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Bulgarien schlingert zur nächsten Wahl

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Von: Adelheid Wölfl

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Vor der Wahl fällt es Politikern wie Kiril Petkov immer schwieriger, die Menschen zu erreichen.
Vor der Wahl fällt es Politikern wie Kiril Petkov immer schwieriger, die Menschen zu erreichen. © afp

Beim Urnengang am Sonntag geht es auch darum, wie hoch Moskaus Einfluss bleibt – und ob endlich die Korruption eingedämmt wird. Die Regierungsbildung wird wohl schwierig.

Je öfter die Wahlen stattfinden, desto geringer wird die Wahlbeteiligung. Denn seit zweieinhalb Jahren schaffen es Bulgariens Parteien nicht, tragfähige Koalitionen zu bilden. Am Sonntag ist es wieder einmal so weit: Die Menschen sind zur fünften Parlamentswahl seit 2021 gerufen.

Laut Vessela Tšerneva vom European Council of Foreign Relations in Sofia liegen die beiden reformorientierten liberalen Parteien „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und die Demokratische Partei (DP) gemeinsam etwa gleich auf mit der Klientelpartei Gerb des früheren Premiers Bojko Borrisov, die Teil der mächtigen Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Die Expertin sieht zwei Möglichkeiten: Die PP und die DP könnten mit Unterstützung der Gerb eine Koalition bilden. Die andere Option wäre eine von der Gerb geführte Regierung mit der rechtsradikalen Pro-Kreml-Partei „Wiedergeburt“ und den Sozialisten, die keine klar pro-westliche Position einnehmen. Offensichtlich sei, dass die „Wiedergeburt“ und die Gerb einander im Wahlkampf schonten – was als eine Art Nichtangriffspakt für spätere Koalitionsverhandlungen gedeutet werden kann.

Mittlerweile gibt es auch bereits verfassungsrechtliche Bedenken gegen das lange Regierungsvakuum in Bulgarien. Denn ohne gewählte Regierungen regiert praktisch der eigentlich nur repräsentative Staatschef Rumen Radev, der technische Regierungen nach seinem Gutdünken einsetzt. Das sei „gegen den Geist der Verfassung“, so Tšerneva.

Bulgarien: Echte Gewaltenteilung fehlt

Eine Koalition zwischen den reformorientierten Kräften PP und DP mit der als notorisch korrupt geltenden Gerb ergäbe zwar eine stabile Mehrheit. Allerdings haben PP und DP bisher immer eine Zusammenarbeit mit der Gerb ausgeschlossen, weil sie davon ausgehen, dass mit der Klientelpartei keine Justizreform möglich ist, die auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit aber nötig wäre. Insbesondere der mächtige Generalstaatsanwalt Ivan Gešev, der als Borissov-Vertrauter gilt, wird von Rechtsexpert:innen seit Jahren als zentrale Figur für das Unterlaufen der Justiz durch parteiliche Interessen genannt.

Laut der Rechtsexpertin Radosveta Vassileva vom University College London müsste das künftige Parlament in mindestens drei Bereichen die Gewaltenteilung einführen, um „ein gewisses Maß an Normalität“ als demokratischer Rechtsstaat zu erreichen. Dazu gehörten die Staatsanwaltschaft, der Oberste Justizrat, der für die Wahl und Beförderung aller Richter verantwortlich ist, und die Antikorruptionsbehörde. Darüber hinaus müsse Bulgarien seine Strafprozessordnung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta in Einklang bringen.

Vassileva verweist darauf, dass sich Bulgarien trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seit 13 Jahren beharrlich weigert, einen Mechanismus einzuführen, der ermöglichen würde, dass auch der Generalstaatsanwalt – zur Zeit Ivan Gešev – überprüft werden kann.

Bulgarien: Moskaus Einfluss spaltet

Die Wahlen sind auch wegen der geopolitischen Ausrichtung Bulgariens wichtig. Im Land gibt es starke Kräfte, die mit dem Kreml sympathisieren. Der Sicherheitsanalytiker Bojko Nikolov meint, die Kluft zwischen Parteien pro und contra Kreml sei nie größer gewesen. Die Sozialisten versuchten sich als „neutral“ darzustellen. Die ehemaligen Kommunisten sympathisierten aber mit Russland. Die Partei PP sei zwar ganz klar prowestlich, erkläre aber nicht konzise, wie Bulgarien sich von der russischen Abhängigkeit lösen könne. Die Gerb habe bereits in der Vergangenheit gezeigt, wie nahe sie den russischen Interessen stehe. „Zweifellos hat der Kreml weiterhin Einfluss in Bulgarien. Und keine der Parteien zeigt den Wunsch, die langfristige Abhängigkeit Russlands zu verringern“, erklärt Analyst Nikolov.

Wie labil die Lage ist, zeigte sich derweil am Dienstag, als nach Bombenwarnungen Dutzende Schulen sowie die Wirtschaftsuniversität in Sofia geräumt wurden. Sprengsätze wurden nicht gefunden, der geschäftsführende Innenminister Iwan Demerdschiew sagte, man gehe von „hybriden Angriffen“ aus, die in „irgendeiner Weise mit Russland verbunden sind“. Die meisten Wahllokale sind in Schulen untergebracht. mit dpa

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