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Bundestag: FDP rückt in die Mitte, CDU und CSU müssen neben AfD sitzen

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Von: Mirko Schmid

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Unionsfraktionschef Ralph Brinkaus erzürnt über die neue Sitzordnung in Richtung der Ampel-Koalition: „Wie klein ist das denn?“
Unionsfraktionschef Ralph Brinkaus erzürnt über die neue Sitzordnung in Richtung der Ampel-Koalition: „Wie klein ist das denn?“ © John MacDougall/afp

72 Jahre lang saß die FDP im Bundestag rechts der Union. Nun rücken CDU und CSU nach rechts und müssen neben der AfD Platz nehmen.

Berlin - Das links-rechts Schema im Parlament hat eine lange Tradition. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts saßen in der französischen Abgeordnetenkammer jene Mitglieder des Hauses vom Redepult aus gesehen links, welche einen progressiven Politikansatz vorantrieben und jene rechts, die eine konservative Politik verfolgten. Diese Sitzordnung breitete sich in ganz Europa aus und gilt heute gewissermaßen als Standard. So auch im Deutschen Bundestag, wo seit jeher die Abgeordneten der SPD links und die der CDU rechts saßen.

1949 folgte die FDP, nur ein Jahr nach ihrer Gründung im hessischen Heppenheim an der Bergstraße, den Sozialdemokraten und den Christdemokraten ins Parlament. Mit 11,9 Prozent errangen die Liberalen 52 der damals 402 Mandate, eine neue Sitzordnung musste her. Und die war schnell gefunden. Die FDP, die zu dieser Zeit als gemäßigt rechtsliberal galt, nahm ganz rechts Platz. Dort also, wo heute die AfD ihren Platz eingenommen hat. Seit dem Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag saß die FDP somit nicht mehr ganz rechts im Plenarsaal, aber immer noch rechts der Union. Der ehemalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP und heutige Justizminister Marco Buschmann bezeichnete diesen Umstand zuletzt als „historischen Fehler“.

Die FDP haderte nämlich gleich doppelt mit ihrem Platz im Parlament. Erstens sehe man sich als Partei der bürgerlichen und gesellschaftlichen Mitte. Keineswegs also rechts der CDU und CSU, welche mit ihrer konservativen Ausrichtung nach Meinung der FDP eigentlich weiter rechts sitzen müsste. Und zweitens saß man eben neben der AfD, die nach ihrem ersten Einzug in den Bundestag 2017 ganz selbstverständlich am rechten Rand des Parlaments Platz nahm. Und damit neben den Abgeordneten einer Partei, neben der niemand so recht Platz nehmen wollte.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkaus erzürnt über die neue Sitzordnung in Richtung der Ampel-Koalition: „Wie klein ist das denn?“
Unionsfraktionschef Ralph Brinkaus erzürnt über die neue Sitzordnung in Richtung der Ampel-Koalition: „Wie klein ist das denn?“ © John MacDougall/afp

Sitzordnung FDP korrigiert mit SPD, Grünen und Linkspartei „historischen Fehler“ – Union rückt nach rechts

Mehrfach äußerten sich Abgeordnete der FDP empört über Äußerungen und Beleidigungen aus den Reihen der AfD-Fraktion, SPD-Politikerin Barbara Hendricks sprach in einer viel beachteten Rede unter tosendem Applaus im Bundestag offen das aus, was wohl viele dachten: „Wir wissen, dass sie insbesondere Kolleginnen, die in ihrer Nähe sitzen, beleidigen.“

Und sie täten dies, so Hendricks, besonders perfide - nämlich nur so laut, dass zwar die Beleidigten sie hören könnten, allerdings auch leise genug, um zu verhindern, dass die unhöflichen Äußerungen ins Protokoll aufgenommen werden könnten. Davon hat die FDP, die als Sitznachbar der Rechtsaußen solcherlei Anfeindungen schon durch die Sitzordnung wohl häufiger ausgesetzt waren, offensichtlich genug gehabt. Sie bat ihre, damals noch zukünftigen, Koalitionspartner aus SPD und Grünen schon während der Sondierungsgespräche darum, den „historischen Fehler“ der Sitzordnung rückgängig zu machen. Und die Union damit zur ungeliebten AfD zu setzen.

Die Union ihrerseits wollte sich so gar nicht der Idee einer neuen Sitzordnung anfreunden. Der ehemalige Fraktionschef, Bundesminister und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble etwa mahnte während der konstituierenden Sitzung in der Rolle des Alterspräsidenten des Bundestages davor, die die Sitzordnung im Bundestag „mit der Brechstange“ zu ändern. Dies sei eine Stilfrage, betonte der langjährige Parlamentarier, er verspüre „einen Hauch von Arroganz der Macht.“

CDU und CSU müssen neben AfD sitzen – im Abstimmungsverhalten offenbaren sich Gemeinsamkeiten

Der aktuelle Vorsitzende der Unionsfraktion Ralph Brinkhaus, schlug in seiner Antwort auf die erste Regierungserklärung des neu gewählten Kanzlers Olaf Scholz in eine ähnliche Kerbe. Er forderte die Ampelregierung dazu auf, ihren Respekt vor der Opposition dadurch kundzutun, indem „Sie die 70 Jahre alte Sitzordnung in diesem Parlament respektieren und nicht mit Ihrer Mehrheit umwerfen“. Gegenteilige Pläne der Koalitionäre kritisierte er scharf und warf die rhetorische Frage in den Raum: „Wie klein ist das denn?“

Fraktion (v.l.n.r.)Sitze
Die Linke39
SPD206
Bündnis 90/Die Grünen118
Fraktionslos (Liste SSW)1
FDP92
CDU/CSU197
AfD82
Fraktionslos (Liste AfD)1
Gesamt736

Ihm antwortete der frisch gewählte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Der Nachfolger des ins Amt des Finanzministers gewechselten Parteivorsitzenden Christian Lindner warf Brinkhaus vor, die Rolle einer „beleidigten“ Opposition einzunehmen. Und damit die eigenen Worte zu konterkarieren, wonach die Union als „Opposition der Mitte“ ihre Rolle ohne „Bitterkeit und Enttäuschung und Empörung“ wahrnehmen wolle.

Nur: Genutzt hat der Widerstand der Union wenig, mit den Stimmen der Ampelkoalition und der Fraktion der Linkspartei machte der Bundestag am Donnerstag (16.12.2021) den Weg für die neue Sitzordnung frei. Und sorgte damit dafür, dass nun ausgerechnet die einzigen beiden Fraktionen, die gegen den Antrag stimmten, nebeneinander Platz nehmen müssen. Immerhin: In der Ablehnung der neuen Sitzordnung waren die neuen Nachbarn ja bereits einer Meinung. (Mirko Schmid)

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