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Chefstratege aus Tigray

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Von: Johannes Dieterich

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Tsadkan Gebretensae kommandierte früher Äthiopiens Streitkräfte. youtube
Tsadkan Gebretensae kommandierte früher Äthiopiens Streitkräfte. youtube © youtube

Hinter dem Erfolg der Milizen in Äthiopien steht der kriegserfahrene General Tsadkan Gebretensae – ein Porträt.

Er wird als einer der verblüffendsten militärischen Feldzüge der Gegenwart in die Geschichtsbücher eingehen: Der Vormarsch der Truppe „Tigray Defence Forces“ (TDF) gegen die überlegene äthiopische Regierungsarmee, der neben der „Befreiung“ weiter Teile der Tigray-Provinz allerdings auch Elend, Vertreibung und Tod für die Zivilbevölkerung der benachbarten Amhara-Provinz bedeutet.

Derzeit rücken die TDF-Milizen auf die äthiopische Hauptstadt vor: Der Fall Addis Abebas wird nicht mehr ausgeschlossen. Die Befehlsstrukturen der äthiopischen Armee seien so gut wie zusammengebrochen, heißt es in Militärkreisen.

Der überraschende Erfolg wird vor allem einer Person zugeschrieben: Dem TDF-Kommandeur Tsadkan Gebretensae, den Alex de Waal, Direktor der Weltfriedensstiftung an der US-Universität Tufts als „einen der besten militärischen Denker und Strategen Afrikas“ bezeichnet.

Der 68-jährige Ex-General hat eine lange und schillernde Karriere hinter sich: Einen fast identischen Feldzug führte er bereits vor 30 Jahren an – als Kommandeur der Volksbefreiungsfront Tigray (TDLF), die 15 Jahre lang gegen den „roten Terror“ des Diktators Mengistu Heilemariam kämpfte. Am 28. Mai 1991 zogen die TDLF-Kämpfer auf demselben Weg wie heute die TDF-Truppe aus Tigray kommend in Addis Abeba ein.

Als 23-Jähriger hatte er 1976 sein Biologiestudium an der Universität von Addis Abeba an den Nagel gehängt, um sich der ein Jahr zuvor gegründeten Befreiungsfront anzuschließen. Dort freundete er sich mit dem TDLF-Chef Meles Zenawi an, der Äthiopien später 21 Jahre lang regiert. Tsadkans strategisches Geschick kam während des Guerillakriegs offenbar schnell zum Vorschein: Während der 80er Jahre stieg er zum führenden TPLF-Kommandanten auf.

Nach dem Einmarsch in Addis Abeba und der Flucht Mengistus wurde er als neuer Streitkräftechef mit der Eingliederung der Milizen und dem Umbau der Armee betraut. Wie Meles auf politischer Seite wurde auch ihm vorgeworfen, die führenden militärischen Positionen mit Angehörigen seines Volks besetzt zu haben. Als 1998 der Krieg mit dem einstigen eritreischen Bruderstaat ausbrach, führte Tsadkan Äthiopiens Truppen zu einem Sieg – wurde jedoch von seinem Freund Meles daran gehindert, bis in die eritreische Hauptstadt Asmara vorzustoßen, um Diktator Isaias Afwerki zu entmachten.

An dem Zwist ging seine Freundschaft mit Meles zu Bruch: Tsadkan wurde abgesetzt. Er suchte sich erst als Militärberater im Südsudan und später als Weinfarmer und Geschäftsmann in seiner Heimatprovinz Tigray ein neues Betätigungsfeld.

Eigentlich sei das Zerwürfnis mit Meles weniger auf den Streit um den Vormarsch auf Asmara als auf seine Kritik an dessen undemokratischer Regierungsführung zurückzuführen gewesen, sagt Tsadkan später.

Als Ahmed Abiy im April 2018 überraschend an die Macht kommt, hat der General im Ruhestand zunächst dagegen nichts auszusetzen. Erst als sich der neue Premierminister an die „Säuberung“ des Staats- und Militärapparats von den bislang dominierenden Tigray macht, schreckt das Vorstandsmitglied mehrerer Staatsunternehmen auf: Er trifft sich mehrmals mit Abiy Ahmed, um eine Gesprächslösung zu finden – gibt nach dem dritten Anlauf allerdings auf.

„Abiy war nicht an einer friedlichen Lösung interessiert“, sagte er in einem seltenen Interview: „Er bereitet sich auf einen Krieg vor.“ Der casus belli sei gewesen, ob Äthiopien ein föderaler Staat bleiben oder ein unitärer Zentralstaat werden sollte. „Es ging nicht mehr darum, dass wir Tigray weiter das Sagen über die Geschicke des Landes haben wollen“, sagt Tsadkan.

Erst nachdem Abiy seine Truppen nach Tigray sandte und dabei auch noch den Beistand des eritreischen Erzfeinds erbat, sieht sich der damals 67-Jährige zu einer Rückkehr in den Befehlsstand gedrängt. Zunächst erleiden die TDLF-Milizen eine fast vernichtende militärische Schlappe: Erst in die unzugängliche Bergwelt zurückgezogen können sich die Kämpfer – jetzt als TDF und unter Tsadkans Führung – neu formieren.

Das erste Husarenstück gelingt dem Chefstrategen im Juli dieses Jahres, als er mit seiner Truppe der Regierungsarmee eine Schlappe nach der anderen beibringt: Tausende äthiopischer Soldaten sterben, achttausend werden gefangen genommen, Zigtausende ziehen sich zurück.

Hätte es der General i.R. damit bewenden lassen, hätte sein Ansehen womöglich heller gestrahlt. Doch Tsadkan geht von der Verteidigung der Tigray-Provinz zum Angriff auf die Nachbarprovinz Amhara über. Die Gründe dafür teilte er kürzlich der BBC mit: Erstens sollte Tigrays Blockade, die Millionen von Menschenleben gefährdet, gebrochen werden. Und zweitens die Regierung in Addis Abeba zu Gesprächen über die Zukunft der Provinz gezwungen werden.

Noch immer sind beide Ziele nicht erreicht: Als kriegstreiberisch oder unvernünftig wird man sie nicht bezeichnen können. Tsadkan ist überzeugt davon, dass ein Ende des Krieges nur über Verhandlungen erreicht werden kann: Warum Friedensnobelpreisträger Abiy diese bisher nicht angeboten hat, bleibt dessen Geheimnis.

Menschen gedenken der Kriegsopfer in Addis Abeba, und noch immer ist kein Frieden in Sicht.
Menschen gedenken der Kriegsopfer in Addis Abeba, und noch immer ist kein Frieden in Sicht. © AFP

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