Worum es im Konflikt zwischen China und Taiwan geht – und wie wahrscheinlich ein Krieg ist
China verstärkt seine Drohgebärden in Richtung Taiwan. Wir erklären, worum es in dem Konflikt geht – und ob ein Krieg unmittelbar bevorsteht.
München – Seit die damalige Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im vergangenen August Taipeh besuchte, nehmen die militärischen Provokationen aus China zu: Fast täglich nähern sich chinesische Kampfjets Taiwan, zudem überqueren immer wieder Kriegsschiffe die inoffizielle Grenzlinie zwischen Taiwan und der Volksrepublik. Zuletzt eskalierte die Lage erneut, nachdem Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen in den USA mit Pelosis Nachfolger Kevin McCarthy zusammengetroffen war. Drei Tage lang hielt Peking Militärübungen rund um Taiwan ab, geprobt wurde dabei die Abriegelung der Insel und Angriffe auf dort gelegene „Schlüsselziele“, hieß es von Chinas Volksbefreiungsarmee.
Droht nun ein Krieg zwischen China und Taiwan? Und worum geht es in dem Konflikt eigentlich? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wie ist der Konflikt zwischen China und Taiwan entstanden?
Taiwan geriet im 19. Jahrhundert immer mehr unter den Einfluss Chinas, das damals von der mandschurischen Qing-Dynastie beherrscht wurde. Nach dem chinesisch-japanischen Krieg 1895 wurde die Insel zur Kolonie Tokios. 1911 ging das chinesische Kaiserreich unter, ein Jahr später wurde die Republik China gegründet. Doch das junge Land versank schon wenig später in einem Bürgerkrieg, in dem die regierenden Nationalisten (Kuomintang, KMT) gegen die Kommunisten unter Mao Zedong kämpften. Während des Zweiten Weltkriegs paktierten beide vorübergehend miteinander gegen Japan, doch ab 1945 brach die Feindschaft wieder aus. Mao ging 1949 mit seiner KP schließlich als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervor und rief am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus.
Taiwan war 1945 nach Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg wieder ein Teil der Republik China geworden. Dorthin flohen die unterlegenen Nationalisten und ihre Anhänger 1949 vor den Kommunisten. Auf Taiwan lebte die Republik China weiter; KMT-Parteichef und „Generalissimus“ Chiang Kai-shek regierte dort mit eiserner Hand. Erst sein Sohn Chiang Ching-kuo öffnete Taiwan in den 1980-er Jahren langsam für die Demokratie. Tsai Ing-wen ist bereits die vierte frei gewählte Präsidentin des Landes.
Ist Taiwan ein Teil von China?
Für die kommunistisch regierte Volksrepublik ist klar: „Taiwan ist ein Teil von China – das ist eine unbestreitbare Tatsache“, heißt es in einem Weißbuch aus dem vergangenen Jahr. Und: „Taiwan gehört China seit dem Altertum.“ Tatsächlich wurde Taiwan erst im 19. Jahrhunderte eine chinesische Provinz. Die erst 1949 gegründete Volksrepublik China übte sogar nie die Kontrolle über Taiwan aus.
Heute hat Taiwan eine eigene, demokratisch gewählte Regierung, es besitzt ein eigenes Militär, gibt eigene Pässe aus – kurzum: Taiwan ist de facto ein eigenständiger Staat, auch wenn es sich nie formal für unabhängig erklärt hat. Offiziell betrachtet sich die Regierung in Taipeh bis heute als Nachfolgerin der 1912 gegründeten Republik China – bis in die 1970-er Jahre wollte man das kommunistisch regierte Festland sogar zurückerobern.
Die Taiwanerinnen und Taiwaner betrachten sich selbst längst als eigenständig. Eine Umfrage aus dem Jahr 2022 ergab, dass sich nur 2,7 Prozent der Befragten als Chinesen sehen. 61 Prozent identifizierten sich als Taiwaner, und 32,9 Prozent gaben an, sie seien sowohl Chinesen als auch Taiwaner. Eine „Wiedervereinigung“ mit dem autokratisch regierten China ist für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Muster-Demokratie Taiwan unvorstellbar.

Welche Staaten erkennen Taiwan an?
