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Chile nimmt den zweiten Anlauf für eine neue Verfassung – unter geänderten Vorzeichen

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Von: Klaus Ehringfeld

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Das progressive Chile um Linkspräsident Gabriel Boric wollte eine ökologische und feministische Neuausrichtung – doch das scheint nun in weiter ferne. Foto: AFP PHOTO / CHILEAN PRESIDENCY.
Das progressive Chile um Linkspräsident Gabriel Boric wollte eine ökologische und feministische Neuausrichtung – doch das scheint nun in weiter ferne. Foto: AFP PHOTO / CHILEAN PRESIDENCY. © AFP

Gabriel Boric bangt – und das progressive Chile tut es dem linken Präsidenten gleich: Nach dem traumatischen Aus der Verfassungsänderung 2022 könnten nun Rechte entscheidend mitreden.

Chiles linke Regierung blickt besorgt auf die Wahl einer neuen verfassungsgebenden Versammlung an diesem Sonntag. Denn das neue Gremium, das das alte Grundgesetz aus Zeiten der Pinochet-Diktatur ersetzen soll, dürfte sehr viel konservativer sein als das vorherige. Umfragen halten sogar eine starke Präsenz der Ultrarechten um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast für möglich. Insgesamt bewerben sich 350 Kandidatinnen und Kandidaten um die 50 Plätze in der Versammlung. Dieses Mal läuft die Auswahl über fünf Listen von links bis ganz rechts. Für die Verfassungsversammlung, die am 7. Juni ihre Arbeit aufnehmen wird, herrscht Wahlpflicht.

Es ist der zweite Versuch des südamerikanischen Landes, sein Grundgesetz zu erneuern, nachdem der erste sehr progressive Entwurf im September in der obligatorischen Volksabstimmung überraschend und klar mit 62 Prozent abgelehnt wurde. Es war die schwerste Niederlage des jungen Linkspräsidenten Gabriel Boric, der sich mit seiner Regierung damals offen für den gescheiterten Entwurf ausgesprochen hatte. Diese neue Magna Charta wäre sehr stark ökologisch geprägt gewesen, in Teilen feministisch und hätte Sonderrechte für die Indigenen festgeschrieben und Chile zu einem plurinationalistischen Staat gemacht.

Chile: Boric hat immer weniger Rückhalt

Anders als damals hat sich die Regierung jetzt eine strategische Distanz auferlegt. So will sie verhindern, dass die Wahl als eine Art Referendum über ihre Arbeit genutzt wird. Boric verfügt gerade noch über eine Zustimmung von 30 Prozent. Das liegt zum einen an der anhaltend schwachen Wirtschaft, aber vor allem dem Ausufern der Gewalt in chilenischen Städten. Zudem hat die illegale Zuwanderung über die Nordgrenzen so zugenommen, dass das Parlament die Gesetze verschärfte. Seit Februar kontrolliert zudem das Militär die unwegsamen Grenzabschnitte zu Peru und Bolivien.

Die Bewerberinnen und Bewerber für die 50 Sitze kandidieren auf fünf Listen. Die Parteien der Regierungskoalition sind auf zwei Listen vertreten. Laut Umfragen könnte die Hauptliste der Regierung hinter der traditionellen Rechten an zweiter Stelle durchs Ziel gehen und zwischen 14 und 15 Delegierte in das Gremium entsenden. Wichtig wird sein, ob die Regierungsvertreter:innen auf den beiden Listen 21 Personen durchbringen können, die für ein Vetorecht nötig sind.

Chile: Rechten winkt eine klare Mehrheit

Das Horrorszenario aus Sicht der Regierung wäre, wenn Bürgerliche und Ultrarechte drei Fünftel der Sitze erringen würden. Dann könnten die konservativen Kräfte entscheidende Punkte der neuen Verfassung ohne Verhandlung mit der Linken durchsetzen.

Das progressive Chile befürchtet daher, dass am Ende ein Text stehen könnte, der schlechter ist als der aktuelle. Die Abschaffung der Verfassung aus dem Jahre 1982 war eine zentrale Forderung der großen Sozialproteste von 2019. Der neue Entwurf könnte bei der Volksbefragung im Dezember erneut durchfallen. Der Versuch, das Pinochet-Grundgesetz abzuschaffen, bliebe dann unvollendet.

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