Harte Bandagen vor Brasilien-Wahl: Influencer stellen Kandidaten ihre Reichweite zur Verfügung
Über Social Media nehmen nicht nur große Influencer Einfluss auf die Brasilien-Wahl, sondern auch tausende Bürger. Dabei Fake News zu verbreiten, ist dort sogar strafbar.
Rio de Janeiro – Anfang Juli ging ein kleiner Aufschrei durch Brasilien. Anitta, einer der größten Stars Brasiliens, verkündete, dass sie vorhabe, in den kommenden Präsidentschaftswahlen den Kandidaten Luiz Inácio „Lula“ da Silva und die Arbeiterpartei PT zu unterstützen. Die Sängerin versprach Lula dabei nicht nur ihre Stimme, sondern stellte ihm auch ihre Reichweite in den sozialen Netzwerken zur Verfügung. Allein auf Instagram folgen ihr mehr als 60 Millionen Menschen.

Soziale Medien spielen in Brasilien eine deutlich größere Rolle als in Deutschland. Vom Arzttermin über die Autoreparatur bis hin zur Wohnungsvermietung werden fast alle Absprachen über Messenger-Dienste getroffen. Vor den Präsidentschaftswahlen 2018 waren die sozialen Medien auch der Schauplatz, wo sich die gesellschaftliche Spaltung besonders zeigte. Nicht selten verließen Familienmitglieder den Gruppenchat, weil sie mit der offensiven Wahlpropaganda ihrer Verwandten nicht einverstanden waren.
Brasilien-Wahl 2022: Der Wahlkampf hat sich verändert
Nun stehen am 2. Oktober die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Favoriten sind der amtierende, rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro und der ehemalige Präsident Lula. Sowohl Lula als auch Bolsonaro polarisieren. Seit Mitte August ist der offizielle Wahlkampf darum voll in Fahrt, auf den Straßen, aber vor allem im Netz. In den meisten Umfragen liegt aktuell der ehemalige Präsident Lula vorn.
„Der Wahlkampf hat sich den letzten zehn Jahren in Brasilien stark verändert“, sagt Francisco Brito Cruz Merkur.de von IPPEN.MEDIA. Er ist Direktor des Internetlabs in São Paulo, das zur Wirkung von sozialen Medien forscht. Immer mehr Menschen hätten in der Zeit Zugang zu Internet und Smartphones bekommen, die sozialen Netzwerke würden dadurch einen regelrechten Boom erleben. „Die politische Kommunikation ist digitaler geworden“, sagt er. Zusätzlich zu den klassischen Fernsehwerbespots sind nun starke Social-Media-Kampagnen nötig, um Wählerinnen und Wähler zu überzeugen.
Bolsonaro wird von kirchlichen Influencern unterstützt
Mit dem digitalen Wahlkampf werden nun auch Influencer und ihre Reichweite wichtiger für die Wahlkampagnen. Sportler, Sänger oder große Blogger – fast alle stellen sich in diesen Wahlen hinter den einen oder den anderen Kandidaten. „Aber nicht nur die bekannten Influencer spielen eine Rolle“, sagt Francisco Brito Cruz. Genauso wichtig wie Personen mit einer riesigen Reichweite sind sogenannte Nischen-Influencer. Die erreichen bestimmte Zielgruppen noch besser. Der amtierende Präsident Jair Bolsonaro profitiert aktuell zum Beispiel von der Unterstützung durch evangelikale Größen. Zudem gibt es tausende Brasilianerinnen und Brasilianer, die über ihr Netzwerk versuchten, aktiv die Wahlen zu beeinflussen. Die Angst vor Gewalt wächst.
Eine, die ganz aktiv bewusst Einfluss auf Wählerinnen und Wähler nimmt, ist Laís Leão. Die 28-Jährige kommt aus Curitiba und teilt auf ihren Social-Media-Kanälen regelmäßig politische Inhalte. Meistens geht es in ihren Posts um Stadtentwicklung und geschlechtersensible Politik. „Mein Ziel ist es, die Repräsentation von Frauen in der Politik zu erhöhen“, sagt sie.
