CDU-Vizevorsitzende Karin Prien: „Wir müssen auf die richtige Tonlage achten“

Am Montag präsentiert die CDU Ergebnisse einer Mitgliederbefragung zur Neuorientierung der Partei. Vizevorsitzende Karin Prien berichtet im FR-Interview, wo sie Baustellen und Gefahren sieht.
Frau Prien, die CDU hat zwei Probleme: Die Mitgliedschaft ist überaltert und sie schrumpft immer mehr. Auch deswegen denken Sie über ein neues Grundsatzprogramm nach. Wie wollen Sie es schaffen, als Partei attraktiver zu werden, und für wen?
Unser Anspruch als Volkspartei muss es sein, über alle Generationen hinweg attraktiv zu sein. Natürlich hat die CDU als bürgerlich-konservative Partei einen Startvorteil bei Älteren, aber wir müssen auch offen sein für die Jungen und die breite Mitte der Gesellschaft, die jeden Tag dieses Land voranbringen. Deshalb müssen wir unser inhaltliches Angebot dringend renovieren.
Die ersten beiden Fragen der digitalen Mitgliederbefragung zum Grundsatzprogramm kreisten aber gleich um das C, das Christliche an der CDU. Ist das noch zeitgemäß in einer multireligiösen Gesellschaft?
Hier geht es in erster Linie um christliche Werte, nicht so sehr um die Konfession. Die bindende Kraft der großen Kirchen nimmt stark ab, junge Menschen sind generell weniger bereit, sich an eine Institution zu binden. Wir brauchen aber umso mehr eine Orientierung an bestimmten Grundwerten. Da sehe ich auch bei jungen Menschen ein starkes Bedürfnis, gerade in einer Zeit, in der sich mehrere Krisen überlagern. Da ist das „C“ immer noch ein interessantes Angebot nicht nur für konfessionsgebundene Christinnen und Christen. Aber es muss übersetzt werden in konkrete Politikfelder.
Sie selbst haben jüdische Wurzeln und sind Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU. Sie und die CDU positionieren sich klar gegen Antisemitismus. Zu Islamfeindlichkeit hört man da weniger, stattdessen echauffiert sich Ihr Vorsitzender Merz über „kleine Paschas“ mit migrantischen Wurzeln, die den Schulen angeblich Probleme machten. Ist das nicht kontraproduktiv, wenn die Partei sich öffnen muss auch für neue Zielgruppen?
Ganz klar: Die Muslime gehören zu Deutschland. Immerhin sechs bis sieben Prozent unserer Bevölkerung haben muslimische Wurzeln. Natürlich ist jede Form von Diskriminierung gegenüber Muslimen inakzeptabel, das ergibt sich auch aus unseren Grundwerten als Union. Ich rate uns als Partei sehr dazu, die Muslime in ihrer Vielfalt und mit ihrem Glauben zu akzeptieren.
Merz’ Pascha-Äußerung klingt aber ganz anders …
Na ja, ich selbst würde eine solche Äußerung nicht machen. Natürlich gibt es Missstände, die damit zu tun haben, dass sich in manchen Stadtteilen besonders viele junge Menschen mit schlechten Startchancen finden. Das muss auch dringend bearbeitet werden, allerdings ohne einen Generalverdacht gegenüber Menschen mit Zuwanderungshintergrund zu äußern.

Sie leiten die Fachkommission „Aufstieg“ in der CDU-Grundsatzkommission und schreiben: „Die Herkunft von Menschen darf nicht über ihre Zukunft entscheiden.“ Wie wollen Sie das umsetzen?
Wir sind in Deutschland bekanntlich schlecht darin, Bildungserfolg unabhängig von der sozialen Herkunft zu gewährleisten. Das sehe ich als eine der großen Herausforderungen für die Zukunft Deutschlands. Wir müssen dahin kommen, dass Kinder und Jugendliche mit schlechten Startchancen bzw. Zuwanderungshintergrund gleichermaßen individuellen Bildungserfolg erreichen und einen positiven Beitrag zu Gesellschaft und Wirtschaft leisten können wie andere. Um das zu schaffen, müssen wir Ungleiches ungleich behandeln: Kinder und Jugendliche, die mehr Unterstützung brauchen in der schulischen Laufbahn, müssen wir stärker fördern, das Gleiche gilt für Familien in Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen.
