Offiziell „nur“ 83.000 Todesfälle: Wie viele Menschen sind in China nach Corona-Infektionen wirklich gestorben?
China hat in der Corona-Pandemie das Schlimmste hinter sich. Wie viele Menschenleben die Viruswelle gefordert hat, ist weiter unklar. Forschende gehen von bis zu 1,7 Millionen Todesfällen aus.
München/Peking – Eine schwächelnde Wirtschaft, hohe Kosten durch flächendeckende PCR-Tests und nicht zuletzt die größten Demonstrationen, die das Land seit Jahrzehnten gesehen hat: Nach drei Jahren Null-Covid-Politik war der Druck auf Chinas Staatsführung Anfang Dezember offenbar so groß geworden, dass das Land fast sämtliche Corona-Maßnahmen quasi über Nacht aufhob. In der Folge infizierten sich Hunderte Millionen Menschen mit dem Coronavirus, Hunderttausende sind wohl gestorben. Vor allem in den Tagen rund um das chinesische Neujahrsfest, das in diesem Jahr am 22. Januar gefeiert wurde, dürfte sich das Virus in weiten Teilen des Landes ausgebreitet haben.
Jetzt, rund drei Wochen und viele Berichte über überfüllte Krankenhäuser und ausgelastete Krematorien später, hat sich die Lage in China wieder normalisiert, wie merkur.de berichtet. „Es ist endlich vorbei“, zitierte das chinesische Online-Magazin Sixth Tone unlängst einen Arzt aus der ostchinesischen Provinz Anhui. Er könne sich jetzt wieder um seine normalen Patienten kümmern, erklärte der Mediziner. In seiner Abteilung, so der Kardiologe, seien „in den letzten ein oder zwei Monate“ so viele Menschen gestorben wie sonst „in drei oder vier Jahren“.
Corona in China: Offiziell „nur“ 83.000 Todesfälle
Wie viele Menschenleben die Pandemie in China insgesamt gefordert hat, bleibt allerdings weiterhin unklar. Bis Anfang Februar zählte Chinas Nationale Gesundheitsbehörde rund 83.000 Todesfälle; damit hätte das Land die niedrigste Corona-Sterberate weltweit. Glaubt man den offiziellen Statistiken, sind in China seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 nur sechs Menschen pro 100.000 Einwohner an oder mit dem Virus gestorben. Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut Johns-Hopkins-Universität 200 Todesfälle pro 100.000 Einwohner gezählt, in den USA sogar 338 – mehr als in jedem anderen Land.
Allerdings flossen zu Beginn der neuesten Welle Todesfälle nur dann in die chinesische Statistik ein, wenn die Corona-Toten an einer Lungenentzündung oder an Atemversagen gestorben waren. Später hieß es von den Behörden, dass nur Todesfälle gezählt würden, die in Krankenhäusern registriert wurden. Die Todeszahlen liegen in China möglicherweise aber auch deshalb niedriger als im internationalen Vergleich, weil das Land von dem Virus erst überrollt wurde, als es schon weniger tödlich war. Zudem waren weite Teile der Bevölkerung bereits geimpft oder sogar geboostert, als China seine Corona-Maßnahmen aufhob.

Allerdings hatten gerade unter den Menschen über 80 Jahren bis Anfang des Jahres nur rund 40 Prozent die notwendige dritte Impfung erhalten, die mit den chinesischen Vakzinen den vollen Schutz bietet. Zudem ist das chinesische Gesundheitssystem deutlich schlechter aufgestellt als in vielen anderen Ländern weltweit.
90 Prozent der Chinesen dürften sich mit Corona angesteckt haben
Um sich den wahren Todeszahlen anzunähern, hatten Wissenschaftler schon vor und während der chinesischen Corona-Welle mögliche Szenarien berechnet. So schätzten Mitte Januar die Experten des auf Gesundheitsprognosen spezialisierten Londoner Unternehmens Airfinity, dass China mit 608.000 Toten zu rechnen habe. Wissenschaftler aus Shanghai, die den dortigen Corona-Ausbruch vom vergangenen Frühjahr zur Grundlage ihrer Berechnungen gemacht hatten, kamen auf 1,6 Millionen Tote. Forschende der Universität Hongkong wiederum rechneten mit 970.000 Corona-Opfern.
Eine neue Schätzung von Wissenschaftlern aus Texas und Hongkong besagt nun, dass sich in China innerhalb eines Monats 90 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus angesteckt haben. Diese Schätzung deckt sich mit früheren Angaben eines chinesischen Regierungsepidemiologen und Beobachtungen ausländischer Firmen unter ihren Arbeitnehmern, heißt es in einem Bericht der New York Times, in dem die Wissenschaftler ihre Berechnung vorgestellt haben. Die Forscher gehen auf Basis dieser Zahlen davon aus, dass in China zwischen 1,2 Millionen und 1,7 Millionen Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen sind.
Viele Corona-Tote in China wären vermeidbar gewesen
Ebenfalls in der New York Times teilte der Epidemiologe Jeffrey Shaman von der Columbia University seine eher konservative Schätzung, die von einer ähnlichen Sterblichkeitsrate wie in derzeit den USA ausgeht sowie von einer Durchseuchungsrate von 40 bis 65 Prozent. Shaman kommt folglich auf 900.000 bis 1,4 Millionen Todesopfer in China.
Verglichen mit den USA, wo mehr als 1,1 Millionen Menschen dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber nur etwa ein Viertel so viele Menschen leben wie in der Volksrepublik, wären die chinesischen Sterbezahlen also in jedem Fall relativ niedrig. Viele der Todesfälle wären dennoch wohl vermeidbar gewesen – hätte Chinas Staatsführung um Parteichef Xi Jinping die Corona-Maßnahmen schrittweise aufgehoben statt in einer offenbar völlig unüberlegten Hauruckaktion.