Brasilien: Wählerinnen und Wähler lassen sich von Social Media beeinflussen
Für die Wahlen bereitet sie unter anderem Infoposts vor, erstellt Listen mit Kandidatinnen und erklärt, warum sie diese empfiehlt. „Ich bin mir sicher, dass man damit Leute erreicht“, sagt Leão. Sie setzt darauf, den Inhalt ihrer Post sorgfältig zu recherchieren und verständlich aufzubereiten.
Nicht immer laufen politische Kampagnen im Internet so ab wie bei Leão. Oftmals wollen die Inhalte nicht informieren, sondern das genaue Gegenteil. Bei den Wahlen 2018 zeigte sich, dass riesige Desinformationskampagnen mit falschen Informationen dafür sorgen sollten, die politischen Gegner zu diskreditieren. Davon hatte besonders Jair Bolsonaro profitiert. „Desinformation wird als politische Strategie eingesetzt“, sagt Social-Media-Forscher Brito Cruz. Auch aktuell werde Bolsonaro von einem Propagandanetz unterstützt. „Dieses Netzwerk verteidigt den Präsidenten, egal was er sagt“, sagt Brito Cruz. „Seit den Wahlen 2018 hat es nie damit aufgehört“.
Fake-News zu verbreiten ist in Brasilien strafbar
In der heißen Phase des Wahlkampfs nehmen nun Falschinformation wieder zu, so machten zuletzt beispielsweise gefälschte Umfrage-Diagramme die Runde, die statt Lula plötzlich Bolsonaro vorn sahen. Dabei ist in Brasilien die Verbreitung von Fake News sogar strafbar. Jüngst wurden sogar 2000 Verwaltungsbeamte eingestellt, um alle juristischen Belange rund um Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg in den Griff zu bekommen. Allerdings sei klar, dass rechtliche Schritte nie so schnell eingeleitet werden könnten, wie sich Falschinformationen im Netz verbreiten, argumentiert Brito Cruz.
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Auch die sozialen Netzwerke selbst versuchen inzwischen stärker gegen Falschinformationen vorzugehen. Das wird auch dadurch erschwert, dass mit Bolsonaro und Lula zwei Kandidaten aufeinandertreffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mit der Hilfe von Filtern und künstlicher Intelligenz sollen Fake News frühzeitig erkannt und gelöscht werden. Das funktioniert manchmal – oft aber auch nicht. Die Nichtregierungsorganisation Global Witness kam bei einem Test im August zu dem Ergebnis, dass Facebook sowohl auf Falschinformationen als auch auf Hass in Postings nur unzureichend reagierte. Auch die Federal Universität von Rio de Janeiro hatte bei einer Untersuchung Duzende Werbeposts auf Instagram und Facebook gefunden, die entweder falsche oder irreführende Informationen enthielten.
Wie werden die sozialen Medien in Brasilien von Fake-News befreit?
Francisco Brito Cruz ist trotzdem nicht vollkommen verzweifelt, was den Kampf gegen Fake News angeht. „Es gibt natürlich keine magische Lösung, die das Problem aus der Welt schafft“, sagt er. Es gebe aber verschiedene Ansatzpunkte, wie man Desinformation bekämpfen können – und die brasilianischen Akteure seine inzwischen viel besser darauf vorbereitet als noch vor vier Jahren.
Für die Stadtplanerin und Aktivistin Laís Leão ist das wichtigste Mittel gegen Lügen im Netz qualitativ hochwertige Inhalte zu produzieren. „Es gibt eine große Nachfrage dafür“, meint sie. Als größte Herausforderung sieht sie dabei komplexe, politische Inhalte einfach und verständlich zu kommunizieren. „Inhalte auf Social Media werden sehr schnell konsumiert“, sagt sie. „Es ist nicht einfach, schwierige Sachverhalte so herunterzubrechen, dass sie dort gut verstanden und weiter verteilt werden“. Falschinformationen, die dahingegen vermeintlich einfache Lösungen propagieren, hätten es da viel einfacher. Davon lässt sie sich aber nicht entmutigen. Aktuell bereitet sie strategisch Inhalte vor, die über Frauen in der brasilianischen Politik informieren.