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Bremen ist unverrückbar rot

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Von: Tatjana Coerschulte

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Geradezu friedlich verläuft der Wahlkampf in Bremen. SPD-Amtsinhaber Andreas Bovenschulte und CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff gehen freundlich miteinander um.
Geradezu friedlich verläuft der Wahlkampf in Bremen. SPD-Amtsinhaber Andreas Bovenschulte und CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff gehen freundlich miteinander um. © Eckhard Stengel/Imago

Im Zwei-Städte-Staat an der Weser regiert seit 70 Jahren die SPD. Das dürfte auch nach der Landtagswahl am 14. Mai so bleiben. Aber der Koalitionspartner könnte sich ändern.

Bremen - Bremen ist wie Berlin, bloß kleiner, sagen manche, und das ist nicht unbedingt als Kompliment an das kleinste Bundesland der Republik gemeint. Der Vergleich soll bedeuten, dass Bremen wie die Hauptstadt mit sozialen Verwerfungen zu kämpfen habe, mit einer unzureichend funktionierenden Verwaltung und einer Landesregierung, die unverrückbar sozialdemokratisch geprägt ist. Wie in Berlin könnten aber Konservative zumindest beim letzten Punkt Morgenluft wittern: Vor der Wahl zum „Bürgerschaft“ genannten Landesparlament an diesem Sonntag gibt es Anzeichen, dass das Bundesland im Nordwesten bald von SPD und CDU gemeinsam regiert werden könnte.

Das Bundesland zählt rund 680.000 Einwohnerinnen und Einwohner, der Zwei-Städte-Staat umfasst Bremen und Bremerhaven, wobei der Bremerhavener Überseehafen administrativ zur Stadt Bremen gehört.

Wahl in Bremen: Auf die Stimme des kleinsten Bundeslandes könnte es im Bundesrat ankommen

So verhalten der Wahlkampf in Bremen verlaufen ist, hat die Bundesregierung in Berlin dennoch einen Blick auf den Stadtstaat: Auf Bremens Stimme könnte es in der Länderkammer, dem Bundesrat, ankommen. Derzeit gehören sieben der 16 Ministerpräsident:innen der SPD an. Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte fällt in der Runde auf – nicht nur, weil er zwei Meter groß ist – und ist auch deshalb wichtig für Kanzler Olaf Scholz. In Bremen stellt die SPD seit 70 Jahren ununterbrochen den Regierungschef; eine Frau stand noch nicht an der Spitze des Senats. Bovenschulte, der erneut antritt, machen die aktuellen Umfragen mit einem Wert von rund 30 Prozent für die SPD berechtigte Hoffnung, das Amt behalten zu können. Vor vier Jahren ging der heute 57-Jährige als erster Landeschef in Deutschland ein rot-grün-rotes Regierungsbündnis ein – also vor einem solchen Bündnis in Berlin. 2019 hatte die Bremer CDU mit 26,9 Prozent die Sozialdemokraten zwar hinter sich gelassen (24,9 Prozent), die fanden sich aber mit den Grünen und der Linkspartei zu einer Mehrheit zusammen.

Wahl in Bremen: Einer Koalitionsaussage weicht Bürgermeister Bovenschulte aus

Obwohl Bovenschulte im aktuellen Wahlkampf eine Koalitionsaussage umschifft, lassen der sanfte Umgang von SPD und CDU miteinander darauf schließen, dass er einer Großen Koalition nicht abgeneigt wäre – wie letztlich auch seine frühere Amtskollegin in Berlin, Franziska Giffey. Die CDU tritt mit Frank Imhoff an, der mit derzeit 27 Prozent das Ergebnis von 2019 halten könnte. Schlechter dran sind Bovenschultes aktuelle Koalitionspartner. Kalt erwischt hat es die Grünen: Verkehrssenatorin Maike Schäfer werden Fehler angelastet, vor allem jedoch der Streit über die Heizungspläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zog die Werte der Partei jüngst von gut 18 auf 13 Prozent runter. Und die Arbeit der beiden Linken-Senatorinnen Kristina Vogt (Wirtschaft) und Claudia Bernhard (Gesundheit) fand zwar Anerkennung. Die Partei zahlt aber mit sinkenden Umfragewerten auf Landesebene die Zeche für den zerstrittenen Linken-Bundesverband.

