, wie er sich zähneknirschend fügte. Belohnt wurde er nun mit dem Aufstieg an die Spitze. Wo seine Loyalitäten liegen, machte er gleich zu Beginn seiner Pressekonferenz am Montag deutlich: „Wir werden der starken Führung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei mit dem Genossen Xi Jinping im Zentrum folgen“, sagte Li.
Der Volkskongress hob weitere Xi-Vertraute in Spitzenämter und stimmte einer Neustrukturierung der Regierung zu. So soll etwa das Ministerium für Wissenschaft und Technologie gestärkt werden, um „der ernsten Situation des internationalen wissenschaftlichen und technologischen Wettbewerbs sowie der Eindämmung und Unterdrückung von außen zu begegnen“. Überwacht wird dieser Prozess von einem neu geschaffenen Parteiorgan – und damit letztlich von Xi selbst. „Die Regierung, das Militär, die Gesellschaft und Schulen, Norden, Süden, Osten und Westen und das Zentrum – die Partei führt alles an“, hatte Xi bereits auf dem vorletzten Parteitag als Losung ausgegeben. Jetzt hat er dieses Ziel erreicht.