„Solidarität ist keine Einbahnstraße“: Lindner verteidigt die Härten beim Bürgergeld
Höherer Regelsatz, aber Sanktionen bleiben bestehen: Die Kritik beim Bürgergeld hält an. Doch für Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist die Reform sozial gerecht.
Berlin – Das Bürgergeld kommt, die Kritik bleibt: Nach harten Auseinandersetzungen zwischen Bundesregierung und Opposition ist die Reform zur Abschaffung von Hartz IV auf dem Weg. Ab Januar 2023 werden den Bedürftigen in Deutschland höhere Regelsätze ausgezahlt. Doch vielleicht wäre mehr drin gewesen?
Bürgergeld 2023 und Entlastungspakete: Ab wann und wie viel? Christian Lindner (FDP) hält Reform für gerecht
Aus Sicht von Sozialverbänden und Gewerkschaften hat die Politik bei der Einführung vom Bürgergeld 2023 die Bedürfnisse von den sozial Schwachen in der Gesellschaft zu sehr ignoriert. Der Vorwurf: Statt sich in der Energiekrise auf die unteren und mittleren Einkommensschichten zu konzentrieren, wurden Milliardensummen bei den Entlastungspaketen mit der Gießkanne über alle Bevölkerungsschichten ausgegossen. Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) weist das zurück. Im Interview mit kreiszeitung.de und merkur.de von IPPEN.MEDIA spricht er darüber, warum auch Reiche entlastet werden müssen und warum er außer beim Bürgergeld in Zukunft keine gemeinsame Sache mit der Union machen will.
Herr Lindner, halten Sie die Entlassungspakete für gerecht und sozial ausgewogen? Häufig kam der Vorwurf der Gießkanne bei den Entlastungspaketen zum Tragen. Werden in Zukunft die Besserverdiener und Reichen beim Abtragen der Schulden noch mehr schultern müssen?
In Ihrer Frage ist eine Feststellung enthalten, die unzutreffend ist.
Warum?
Die Entlastungspakete sind sozial ausgewogen. Die Energiepreispauschale muss mit dem persönlichen Steuersatz versteuert werden. Und diejenigen, die über ein höheres Einkommen verfügen, müssen auch die Gaspreisbremse versteuern. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass heute die Hälfte der Steuerpflichtigen kaum Steuern zahlt und die andere Hälfte nahezu das gesamte Aufkommen der Lohn- und Einkommensteuer.
Was sagen Sie diesen Menschen?
Zur sozialen Fairness gehört allseitiger Respekt. Wir brauchen die Ingenieurin und den Facharbeiter gleichermaßen, wenn unsere Gesellschaft stabil sein soll. Viele Menschen haben eine lange Ausbildung absolviert, tragen jetzt Verantwortung in Teams, gehen wirtschaftliche Risiken ein oder sichern Arbeitsplätze durch ihre Fähigkeiten. Deshalb darf man Fach- und Führungskräfte mit ihrem höheren Einkommen nicht dauerhaft nur als Ziel von Umverteilung betrachten. Deren Beitrag zum Gelingen unserer Gesellschaft verdient auch Anerkennung.
Energiepreispauschale für Rentner statt höhere Regelsätze im Bürgergeld: Lindner warnt vor falschen Vergleichen
Was bedeutet das für Rentner? Diese sind zunächst bei Entlastungen wie der Energiepreispauschale leer ausgegangen, bevor jetzt für den Dezember nachgebessert wurde.
Rentnerinnen und Rentner erhalten die Strom- und Gaspreisbremse wie alle. Außerdem haben wir zum Beispiel das neue Wohngeld, das auch Rentnerinnen und Rentner erhalten können, wenn sie in der eigenen Wohnung leben, aber das Einkommen für die hohen Preise nicht reicht.
Abseits der Rentner fühlen sich vor allem viele ärmere Haushalte verschaukelt. Beim Feilschen ums Bürgergeld hat sich die Wut entladen. Viele fühlen sich in der Krise mit einem Almosen abgespeist. Verstehen Sie den Ärger?
Wir wenden einen sehr hohen Teil unserer jährlichen Wirtschaftsleistung für soziale Aufgaben auf. Bei der Bürgergeld-Debatte haben sich viele Menschen an mich gewendet, die keine Sozialleistungen beziehen, aber für einen geringeren Lohn voll arbeiten. Die waren nicht unsolidarisch mit Bedürftigen, aber haben mich gefragt, wie man auf Mitwirkungspflichten verzichten kann, wenn jemand vorsätzlich die Zusammenarbeit verweigert. Deshalb haben wir das korrigiert. Das Bürgergeld ist keine Leistung, die man auf Dauer in Anspruch nehmen soll. Ihr Ziel ist es, dass Menschen schnell in die Teilhabe am Arbeitsmarkt und damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit zurückkehren.
Aber rächt es sich, dass die Ampel bei den Entlastungen das Prinzip Gießkanne angewandt hat und nicht zielgerichtet nur diejenigen entlastet hat, die es wirklich brauchen?
