Deshalb „verschwinden“ in China immer wieder Milliardäre
Bao Fan gilt als einer der einflussreichsten Banker Chinas. Tagelang war er verschwunden, jetzt befindet er sich in der Hand der Behörden. Kein Einzelfall.
München/Peking – Es waren Szenen wie aus einem Hollywood-Film: Ein Mann wird in einem Rollstuhl aus einem Luxushotel geschoben, sein Gesicht mit einer Decke verhüllt, mehrere Männer begleiten ihn ins Freie. Eine Entführung, am helllichten Tag, aufgezeichnet von einer Überwachungskamera in Hongkong. Der Mann, so hieß es damals, im Januar 2017, sei Xiao Jianhua, ein kanadischer Milliardär chinesischer Abstammung. Xiao hatte enge Verbindungen in die Kommunistische Partei Chinas, besaß einen Diplomatenpass, umgab sich mit Leibwächtern. Er wusste offenbar, dass er gefährlich lebte.
Jahrelang wohnte Xiao in Hongkong, das zwar zu China gehört, sich aber weigert, Personen an die Behörden der Volksrepublik auszuliefern. Chinas Regierung wollte den Milliardär dennoch vor Gericht sehen, sie warf ihm Bestechung und Börsenmanipulation vor. Dass Xiao ein Vertrauter von Jiang Zemin gewesen sein soll – dem vor kurzem verstorbenen Ex-Parteichef Chinas und Gegenspieler von Staatschef Xi Jinping –, dürfte ihn zusätzlich verdächtig gemacht haben.
Nachdem er im Januar 2017 aus seinem Hongkonger Luxushotel gebracht wurde, soll Xiao mit dem Boot in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aufs chinesische Festland gebracht worden sein; jahrelang blieb er verschwunden. Erst im vergangenen Jahr wurde ihm dann von einem Volksgericht in Shanghai der Prozess gemacht, das Urteil: 13 Jahre Haft.
Er nannte Chinas Staatschef Xi einen Clown – und musste 18 Jahre in Haft
Die Entführung von Xiao Jianhua mag besonders spektakulär gewesen sein – ein Einzelfall war sie nicht. Immer wieder verschwinden in China bekannte Milliardäre, nur um später – meist vor Gericht – wieder aufzutauchen. Seit Anfang Februar etwa ist der Chef des Immobilienentwicklers Seazen Group nicht mehr auffindbar. Ren Zhiqiang, ein anderer Immobilienentwickler, wurde 2020 wegen angeblicher Korruption zu 18 Jahren Haft verurteilt. Er hatte zuvor Xi Jinping einen „Clown“ genannt und war anschließend vom Radar verschwunden. Schlagzeilen machte auch der Fall des Casino-Tycoons Yang Zhihui, der 2018 wochenlang nicht erreichbar war, nachdem die Behörden ein milliardenschweres Projekt seiner Firma gestoppt hatten. Und das ist nur eine kleine Auswahl von Fällen, die international bekannt wurden.
Zuletzt traf es Bao Fan, den 53-jährigen Mehrheitseigner und Vorsitzenden von China Renaissance Holding, einer großen chinesischen Investmentbank. Der Wirtschaftsdienst Bloomberg nennt Bao „einen der einflussreichsten Finanziers Chinas“. Sein Unternehmen habe zuletzt umgerechnet mehr als sieben Milliarden US-Dollar verwaltet.

Am 16. Februar erklärte China Renaissance in einer Mitteilung an die Hongkonger Börse, man sei „nicht in der Lage, Herrn Bao Fan zu kontaktieren“ und habe keine Informationen darüber, dass seine „Abwesenheit“ in Zusammenhang mit den Geschäften der Bank stehe. Der Betrieb laufe aber „normal“ weiter. Zehn Tage später dann die nächste Börsenmitteilung von China Renaissance: Man habe erfahren, dass Bao „an einer Untersuchung durch bestimmte Behörden in der Volksrepublik China mitwirkt“, und werde „ordnungsgemäß mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten“, so das Unternehmen. Und auch diesmal fehlte der Hinweis nicht, dass die Geschäfte trotz der ungewöhnlichen Situation normal weiterliefen. Offenbar will man die Aktionäre der Bank beruhigen – schon nach der ersten Mitteilung über Baos Verschwinden war der Aktienkurs von China Renaissance zeitweise um rund 50 Prozent abgestürzt.