Nur 13 Staaten unterhalten derzeit diplomatische Beziehungen zu Taiwan – was zugleich bedeutet, dass sie aufgrund des von Peking geforderten „Ein-China-Prinzips“ keine Beziehungen zur Volksrepublik unterhalten können. Im Pazifik gehören die Marshallinseln, Nauru, Palau und Tuvalu zu Taiwans Verbündeten, in Afrika Eswatini, in Mittelamerika Belize, Guatemala, Haiti, Paraguay, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen – sowie in Europa der Vatikan. In den letzten Jahren wechselten mehrere Staaten die Seiten und nahmen Beziehungen zu Peking auf, zuletzt etwa Honduras. Dahinter stehen meist wirtschaftliche Überlegungen, aber in einigen Fällen offenbar auch Druck aus China.
Die USA unterhalten seit 1979 keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan mehr, sondern erkennen nur die Volksrepublik diplomatisch an. Auch Deutschland unterhält keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan, betont aber, dass der Konflikt mit China friedlich gelöst werden müsse.
Bis 1971 vertrat Taiwan das gesamte chinesische Volk bei den Vereinten Nationen. Heute hält die Volksrepublik China den Sitz in den UN, Taiwan ist nicht mehr vertreten. Auch in den meisten internationalen Organisationen ist Taiwan kein Mitglied. Eine prominente Ausnahme ist die Welthandelsorganisation WTO.
Taiwan | Amtlich: Republik China (Zhonghua Minguo) |
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Fläche | 36.179 Quadratkilometer |
Bevölkerungszahl | ca. 23,5 Millionen |
Sprache | Chinesisch |
Hauptstadt | Taipeh |
Währung | Taiwan-Dollar |
Staats- und Regierungsform | Semipräsidentielle Republik |
Präsidentin | Tsai Ing-wen |
Wie wahrscheinlich ist ein Krieg um Taiwan?
Für Chinas Kommunistische Partei ist es eine „historische Mission“, Taiwan mit der Volksrepublik „wiederzuvereinigen“. Das macht Staats- und Parteichef Xi Jinping immer wieder deutlich. „Wir werden uns weiterhin mit größter Aufrichtigkeit und größter Anstrengung um eine friedliche Wiedervereinigung bemühen. Aber wir werden niemals versprechen, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten, und wir behalten uns die Möglichkeit vor, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“, erklärte Xi auf dem Parteitag im Oktober.
Ob und wann China Ernst machen und Taiwan angreifen wird, ist unklar. Ein von Beobachtenden immer wieder genanntes Datum ist das Jahr 2027, wenn die chinesische Volksbefreiungsarmee den 100. Jahrestag ihrer Gründung begeht. Bis dann soll die von Xi eingeleitete Modernisierung der Armee weitgehend abgeschlossen sein. Andere nennen das Jahr 2049: 100 Jahre nach ihrer Gründung will die Volksrepublik China Weltmacht sein – Xi spricht vom „Wiederaufstieg der chinesischen Nation“. Klar ist: Sollte China sich auf einen groß angelegten Angriff vorbereiten, würden die ausländischen Geheimdienste wohl schon Monate oder gar Jahre vorher Anzeichen dafür entdecken.
Was würde passieren, sollte China jetzt Taiwan angreifen?
China rüstet auf: In diesem Jahr soll das Militärbudget der Volksrepublik um 7,2 Prozent auf umgerechnet 211 Milliarden Euro steigen. Dass China mit seinen rund zwei Millionen Soldaten einen groß angelegten Angriff auf das kleine Taiwan mit seinen nur knapp 24 Millionen Einwohnern gewinnen würde, ist dennoch alles andere als ausgemacht.
Eine „konventionelle“ Invasion würde China einer Simulation des Zentrums für internationale und strategische Studien (CSIS) in Washington zufolge in naher Zukunft wohl verlieren – vorausgesetzt, die USA und Japan griffen aufseiten Taiwans in den Konflikt ein, was derzeit als wahrscheinlich gilt. Allerdings wäre der Sieg Taiwans und seiner Verbündeten teuer erkauft: „Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verlieren Dutzende von Schiffen, Hunderte von Flugzeugen und Zehntausende von Militärangehörigen. Die Wirtschaft Taiwans wäre am Boden zerstört“, so die CSIS-Analysten. Auch China hätte demnach hohe Verluste zu verkraften.
Zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan liegt die rund 180 Kilometer breite Taiwan-Straße. Sie zu überqueren, dürfte für Chinas Volksbefreiungsarmee nicht leicht sein. Deutlich einfacher wäre es, zuerst eine der direkt vor Chinas Küste liegenden Inseln anzugreifen, etwa Kinmen oder Matsu. Experten sprechen von einer „Salami-Taktik“: Sollte sich China das winzige Kinmen einverleiben, würden die USA wohl kaum einen Krieg mit Peking riskieren. China könnte sich demnach anschließend auf die anderen taiwanischen Inseln konzentrieren.
Wie würden sich die USA und Japan im Falle eines Krieges verhalten?
Washington hat sich dazu verpflichtet, die Regierung in Taipeh mit Defensivwaffen zu unterstützen. Zudem erklärte US-Präsident Joe Biden in den letzten Monaten mehrfach, die USA würden auch direkt militärisch eingreifen, sollte es zu einem chinesischen Angriff kommen. Ob sich Taiwan auf diese Zusicherungen verlassen kann, ist allerdings unklar, auch wenn es in den USA einen überparteilichen Konsens gibt, Taipeh zu unterstützen.
Ob sich auch Japan direkt in eine militärische Auseinandersetzung zwischen China, Taiwan und den USA einmischen würde, ist offen. Die meisten Experten gehen allerdings davon aus, dass Tokio den USA zumindest erlauben würde, die amerikanischen Militärbasen im Land zu nutzen. Derzeit sind rund 54.000 US-Soldaten in Japan stationiert, mehr als die Hälfte davon auf der Insel Okinawa, unweit von Taiwan. Auch hat Japan kürzlich eine massive Erhöhung seines Verteidigungshaushalts angekündigt.
Wie rüstet sich Taiwan gegen Chinas Drohungen?
Auch Taiwan rüstet angesichts der Bedrohung auf. Die Regierung in Taipeh kaufte in den letzten Jahren immer wieder große und teure Waffensysteme aus den USA, etwa Kriegsschiffe sowie fortschrittliche F-16-Kampfjets und Panzer vom Typ M-1A2 Abrams. Auch müssen Wehrpflichtige ab 2024 nicht mehr nur vier Monate, sondern ein ganzes Jahr Dienst an der Waffe tun.
Viele Experten, auch aus den USA, glauben, dass sich Taiwan vor allem besser auf einen „asymmetrischen Kampf“ mit China vorbereiten sollte. Wenn China die taiwanischen Inseln mit Kriegsschiffen angreife, brauche Taiwan nicht etwa ebenfalls Kriegsschiffe, um sich zu verteidigen – sondern eine gut gesicherte Küste und Raketen, mit denen der Angreifer ausgeschaltet werden könne. Wie ein Stachelschwein mit seinen Stacheln müsse sich Taiwan gegen die Volksrepublik sichern – Experten empfehlen Taipeh daher eine „Stachelschwein-Strategie“.
Welche Rolle spielt Taiwan für die Weltwirtschaft?
Made in Taiwan – das kannte in den 1980-er Jahren jedes Kind. Damals kamen vor allem billige Plastikprodukte, etwa Spielzeug, aus Taiwan auf den Weltmarkt. Heute steht die Insel hingegen für Spitzentechnologie. Etwa 60 Prozent aller Halbleiter, die weltweit produziert werden, stammen von taiwanischen Unternehmen wie TSMC und UMC. Bei besonders hoch entwickelten Mikrochips liegt der Marktanteil Taiwans sogar bei rund 80 Prozent. Ohne Chips geht heute nichts mehr. Die kleinen Bauteile stecken in Fernsehern, Handys, E-Autos. Ein Ausfall der taiwanischen Chip-Produktion würde weltweit viele Fabriken zum Stillstand bringen.
Mancher Experte glaubt, dass China – das ebenfalls auf Halbleiter made in Taiwan angewiesen ist – deshalb von einem groß angelegen Angriff absehen würde. Denn ein offener Krieg könnte die äußerst empfindliche Produktion zum Erliegen bringen – und damit auch die Weltwirtschaft.