Für die FDP wird die Bremer Wahl nach mehreren Niederlagen und Rauswürfen aus Landesparlamenten zu einer Bewährungsprobe; die Umfragen sagen ihr sechs Prozent voraus. Eine Partei spielte im Bremer Wahlkampf keine Rolle: Die AfD hat sich selbst verhindert. Der Landesverband ist so zerstritten, dass er zwei Kandidatenlisten beim Landeswahlleiter einreichte und von einem Gericht erklärt bekommen musste, dass das nicht zulässig ist. Den Platz der somit von der Wahl ausgeschlossenen AfD könnte die relativ neue rechtspopulistische Gruppierung „Bürger in Wut“ einnehmen, der über neun Prozent der Stimmen vorausgesagt werden.

Der Stimmzettel hat 24 Seiten

Das kleinste Bundesland Bremen hat ein kompliziertes Wahlsystem. Das liegt unter anderem daran, dass in dem Zwei-Städte-Staat die angemessene Vertretung der kleineren Stadt Bremerhaven gewährleistet sein muss. Das Landesparlament, die Bremische Bürgerschaft, zählt 87 Abgeordnete. Von ihnen werden 72 Abgeordnete für die Stadt Bremen gewählt, 15 für Bremerhaven.

Bremen und Bremerhaven gelten als getrennte Wahlbereiche mit jeweils eigener Fünf-Prozent-Hürde. Eine Partei, die in einem Wahlbereich die Hürde überspringt, ist in der Bürgerschaft vertreten. Die Mandate werden nach Listen vergeben. Bremen ist das letzte Bundesland, dessen Landesparlament noch auf vier Jahre gewählt wird. In anderen Ländern dauert die Legislaturperiode fünf Jahre.

Der Stimmzettel ist ein Heft mit 24 Seiten. Jede Wählerin und jeder Wähler darf darin bis zu fünf Kreuzchen machen. Die fünf Stimmen können bei einzelnen Wahllisten und Kandidat:innen angehäuft (Kumulieren) oder verteilt werden (Panaschieren).

Das Wahlverfahren macht die Auszählung langwierig. Deshalb veröffentlicht die Wahlleitung am Wahlabend für die Bürgerschaft nur eine amtliche Hochrechnung. Das vorläufige amtliche Endergebnis steht erst nach vollständiger Auszählung aller Stimmen wenige Tage später fest.

Wahl in Bremen: In Bildungsstudien schneidet das Bundesland konstant schlecht ab

Dauerthemen in Bremen sind die hohe Verschuldung, Kitas und Schulen sowie die hohe Arbeitslosigkeit. Keines dieser Themen spielte im Wahlkampf eine dominante Rolle, obwohl die CDU versuchte, die SPD beim Bildungsthema zu stellen. Keine Partei rückte etwa die mit rund 54.000 Euro pro Kopf deutschlandweit höchste Staatsverschuldung in den Mittelpunkt – dreimal mehr als in den anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg, die ebenfalls auch kommunale Aufgaben zu schultern haben. In Bildungsstudien belegt Bremen regelmäßig den letzten Platz. Die Personalnot in Kitas und Schulen ist ein Dauerthema wie auch der Modernisierungsstau an Gebäuden. In den Bremer Schulen gibt es Klassen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund gut 50 Prozent ausmachen. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau erklärte Bürgermeister Bovenschulte kürzlich, er setze darauf, mit höheren Zuweisungen vom Bund für gezielte Förderung und mehr Schulsozialarbeit sorgen zu können. Beobachter:innen wie der Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee halten dagegen, dass mehr Geld allein nicht die Lösung sei. Junge Familien ziehen gezielt in Stadtteile, deren Kitas und Schulen sie für besser halten, oder sie wandern gleich in das Umland ab. Das hat zur Folge, dass sie das Einkommen, das sie in Bremen erarbeiten, auch im Umland versteuern. Von den rund 240.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Stadt Bremen pendeln rund 100.000 ein.

Bei der Arbeitslosigkeit ist das kleinste Bundesland seit langem stets unter den Ländern mit der höchsten Quote. Stadtteile wie Bremen-Neustadt, früher ein traditionelles Arbeiterviertel, seien heute eher Arbeitslosenviertel, sagen Beobachter:innen. Im vergangenen April lag die Quote für Bremen bei 10,7 Prozent, während Bayern auf 3,3 Prozent kam und der bundesweite Durchschnitt bei 5,7 Prozent lag. Damit setzte sich Bremen an die unrühmliche Spitze – und hängte sogar Berlin (9,2 Prozent) ab. (Tatjana Coerschulte)

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