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Bundesverfassungsgericht: Schranken für den Verfassungsschutz

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Von: Ursula Knapp

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Friedbert Mühldorfer (l) und Harald Munding, Kläger gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz, warten im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der Urteilsverkündung.
Friedbert Mühldorfer (l) und Harald Munding, Kläger gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz, warten im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der Urteilsverkündung. © dpa

Bayern muss nach Karlsruher Urteil ein Gesetz nachbessern. Fachleute sehen Auswirkungen auf andere Bundesländer.

Bayern muss die Befugnisse seines Verfassungsschutzes einschränken. Das Gesetz von 2016, das die geheimen Abhör- und Beobachtungsmöglichkeiten des Geheimdienstes deutlich erweiterte, ist teilweise verfassungswidrig. Dieses Urteil hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe verkündet. Damit hatte die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützte Verfassungsbeschwerde überwiegend Erfolg.

Allerdings ist das Verfassungsschutzgesetz nicht vom Tisch, sondern es muss in zahlreichen Einzelpunkten bis spätestens Ende Juli 2023 nachgebessert werden. Das betrifft unter anderem die Wohnungsüberwachung, Online-Durchsuchungen von Computern oder den Einsatz von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Ebenso wird die Weitergabe von Erkenntnissen an Polizei oder staatliche Behörden eingeschränkt. Bis zur Novelle ist das Gesetz nur unter Auflagen anwendbar.

Bundesverfassungsgericht: Heimliche Überwachung muss eingeschränkt werden

Trotzdem war der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit dem Urteil zufrieden: „Das Urteil stärkt insgesamt den Verfassungsschutz in Deutschland.“ Seine Arbeit sei grundsätzlich als notwendig bestätigt worden. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, sei machbar, sagte Herrmann in Karlsruhe. Die GFF, die die Verfassungsbeschwerden von Mitgliedern des Vereins der Verfolgten des Naziregimes (VVN) unterstützt hatte, betonte die Signalwirkung des Urteils. „Die Bedeutung geht weit über Bayern hinaus, denn es gibt nach unserer Kenntnis auch andere Verfassungsschutzgesetze, die nicht die Standards erfüllen, die das Urteil festgelegt hat“, sagte Maria Scharlau, Sprecherin der GFF.

Nicht nur linksstehende Organisationen, auch die AfD gilt inzwischen als Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes. Mitglieder können vom Bundesverfassungsschutz observiert und V-Leute eingesetzt werden. Die dagegen gerichtete Klage der AfD war bisher erfolglos.

Zu den heimlichen Überwachungsmaßnahmen, die jetzt eingeschränkt werden müssen, gehört der sogenannte Große Lauschangriff auf Wohnungen. Das Abhören und der Einsatz verdeckter Kameras waren dem bayerischen Verfassungsschutz zwar schon bisher nur bei einer dringenden Gefahr erlaubt, aber es fehle, dass die Überwachung auch der „Abwehr“ dieser Gefahr dienen muss. Außerdem wurde der Kernbereich privater Lebensführung, zu dem der Intimbereich gehört, nicht ausreichend geschützt. Das wird vom Ersten Senat als Verstoß gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung beanstandet. Außerdem setzt der Einsatz des Verfassungsschutzes künftig voraus, dass polizeiliche Überwachungsmaßnahmen nicht rechtzeitig erfolgen könnten.

Bundesverfassungsgericht: Onlinedurchsuchung nur zur „Abwehr konkretisierter Gefahr“

Ebenso darf die Onlinedurchsuchung nur zur „Abwehr einer zumindest konkretisierten Gefahr“ zugelassen werden. Auch hier gilt der Schutz des privaten Kernbereichs, der von einer unabhängigen Stelle vor Weitergabe der Erkenntnisse geprüft werden muss. Der Einsatz verdeckter Mitarbeiter:innen oder von V-Leuten des Verfassungsschutzes muss an höhere Eingriffsschwellen gebunden werden. „Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ genügen nach dem 153 Seiten umfassenden Urteil nicht.

Dem Einsatz sind vor allem enge Grenzen gesetzt, wenn unbeteiligte Dritte in die Personenüberwachung einbezogen sind. Auch hier fordert das Gericht eine Vorabkontrolle durch eine unabhängige Einrichtung.

Die Befugnis des Verfassungsschutzes, gespeicherte Telefondaten aus der Vorratsdatenspeicherung abzurufen, wurde für nichtig erklärt. Der Abruf sei überhaupt nicht möglich, weil die Telekommunikationsunternehmen schon nach Bundesrecht nicht zur Weitergabe an die Länder befugt oder verpflichtet seien. Gibt der Verfassungsschutz Erkenntnisse an die Polizei weiter, die er durch geheime Maßnahmen erlangt hat, dann ist das nur zulässig, wenn die Polizei angesichts der bedrohten Rechtsgüter ebenfalls berechtigt gewesen wäre, heimliche Überwachungsmaßnahmen einzusetzen.

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