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Bundestag würdigt erstmals queere NS-Opfer

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Von: Tatjana Coerschulte

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Zeichen gegen Intoleranz: das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten. Foto: Imago Images.
Zeichen gegen Intoleranz: das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten. Foto: Imago Images. © imago images / Schöning

Die Nationalsozialisten ermordeten auch Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung. Daran soll am diesjährigen Holocaust-Gedenktag besonders erinnert werden.

Etwa 7500 Menschen befanden sich noch im Konzentrationslager Auschwitz, als Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945 den Todeskomplex erreichten. Es waren bis auf das Skelett abgemagerte Überlebende, welche die Nationalsozialisten angesichts der nahenden Front nicht mehr auf „Todesmärsche“ geschickt oder direkt im Lager ermordet hatten. In den fünf Jahren zuvor waren bis zu 155 000 Menschen zeitgleich in Baracken auf dem Gelände zusammengepfercht gewesen. Etwa anderthalb Millionen Menschen - vor allem Jüdinnen und Juden, aber auch Sinti:zze und Rom:nja, Pol:innen und Kriegsgefangene - wurden im KZ ermordet.

Der Gedenktag: Auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog wurde in Deutschland 1996 erstmals ein „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ begangen. Festgelegt wurde er auf jenen 27. Januar, an dem 1945 das KZ Auschwitz befreit worden war. Europaweit wird seit 2002 ein solcher Gedenktag begangen, in Frankreich ebenfalls am 27. Januar, in anderen Ländern je nach ihrer Historie an anderen Daten. 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Der Tag wird mit Blick auf die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden oft als „Holocaust-Gedenktag“ bezeichnet. In Deutschland ist er explizit allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtungspolitik gewidmet.

Das Gedenken in diesem Jahr: 2023 legt der Bundestag den Fokus auf die Verfolgung sexueller Minderheiten durch das NS-Regime. „Es ist wichtig zu zeigen: Im Nationalsozialismus hat es diese Opfer gegeben – und auch nach dem Krieg hat es noch Verfolgung gegeben“, sagte Bundestagspräsidenten Bärbel Bas im Vorfeld. An diesem Freitag wird die SPD-Politikerin die Gedenkstunde um 10 Uhr eröffnen. Die Gedenkrede hält die Holocaust-Überlebende Rozette Kats. Weiterer Redner ist Klaus Schirdewahn, der 1964 wegen sexueller Beziehungen zu einem Mann verurteilt worden war. Der Schauspieler Jannik Schümann und die Schauspielerin Maren Kroymann tragen Texte über zwei Opfer vor, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Verfolgung sexueller Minderheiten während der NS-Zeit stehen.

Digitales Erinnern

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das 1992 begann. Zehntausende der kleinen Gedenktafeln erinnern auf Gehwegen in Deutschland und ganz Europa an die Schicksale der Menschen, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Das Projekt gilt als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Eine App erweitert es in den digitalen Raum. Dafür nutzt die Agentur „D-Sire“ Daten von Wikipedia und „Open Street Map“. Informationen zur Lage der Stolpersteine und zu den gewürdigten Einzelschicksalen werden so mit mobilen Endgeräten einsehbar. Beteiligt sind viele Städte, darunter Berlin, Dresden, Frankfurt am Main und Würzburg. FR

Verfolgung Homosexueller: Nach dem Paragraf 175 Strafgesetzbuch standen sexuelle Handlungen zwischen Männern seit dem Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1969 unter Strafe. Eine Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem NS-Regime 1935: Allein ein Verdacht war ausreichend, um zu bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt zu werden. Trotz dieser Vorgeschichte sah das Bundesverfassungsgericht 1957 die Strafbestimmung als nicht nationalsozialistisch geprägt und erlaubte ihre weitere Anwendung. In der DDR hingegen fand die Vorschrift zwischen 1957 und 1968 nur in abgemilderter Form Anwendung und wurde anschließend aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Gesetz 1969 geändert: Homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern über 21 Jahren wurden straflos gestellt. Erst 1994 beschloss der Bundestag die endgültige Streichung des Paragrafen.

Kampf um Anerkennung: Andere Opfer setzen sich weiter für die Anerkennung als Verfolgte des NS-Regimes ein. So fordert die Bundesvereinigung Lebenshilfe, in der NS-Zeit ermordeten Menschen mit Behinderung offiziell als Verfolgte zu bezeichnen. Auch der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten beklagt fehlende Anerkennung und Entschädigung. Und in Nürnberg gründeten jetzt Angehörige von Menschen, die in der NS-Zeit als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslager verschleppt und ermordet worden waren, einen Verband für die „Erinnerung an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus“. mit afp/epd

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