Carsten Linnemann, der wie Sie dem Bundesvorstand der Partei angehört, sagt aber, das Soziale gehöre zwar wesentlich zum „C“ in der CDU dazu, „aber nicht mit der Gießkanne“. Das klingt eher nach weniger als nach mehr Engagement in diesem Bereich.
Im Gegenteil. In den letzten Jahrzehnten sind wir, damit meine ich auch die CDU in den großen Koalitionen, sehr stark dazu übergegangen, Sozialleistungen allen zugute kommen zu lassen. Gerade in Sachen Bildungsgerechtigkeit müssen wir aber genauer schauen, welche Kinder und Jugendlichen brauchen Unterstützung, und die müssen sie dann auch kriegen.
Was heißt das konkret, etwa angesichts wachsender Kinderarmut? Muss der Staat da nicht mehr Geld in die Hand nehmen?
Kinderarmut und Bildungsarmut sind natürlich nicht hinnehmbar. Man muss aber sehen: Die Kinderarmut war bis 2021 rückläufig, im letzten Jahr hat sie wieder zugenommen, weil wir so viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine aufgenommen haben, die jetzt Anspruch auf Bürgergeld haben.
Das klingt nicht nach dem Plan fürs große Umsteuern.
Wir brauchen vor allem zwei Dinge: Erstens müssen die familienpolitischen Leistungen gebündelt und leichter zugänglich werden. Denn die Wahrheit ist ja: Viele Leistungen werden von den anspruchsberechtigten Familien gar nicht in Anspruch genommen, weil der Zugang uneinheitlich und viel zu bürokratisch ist. Und weil viele sich auch schämen. Deshalb plädiere ich unbedingt für eine Bündelung außerhalb des Sozialgesetzbuches. Und zweitens muss Schluss sein mit dem Silodenken zwischen Schule und Jugendhilfe. Es gibt derzeit zahlreiche Leistungen in unterschiedlichen Rechtskreisen, die nebeneinander herlaufen, da haben die Verantwortlichen keine Ahnung, was der andere tut. Da sind wir in Deutschland schlecht organisiert.
Zur Person
Karin Prien, 58, ist Vizevorsitzende der Bundes-CDU und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Sie gehört zum eher liberalen Flügel der Partei. Früher als andere setzte sie sich für den Parteiausschluss von Hans-Georg Maaßen wegen dessen antisemitischer Äußerungen ein. Teile der CDU Südthüringen forderten deshalb Priens Parteiausschluss.
Die gebürtige Amsterdamerin hat jüdische Wurzeln: Ihre Großeltern mussten in der NS-Zeit fliehen. rü
Das heißt, in mehr Geld sehen Sie nicht die Lösung?
Mehr Geld muss es schon deshalb natürlich geben, weil die bestehenden Leistungen durch Digitalisierung und Bündelung zugänglicher werden sollen. Dann werden mehr Kinder und Familien diese Hilfen in Anspruch nehmen, und das kostet dann mehr. Erhöhungen einzelner Leistungen sehe ich eher nicht beim Regelbedarf, aber durchaus beim digitalisierungsbedingten Sonderbedarf, etwa digitalen Endgeräten.
Machen wir einen Schnitt und kommen zurück zur CDU. Sie treten für Geschlechterparität ein, Ihre Partei hat aber eine eher bescheidene Quote beschlossen: Bis 2025 sollen 50 Prozent der Vorstandsposten weiblich besetzt sein. Sind Sie damit zufrieden?
Es war ein Kompromiss am unteren Ende dessen, was notwendig ist. Jetzt müssen wir sehen, wie die Umsetzung klappt.