Wir mussten nach dem Angriff auf die Ukraine schnell reagieren. Deshalb war nicht jede Maßnahme so, wie man sie sich mit langer Vorbereitungszeit erdacht hätte. Denken Sie an das 9-Euro-Ticket, das ganz sicher eine Entscheidung mit Prinzip Gießkanne war. Dennoch ist daraus etwas Gutes entstanden, dass mein liberaler Kollege Volker Wissing nämlich den Tarifdschungel dauerhaft durch ein digital buchbares Deutschlandticket ersetzen kann. Unabhängig von der Krise haben wir tatsächlich mit Absicht die ganze, arbeitende Mitte der Gesellschaft entlastet. Das hat die FDP ja auch vor der Bundestagswahl als Ziel ausgegeben. Dazu gehört etwa die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags, die Erhöhung des Grundfreibetrags, die Erhöhung des Kindergeldes, die volle steuerliche Abzugsfähigkeit der Rentenversicherungsbeiträge.
Auszahlung beim Bürgergeld auf der Kippe: Finanzminister Lindner sieht Blockade der Union als gerechtfertigt an
Die Union hat das Bürgergeld aber zerfleddert und zeitweise die Auszahlung blockiert. Reform trotzdem gelungen?
Ja. Der Vermittlungsausschuss hat das Bürgergeld tatsächlich besser gemacht.
Weil die CDU auch alte FDP-Positionen durchgedrückt hat. Hand aufs Herz: Waren Sie froh, dass die Opposition ihre Koalitionspartner zu Kompromissen gezwungen hat?
Das, was uns wichtig war, ist erhalten geblieben.
Nämlich?
Der Vorrang der Qualifikation und die besseren Verdienstmöglichkeiten für die Bürgergeld-Empfänger. Es ist doch nicht einzusehen, dass eine Auszubildende, die vielleicht 800 Euro als Ausbildungsvergütung verdient, von dem Geld das allermeiste abgeben muss beim Staat, weil sie in einer Familie lebt, die Hartz-IV bekommen hat. Beim Bürgergeld bleiben einer Auszubildenden mit 800 Euro an Ausbildungsvergütung jetzt gut 600 Euro.
Und was hat das Finanzministerium vorher übrig gelassen?
Nicht das Finanzministerium ist zuständig, sondern das Arbeits- und Sozialministerium. Es blieben jedenfalls nur gut 240 Euro. Aber das ist jetzt korrigiert. Das war mein besonderes Anliegen. Leistung muss sich lohnen. Wer fleißig ist, wer arbeitet, muss davon auch einen Vorteil haben. Und die Union hat Klarstellungen bei der Frage der Bürgergeld-Sanktionen gewollt. Es ist kein Geheimnis: Diese Klarstellungen fand und finde ich richtig, denn es muss die Mitwirkungspflicht geben. Wir sind solidarisch mit Menschen, die bedürftig sind. Aber Solidarität sollte man nur so lange und so weit in Anspruch nehmen, wie man sie wirklich braucht. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Das Bürgergeld als Vorbote für Schwarz-Gelb? Christian Lindner (FDP) sieht Zusammenarbeit mit Union als Einzelfall an
Die CDU blockiert und verschafft der FDP im Dreierbündnis mehr Macht bei bürgerlichen Inhalten - werden wir es auch in Zukunft mit einer gelb-schwarzen Schattenregierung zu tun haben?
Nein, das ist eine Fehlwahrnehmung. Das Bürgergeld, wie es die Koalition verabschiedet hat, war bereits gut und richtig. Denn die Vorhaltung der Union, es gebe keine Mitwirkungspflicht mehr, entbehrte ja jeder Grundlage. Weshalb ich gerade mit Blick auf das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ja auch nur von Klarstellungen gesprochen habe.
Dennoch haben sie sich von Anfang an im Ampel-Bündnis als Korrektiv der bürgerlichen Mitte gesehen. Nach dem Punktsieg beim Bürgergeld: Worauf müssen sich die Partner bei der FDP noch einstellen?
Mir geht es nicht um parteipolitische Punktsiege. Wir wollen, dass Deutschland gut durch die Krisen kommt. Außerdem haben wir liberale Modernisierungsprojekte, die wir umsetzen wollen. Die FDP nimmt in der Regierung eine Rolle als Gestalter wahr, der Fortschritt ermöglicht. Wir sorgen dafür, dass das Land in der Mitte bleibt.
Das heißt, nach einem Jahr Ampel-Koalition bereuen Sie den Schritt in das Dreier-Bündnis nicht?
Es war nicht unsere Wunschkoalition. Es ist auch jeden Tag eine Herausforderung. Aber wir scheuen Verantwortung nicht. Es geht um unser Land.
Nach dem Hin und Her im Bundesrat wird die Auszahlung vom Bürgergeld jetzt auf jeden Fall pünktlich zum Jahreswechsel erfolgen. Auch die vielen Entlastungen rund um die Gaspreisbremse sind auf dem Weg. Doch in den kommenden Jahren müssen die dafür aufgenommenen Schulden abgetragen werden. Geht das ohne Steuererhöhungen? Über die Auswirkungen der hohen Gaspreise äußert sich Finanzminister Christian Lindner in Teil 2 unseres Interviews.