Vor China-Reise mit Macron: Ursula von der Leyen zeigt gegenüber Peking klare Kante
Die EU-Kommissionschefin spricht konfrontativer denn je über das Verhältnis zu China. Damit setzt sie vor ihrer gemeinsamen Reise mit Frankreichs Staatschef Macron nach China einen deutlichen Ton.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 31. März 2023.
Brüssel – Kurz vor ihrer ersten Reise als EU-Kommissionschefin nach Peking hat Ursula von der Leyen in einer erstaunlich deutlichen Grundsatzrede eine Idee davon vermittelt, was sie in der chinesischen Hauptstadt vorzutragen hat. Bei der Veranstaltung der Denkfabriken European Policy Center und dem von Peking sanktionierten Merics-Institut am Donnerstag in Brüssel plädierte sie für eine EU-eigene und vereinte China-Politik. Sie sprach sich für ein „De-risking“ in strategischen Bereichen und nicht volles Decoupling aus. Der sonst von offizieller Seite gebetsmühlenartig wiederholte EU-Dreiklang aus „Partner, Wettbewerber, Rivale“ zur Beschreibung des Verhältnisses mit der Volksrepublik fehlte.
Von der Leyen wird kommende Woche gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nach China reisen. Die Rede setzte vorab einen herausfordernden Ton. Von der Leyen hatte sich in der Vergangenheit bereits kritisch zu einzelnen Aspekten der europäischen China-Politik geäußert. Eine reine Grundsatzrede über die Beziehungen zu Peking hielt sie nun allerdings zum ersten Mal.
Newsletter von Table.Media
Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen der Table.Media Professional Briefings – das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Ursula von der Leyen zu China und Geopolitik
- Brüssel müsse seine China-Politik gänzlich neu sortieren: „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden durch Chinas staatskapitalistisches System zunehmend verzerrt“, sagte von der Leyen. Sie müssten wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Es sei dabei jedoch „weder machbar noch im Interesse Europas“, sich von Peking zu distanzieren. „Deshalb müssen wir uns darauf konzentrieren, die Risiken zu mindern“, betonte sie.
- Pekings Position im Krieg gegen die Ukraine und das Verhältnis zu Russland spielen für die künftigen EU-China-Beziehungen eine zentrale Rolle: „Wie China weiterhin mit Putins Krieg interagiert, wird ein entscheidender Faktor sein.“ Die Bilder des Treffens zwischen Chinas Staatschef Xi Jinping und Russlands Präsidenten Wladimir Putin sagten mehr „als tausend Worte“. Xi halte an der „grenzenlosen Freundschaft“ zu Putin fest und sehe darin eine Gelegenheit, Einfluss auf das bisher machtpolitisch dominantere Russland zu gewinnen, so von der Leyen.
- Den 12-Punkte-Plan Chinas für Frieden in der Ukraine wies die EU-Kommissionschefin tendenziell zurück: „Jeder Friedensplan, der faktisch die russischen Annexionen konsolidieren würde, ist kein gangbarer Weg.“ China müsse sich für einen gerechten Frieden einsetzen.
- Die EU-Kommissionschefin sieht generell eine härtere Haltung Pekings, seine Wünsche gegenüber anderen Ländern durchzusetzen. Gerade die Menschenrechtsbilanz deute auf eine allgemeine Verhärtung hin. „Diese eskalierenden Aktionen deuten auf ein China hin, das zu Hause repressiver und im Ausland selbstbewusster wird“, sagte von der Leyen.
- China bestehe aus einer „faszinierende und komplexe Mischung aus Geschichte, Fortschritt und Herausforderungen“. „Und es wird dieses Jahrhundert bestimmen.“ Die Geschichte, wie die EU damit umgehe, sei noch nicht zu Ende geschrieben und müsse nicht defensiv ausfallen, betonte von der Leyen.
Ursula von der Leyen zu China und Handel
- Der Handel mit Waren und Dienstleistungen sei größtenteils weiterhin „für beide Seiten vorteilhaft“ und frei von Risiken.