Chinas Kampf gegen die Korruption trifft zunehmend die Finanzbranche
Was Bao zur Last gelegt wird, ist unklar. Allerdings war bereits im vergangenen September Renaissance-Präsident Cong Lin in Gewahrsam genommen worden. Nach einem Bericht des chinesischen Finanzmagazins Caixin wird gegen ihn wegen eines 200-Milliarden-Dollar-Kredits ermittelt, den eine staatliche Bank, für die Lin einst tätig war, China Renaissance gewährt haben soll. Im Raum steht der Vorwurf, Lin sei in Interessenkonflikte geraten. Möglich, dass man Bao ähnliche Anschuldigungen macht. Laut Financial Times soll Bao zuletzt versucht haben, einen Teil seines Vermögens nach Singapur zu transferieren. Ob das geklappt hat, ist unklar, an einer Ausreise in den Stadtstaat wurde er aber offenbar gehindert.
Vonseiten der chinesischen Behörden gibt es bislang keine Stellungnahme zum Verschwinden von Bao Fan. Unklar ist, ob der Fall in Verbindung steht mit dem harten Vorgehen von Xi Jinping gegen Korruption, das dieser bereits bei Amtsantritt vor rund zehn Jahren zu einem Kern seiner Politik gemacht hatte. Auf dem Parteitag im Oktober 2022 erklärte Xi, unter seiner Führung seien „Tiger erlegt, Fliegen vertrieben, Füchse gejagt und korrupte Beamte aller Art bestraft worden“. Der Kampf gegen das „Krebsgeschwür“ Korruption gehe aber weiter. In den Fokus geriet dabei zuletzt vor allem der Finanzsektor des Landes.
Xi hatte zudem in den vergangenen Jahren in einer beispiellosen Kampagne die Tech-Industrie des Landes unter Kontrolle gebracht, viele Beobachter sprachen von einer „Niederschlagung“ der Branche. Auch Bao Fans Investmentbank hat immer wieder Tech-Unternehmen finanziert. Sie war unter anderem an Deals mit dem chinesischen Uber-Pendant Didi, dem Essenslieferanten Meituan und dem Onlinehändler JD.com beteiligt. Einige dieser Unternehmen waren Xi offenbar zu mächtig geworden. Zudem passten die vielen Milliardäre, die die Branche hervorgebracht hat, nicht zu Xis ideologischer Rückbesinnung auf sozialistische Werte. Bisweilen gab es aber auch aus dem Ausland Lob dafür, Chinas oftmals intransparente Tech-Branche einer verstärkten Regulierung zu unterwerfen.
Auch Alibaba-Chef Jack Ma geriet ins Visier von Chinas Behörden
Ins Visier der Behörden geriet vor zweieinhalb Jahren auch der Online-Riese Alibaba. Dessen Chef, der international bekannte Jack Ma, verschwand Ende 2020 für mehrere Monate, nachdem er öffentlich die chinesische Bankenregulierung kritisiert hatte. Wenig später untersagte Peking den Börsengang von Mas Ant Group, einer Alibaba-Tochter – es wäre der größte Börsengang aller Zeiten geworden.
Zuletzt hat sich das Verhältnis zwischen dem chinesischen Staat und den Tech-Unternehmen des Landes wieder entspannt, auch vor dem Hintergrund schlechter Wirtschaftsdaten. So darf der Fahrdienst Didi nach 18 Monaten Pause neue Kunden registrieren. Unlängst lockerte die chinesische Regierung auch die Zügel, die der Ant-Group angelegt worden waren. Zuvor musste sich Ma allerdings aus seinem Unternehmen zurückziehen. Auch arbeitet das Unternehmen nun offenbar verstärkt mit der Kommunistischen Partei zusammen; dafür gab es vor Kurzem sogar öffentlich Lob von einem lokalen Parteichef. Wer in China erfolgreich sein will, muss eben wissen, wer seine Freunde sind.