Kann die CDU selbst diese bescheidene Quote überhaupt einhalten? Schon dieses Jahr sollen 30 Prozent Frauen in den Vorständen sitzen, aber nur ein Viertel der Mitgliedschaft ist weiblich.
Das ist eine Frage des politischen Willens und der politischen Führung. Ich kann da nur auf meinen Landesverband Schleswig-Holstein verweisen: Das Kabinett ist paritätisch besetzt, die Landtagsliste war paritätisch besetzt, wir haben ein Drittel Frauen in der Fraktion. Frauen belegen auch in der Fraktion paritätisch alle Spitzenpositionen. Es geht alles, man muss es nur politisch wollen.
Wie steht es mit der vielbeschworenen Abgrenzung nach rechts, zur AfD? In Sachsen hat Friedrich Merz kürzlich bei einer Regionalkonferenz zum Grundsatzprogramm erneut eine „Brandmauer“ gegenüber der AfD gefordert. Allerdings war der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht einmal anwesend. Das sieht nach ziemlich tiefen Gräben in der Partei aus in dieser Frage, gerade im Osten.
Ich kann das nicht erkennen. Wir haben nicht nur eine klare Beschlusslage. Es sind sich alle Mitglieder aller Führungsgremien der Bundespartei einig, dass die Abgrenzung zur AfD existenziell ist für die CDU.
In den ostdeutschen Bundesländern gibt es aber immer wieder Tendenzen, mal gemeinsam mit der AfD abzustimmen. Es wird auch über Bündnisse und Tolerierungen gesprochen.
Auf kommunaler Ebene gibt es hier und da solche Ereignisse, aber das passiert ja der SPD auch gelegentlich. Ich halte davon trotzdem nichts. Der Umgang mit der AfD stellt sich vor Ort eben manchmal anders dar, wie ja auch der Umgang mit der Linkspartei, ohne dass ich die beiden Parteien gleichstellen will. Das gilt aber nicht für die Landes- oder Bundesebene. Die CDU muss, um erfolgreich zu sein, Volkspartei der Mitte bleiben, deshalb darf sie den Weg der Republikaner in den USA eben nicht gehen.
Aber muss die CDU nicht der AfD Stimmen abnehmen, um erfolgreicher zu werden? Und wie kann das gehen?
Schauen Sie nach Schleswig-Holstein. Da haben wir als CDU bei der letzten Landtagswahl 43,4 Prozent geholt und die AfD ist aus dem Landtag geflogen. Es geht also. Wenn die Menschen das Vertrauen haben, dass die antretenden demokratischen Parteien die wichtigen Probleme auch lösen, dann wählen sie demokratische Parteien und nicht die AfD.
Andererseits ähneln sich die Äußerungen von CDU- und AfD-Politiker:innen immer wieder auffällig – siehe die Merz-Äußerungen über angeblichen „Sozialtourismus“ und über „kleine Paschas“. Stärkt man damit nicht die AfD eher noch, indem man sie kopiert?
Richtig ist, dass wir uns über Asyl und Flucht in Deutschland noch mal ganz neu Gedanken machen müssen. Wir werden in diesem Tempo nicht weiter Menschen aufnehmen können, die sozialen Infrastrukturen stoßen an ihre Grenzen. Aber wir brauchen dazu eine sachliche Debatte, und da müssen wir genau auf die richtige Tonlage achten.
Ihre Landes-CDU ist vergleichsweise liberal. Wie schwer ist Ihr Stand innerhalb des Gesamtspektrums der CDU?
Die CDU ist immer dann stark gewesen, wenn die verschiedenen Strömungen zur Geltung gekommen sind und einander mit Respekt behandelt haben. Das ist im letzten Jahr unter dem Vorsitz von Friedrich Merz gut gelungen. Ich erlebe ihn als abgewogenen, pragmatischen Politiker, auch in inhaltlichen Fragen, auch wenn mir nicht jede einzelne Äußerung gefällt. Aber das geht ihm umgekehrt sicher auch so.