- Aber: Die EU-Kommissionspräsidentin stellte neue Beschränkungen für Investitionen europäischer Unternehmen in China in Aussicht. Die EU müsse verhindern, dass Kapital und Expertise europäischer Unternehmen dazu beitragen, „die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten derjenigen zu verbessern, die auch Systemkonkurrenten sind“. Die Kontrollen sollten aber nur für „eine kleine Anzahl sensibler Technologien“ gelten. An einem gezielten Instrument für Auslandsinvestitionen, in den USA Outbound-Investment-Screening genannt, wird EU-Kreisen zufolge bereits intensiv gearbeitet.
- Zudem soll das Ende 2020 mit China geschlossene Investitionsabkommen CAI nach Ansicht von der Leyens überarbeitet werden. Die EU-Kommissionschefin legte erstmals öffentlich nahe, dass das Abkommen nicht weiterverfolgt werden könnte, da sich „die Welt und China in den drei vergangenen Jahren verändert haben“. Das CAI liegt ohnehin auf Eis. Zuletzt wurde in EU-Kreisen berichtet, dass chinesische Beamte in Brüssel angeboten haben, die Sanktionen gegen Abgeordnete des EU-Parlaments aufzuheben, sollte im Gegenzug das CAI bestätigt werden.
Die EU-Kommissionschefin legte mit der Rede einen unerwartet direkten Ton an den Tag und folgte ihrer sich zuletzt herauskristallisierenden Tendenz, in der China-Politik eine entschiedenere Position einzunehmen. Zu sehen war das bereits beim Treffen von der Leyens mit US-Präsident Joe Biden in Washington. Peking wird die Rede eher sauer aufstoßen. China wird Brüssel — nicht zum ersten Mal — vorwerfen, den USA hörig zu sein.
Macron und von der Leyen demonstrieren Einigkeit gegenüber China
Außenpolitik-Experte Noah Barkin vom Berliner Büro des German Marshall Fund (GMF) bewertet den Auftritt der EU-Kommissionschefin als Durchbruch: „Von der Leyen hat die Rede über China geliefert, auf die Europa gewartet hat“, schrieb Barkin auf Twitter. Ob ganz Europa oder auch nur EU-Institutionen dem zustimmen werden, ist aber fraglich. Zuletzt hatte sich eine zunehmende Spaltung zwischen EU-Kommission und dem EU-Rat der Mitgliedsstaaten erkennen lassen. EU-Ratschef Charles Michel war im November allein nach Peking gereist. Er sieht den konfrontativen Ansatz gegenüber China eher skeptisch.
Wie sehr von der Leyen ihren Ton bei der gemeinsamen Reise mit Macron beibehalten wird, wird sich zeigen. „Präsidentin von der Leyen und Präsident Macron haben in der jüngeren Vergangenheit mit Bezug auf China nicht immer die genau gleiche Melodie gesungen“, sagte der Grünen-Europapolitiker und Leiter der China-Delegation des EU-Parlaments, Reinhard Bütikofer, gegenüber Table.Media. Der gemeinsame Besuch liefere nun eine Gelegenheit, „chinesische Spaltungsversuche ins Leere“ laufen zu lassen, so Bütikofer.
Peking könnte beleidigt auf von der Leyens China-Rede reagieren
Für den Ansatz, europäische Einheit in Peking zu demonstrieren, habe Macron auf jeden Fall bereits Lob verdient, findet Mathieu Duchâtel, Direktor des Asien-Programms am Pariser Institut Montaigne. „Natürlich wird er in Teilen Europas dafür kritisiert werden, dass er nicht miteinbeziehend genug war. Aber er hätte seinen Besuch rein bilateral machen können“, so Duchâtel. Was konkrete Ergebnisse des Besuchs angeht, zeigt sich der Außenpolitik-Experte aber weniger positiv: Die EU hofft auf eine positive chinesische Rolle im Russland-Ukraine-Krieg. Das sei eher unwahrscheinlich.
Der Grad der Koordination zwischen Macron und von der Leyen bleibe abzuwarten, meinte Merics-EU-Experte Grzegorz Stec. „Angesichts seines erklärten Ziels, Chinas potenziellen positiven Beitrag zur Lösung des Krieges in der Ukraine näher zu betrachten, könnte Macron einen sanfteren und flexibleren Ton anschlagen.“ Der Franzose hatte sich zuletzt nach dem G20-Gipfel für China als Vermittler ausgesprochen. Dieses Ziel könnte die selbstbewusste Linie von der Leyens jetzt aber beeinträchtigt haben, sagte Stec gegenüber Table.Media.