Brexit spaltet Vereinigtes Königreich – Opposition greift Boris Johnson scharf an

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will jetzt nur noch ein großes, harmonisches und einiges Königreich führen. Doch der Brexit ruft die Kritiker auf den Plan.
Boris Johnson drückt aufs Tempo: In einer vom wiedergewählten Premierminister anberaumten Sondersitzung hat das Londoner Unterhaus am Freitag das EU-Austrittsgesetz auf den Weg gebracht: mit 358 Stimmen dafür und 234 dagegen. Nun ist der legislative Grundstein gelegt, damit Großbritannien Europa im nun vierten Anlauf am 31. Januar Ade sagen kann. „Es ist nun Zeit, die Blockade zu überwinden und den Brexit zu vollenden“, sagte der Regierungschef.
Wie im Wahlkampf versprochen, macht die im Amt bestätigte – und gestärkte – Regierung den Austritt zu ihrer absoluten Priorität der nächsten Wochen. Deshalb wurde das Gesetz bereits am Donnerstag, dem Tag der Regierungserklärung („Queen’s Speech“), in erster Lesung ins Unterhaus eingebracht. Normalerweise sind einige Sitzungstage nach der „Ansprache“ der Monarchin ausschließlich der Debatte über die Regierungsvorhaben vorbehalten. Nach der zweiten Lesung am Freitag ging das Parlament in eine gut zweiwöchige Weihnachtspause. Dem Programm der Regierung zufolge soll ihre Vorlage bereits in der ersten Sitzungswoche im Januar alle parlamentarischen Stationen im Unterhaus passieren; nach der Analyse durch das Oberhaus könnte es am 16., spätestens am 23. Januar Gesetz werden.
Festgeschrieben wird damit nicht nur der Austrittstermin Ende Januar, sondern auch das Ende der Übergangsfrist mit Silvester 2020 – einer der Kritikpunkte der Opposition, die wie viele Akteure in Brüssel die Verabredung eines Freihandelsabkommens binnen elf Monaten für unerreichbar hält. Johnson wischte das beiseite: „Ich lehne jede weitere Verzögerung ab“, sagte der Premier. Johnson verglich die dreieinhalb Jahre nicht enden wollender Parlamentsdebatten seit dem Referendum im Juni 2016 mit dem Cartoon-Strip „Peanuts“, in dem Lucy Charlie Brown immer wieder aufs Neue dessen Fußball entreißt.
Brexit: Fundierte Kritik von Labour an Boris Johnson
Der Premierminister äußerte am Freitag seine Hoffnung, das künftige Verhältnis zwischen Königreich und Kontinent werde „wie bisher von Wärme und Zuneigung“ geprägt sein: „Wir nennen unsere europäischen Nachbarn stolz unsere besten Freunde.“ Die Briten forderte Johnson dazu auf, die Kontroverse über den EU-Austritt hinter sich zu lassen, ja sogar das Wort „Brexit“ nicht weiter zu verwenden.
Den Wortmeldungen der Opposition nach zu schließen, ist das Land von einer „Heilung“, die sich der Regierungschef wünscht, weit entfernt. Die schlechte Vorlage sei im neuen Anlauf „noch schlechter“ geworden, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn und empörte sich besonders über zwei Auslassungen gegenüber jenem Gesetz, das im Oktober das Unterhaus passiert hatte. Dabei geht es um Arbeitnehmerrechte und die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, Letzteres ein Anliegen des 87-jährigen Naziflüchtlings Lord Alfred Dubs. „Der Premierminister sollte sich schämen“, tadelte Corbyn seinen Widerpart.
Johnson beteuerte, beide Vorhaben seien auch weiterhin Regierungspolitik, hätten aber in dem Austrittsgesetz selbst nichts zu suchen. Tatsächlich wurden in der Queen’s Speech mehr als 30 Vorhaben angekündigt: Brexit-Begleitgesetze zu Themen wie Einwanderung und Handel, Fischerei und Landwirtschaft sowie Finanzdienstleistungen und mehr. Die müssen alle 2020 verabschiedet werden, um einen reibungslosen EU-Austritt zu ermöglichen.

Für die schottische Nationalpartei SNP lehnte deren Fraktionschef Ian Blackford das Gesetz und den EU-Austritt erneut rundweg ab. Johnsons mit 43,6 Prozent gewählte Regierung habe im britischen Norden kein Mandat, schließlich hätten sich 45 Prozent der Schotten für seine Partei entschieden, argumentierte Blackford und forderte ein baldiges zweites Referendum: „Wir wollen ein unabhängiges Schottland in der EU.“
Brexit: Zweifel aus Nordirland
Johnson musste sich auch Kritik von allen Vertretern Nordirlands anhören. „Es gibt keinen guten Weg zum Brexit“, sagte die neugewählte SDLP-Abgeordnete Claire Hanna aus Belfast. Die katholische, auf Dublin orientierte Minderheit Nordirlands war in der vergangenen Legislaturperiode nicht im Unterhaus vertreten gewesen, weil die republikanische Sinn Féin ihre sieben Sitze traditionell nicht einnimmt. Neu im Parlament ist auch ein Vertreter der überkonfessionellen Alliance, die wie die meisten Gruppierungen in der britischen Provinz den EU-Austritt ablehnt.
Hingegen bekannte sich der Fraktionschef der protestantischen Unionistenpartei DUP, Jeffrey Donaldson, ausdrücklich zum Brexit, meldete aber schwere Zweifel am Austrittsgesetz an. Um die Landesgrenze zwischen der britischen Provinz und der Republik weiter offenzuhalten, sieht der Austrittsvertrag Zoll- und Lebensmittelüberprüfungen zwischen Nordirland und England vor. Dies stößt den Unionisten sauer auf.