SPD hat bei Bremen-Wahl „das Minimalziel erreicht“

Politikwissenschaftler Andreas Klee im Interview nach der Bremen-Wahl über die SPD, „Bürger in Wut“ und die CDU als Protestpartei.
Herr Klee, was am Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl überrascht Sie am meisten?
Was ich vorher nicht erwartet hätte, sind die über 20 Prozent für die „Bürger in Wut“ in Bremerhaven. Das ist eine richtige Ohrfeige für die etablierten Parteien in Bremen. „Bürger in Wut“ ist keine Partei, mit der man einen nachhaltigen Politikstil oder inhaltliche Arbeit verbindet. Dass ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung in Bremerhaven sich genötigt fühlt, so eine Partei zu wählen, ist ein dramatischer Wert.
Die „Bürger in Wut“ wurden in Bremerhaven gegründet. Ist der Name Programm?
Sie sind gar nicht so wütend, aber der Name trägt bestimmt dazu bei, dass Menschen, die wütend sind auf die bremische Politik, sich zu der Partei hinzugezogen fühlen. Letztendlich hat Jan Timke, der die Partei seit vielen Jahren fast als Einzelkämpfer bestimmt und in der Bürgerschaft sitzt, eine bürgerlich-konservative Politik gemacht.
Außerhalb Bremens werden die „Bürger in Wut“ leicht als AfD-Verschnitt eingeordnet.
Man würde Jan Timke Unrecht tun, wenn man ihn mit Rechtsextremen in einen Topf wirft. Die „Bürger in Wut“ versuchen sich stark abzugrenzen von der AfD und eher, das konservative Klientel der CDU abzugraben. Jan Timke besetzt auch nicht ständig Themen am äußersten rechten Rand. Er macht eher klassische Law-and-Order-Politik. Timke war ja selbst lange bei der Bundespolizei. Das große Thema der „Bürger in Wut“ ist mehr Geld für die Polizei, mehr Polizisten, bessere Ausstattung für die Gerichte. Das sind klassische rechte CDU/CSU-Themen.
„Bürger in Wut“ haben aber beim Zuwachs davon profitiert, dass die AfD nicht zur Wahl zugelassen wurde.
Jan Timke ist in Bremerhaven etabliert, die „Bürger in Wut“ wären auch ohne den Crash der AfD ins Parlament gekommen, aber diese Stimmen kamen jetzt noch dazu. Die dritte Wählergruppe sind die Enttäuschten, die aus Protest die „Bürger in Wut“ gewählt haben.
SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte wird als Wahlgewinner gefeiert, aber so toll sind die 29,9 Prozent für Bremer Verhältnisse nicht.
Nein, letztendlich hat die SPD nur ihr Minimalziel erreicht, in diesem SPD-Stammland wieder stärkste Kraft zu werden. Es ist das zweitschlechteste Ergebnis der SPD in Bremen, und sie hat nicht so einen großen Abstand zur CDU geschafft, wie es vorhergesagt war. Man hatte gedacht, an alte Henning-Scherf-Zeiten anzuknüpfen, mit über 30 bis an die 40 Prozent. Das ist überhaupt nicht gelungen. Hinzu kommt, dass die CDU mit Frank Imhoff einen eher schwachen Kandidaten hatte – und trotzdem konnte sie der SPD so dicht auf den Fersen bleiben.

Was genau hat die Leute an der SPD gestört?
Die SPD ist in Bremen einfach für alles verantwortlich, weil sie schon so lange am Ruder ist. Es gibt drei große Felder, die die Menschen hier interessiert haben: Bildung, Innere Sicherheit und Mobilität. Bildung und Innere Sicherheit sind SPD-Ressorts. Zwei von drei Feldern sind seit Jahrzehnten in SPD-Hand. Wenn man dann dort schlechte Ergebnisse abliefert, ist es schwierig zu vermitteln, dass man das Ruder herumreißen kann. Außerdem wird die SPD von vielen Älteren gewählt, noch aus einer Arbeitertradition heraus. Je jünger die Menschen sind, desto weniger wählen sie SPD. Momentan ist die SPD kein Langzeitprojekt.

Das könnte man auch über die Grünen sagen.
Bei den Grünen ist es besonders dramatisch, weil wir hier auch in einem Grünen-Stammland sind. Analysen sehen für die Grünen in Bremen ein Potenzial von 25 bis 30 Prozent. Da sind die zwölf Prozent bei dieser Wahl ein richtiges Desaster.
Woran liegt’s?
Der Rückenwind aus Berlin ist weggebrochen. Es gab außerdem eine große Enttäuschung, weil die Grünen mit viel Power in die Koalition gestartet sind, sie konnten viele Inhaltsfelder bestimmen, hatten große Ziele in Bezug auf Bremens Entwicklung zur Nachhaltigkeit. Vieles konnte nicht umgesetzt werden, das lag auch an der Pandemie. Hinzu kamen bei den Grünen Fehler in der Kommunikation und bei den Zeitpunkten.
Sie meinen die „Brötchentaste“, die Verkehrssenatorin Maike Schäfer abgeschafft hat. Sie hat inzwischen ihren Rücktritt erklärt.
Die Entwicklung der Innenstadt ist ein großes Thema in Bremen. Es ist den Grünen aber nicht gelungen, das in ein Konzept einzubinden. Die Grünen hatten auch noch zwei weitere Ressorts, Finanzen und Soziales. Da kam gar nichts, und das reicht dann einfach nicht. Es ist dann auch Ordnung, dass die Wähler:innen so reagiert haben.
Sind Sie schadenfroh?
Nein, es ist doch beruhigend zu sehen, dass die Wähler:innen registrieren, wie im Senat gearbeitet wird. Im Gegenzug haben wir zwei linke Senatorinnen, die sich Anerkennung erarbeitet haben, so dass die Linke ein stabiles Ergebnis eingefahren hat.
Bei der CDU kommen einer Analyse zufolge 43 Prozent der Stimmen von Protestwählerinnen und -wählern. Man braucht allerdings Fantasie, um sich die CDU als Protestpartei vorzustellen.
Das ist hier aber tatsächlich so. Die CDU hat in Bremen schon immer einen schweren Stand, es gab hier auch keine Zentrumstradition, das katholische Klientel gibt es hier nicht, dafür viele Arbeiter:innen. Da fühlt es sich schon nach Protest an, wenn man nur CDU wählt.
Ihr Tipp: Für welche(n) Koalitionspartner wird sich Andreas Bovenschulte entscheiden?
Ich bin sehr sicher, dass es Rot-Grün-Rot wird. Alles andere wäre zu verlustreich für die SPD. (Interview: Tatjana Coerschulte)