Karneval nur für Reiche? Wie die Corona-Absage Brasilien spaltet - und hunderte Millionen kostet

In Brasiliens Großstädten finden die größten Karneval-Partys weltweit statt. Wegen der Corona-Pandemie fallen die meisten Events aber erneut aus. Das ist finanziell ein herber Verlust - vor allem für Rio de Janeiro.
München/Rio de Janeiro - Normalweise sind die Straßen von Rio de Janeiro Ende Februar voll und laut. Große Bühnen werden an zentralen Plätzen aufgebaut, Umzüge mit Karnevalbands, sogenannte Blocos, schieben sich durch die Straßen und Gassen und in die Sambaschulen zeigen ihre bunten und wirkmächtigen Paraden. Dazwischen feiern und tanzen Millionen Menschen in bunten Kostümen und mit Glitzer in den Gesichtern. Für rund eine Woche herrscht dann absoluter Ausnahmezustand.
2021 musste der Karneval aufgrund der Coronavirus-Pandemie* ganz ausfallen. Seit dem fieberten Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer 2022 entgegen. Die Hoffnung: Das erste post-pandemische Jahr könnte den größten Karneval aller Zeiten bereit halten. Noch Anfang Dezember waren viele zuversichtlich: Durch eine der besten Impfquoten weltweit fühlte sich das Land gut geschützt vor einer neuen Pandemiewelle. Aber Omikron* machte auch Brasilien einen Strich durch die Rechnung, Ende Dezember stiegen auch dort die Fälle wieder sprunghaft an.
Karneval in Rio de Janeiro (Brasilien): Privat organisierte Großveranstaltungen sind möglich
2022 sind darum das zweite Jahr in Folge die öffentlichen Großveranstaltungen rund um den Straßenkarneval abgesagt, die Paraden der berühmten Sambaschulen im „Sambodromo“ wurden sowohl in Rio de Janeiro als auch in São Paulo in den April verschoben.
Wirklich abgesagt ist der Karneval damit nicht: Es gibt eine Vielzahl an Partys und Events, auch solche mit tausenden Besuchern. Statt im öffentlichen Raum finden sie aber dieses Jahr oftmals im Privaten statt: Die klassischen Karnevalsbands spielen dann in ausverkauften Arenen, die Sambaschulen feiern Partys auf ihrem Gelände. Fast wie vor der Pandemie. Nur das bunte Programm auf den Straßen fehlt.
Dass ausgerechnet der Straßenkarneval aufgrund der Pandemie nicht wie gewohnt stattfinden kann, ist für viele Brasilianer und Brasilianerinnen eine herbe Enttäuschung und sorgt für viel Unmut, auch weil abgesehen davon die allermeisten Pandemie-Einschränkungen schon lange aufgehoben sind.
Rio de Janeiro: Karneval nur für Reiche?
Normalerweise kommen Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zu den kostenlosen Auftritten der Karnevalsbands auf den Straßen von Rio. Dieses Jahr dürfen Events nur in einem geschlossenen Rahmen mit Einlasskontrollen stattfinden, damit der Impfstatus der Besucherinnen und Besucher kontrolliert werden kann. Außerdem dürfen die Lokalitäten nur zu 70 Prozent ausgelastet werden.
Die Kritik an diesen Regeln: Sie führten vor allem dazu, dass viele Bezahlevents stattfinden und ärmere Menschen keinen Zugang mehr zum Karneval hätten. Auch der brasilianische Historiker Luiz Antonio Simas, einer der Karnevalsexperten im Land, teilt diese Kritik. Dem brasilianischen Medium Agência Pública sagte er, es lasse sich nicht erkennen, wie ein Verbot des Straßenkarnevals zum Gesundheitsschutz beitrage, wenn privat organisierte Feiern auch im großen Stil möglich seien. Stattdessen trage der Karneval so vor allem dazu bei, dass bestehende Ungleichheiten in Brasilien* sich weiter verstärken. Auch Tarcísio Motta, Abgeordneter für die sozialistische PSOL, kritisierte die Regeln schon im Januar als „eine Elitisierung des Karnevals“. Dass sei das genaue Gegenteil des demokratischen Geists, der den brasilianischen Karneval auszeichne.
Brasilien und Rio de Janeiro: Karneval ist ein Wirtschaftsfaktor
Diese Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen. Rio de Janeiros Bürgermeister Eduardo Paes hatte lange gezögert, den Karneval aufgrund der Pandemie zum zweiten Mal einzuschränken. Zum einen, weil er selbst ein ausgesprochener Karnevalliebhaber ist: Immer wieder lies er sich in der Vergangenheit feiernd zwischen Rios Samba Schulen fotografieren. Zum anderen aber auch, weil der Karneval in ganz Brasilien aber speziell in Rio de Janeiro* auch ein riesiger Wirtschaftsfaktor ist. Im Jahr 2020 sorgte er allein in Rio für einen Umsatz von vier Milliarden Reais (Rund 700 Millionen Euro). Den Karneval abzusagen bedeutet daher nicht nur, ein großes Spaßevent zu verbieten, sondern auch den Verlust von Millionen, die Brasilien gerade nach zwei Jahren Pandemie dringend benötigen würde. Das wollte der Bürgermeister verhindern.
Gastronomie und Hotelgewerbe beispielsweise profitieren normalerweise stark von den Feierlichkeiten, die auch große Zahlen an ausländischen Touristen ins Land locken. Aber sie können aufatmen: Trotz der Einschränkungen gibt Rios Hotelverband an, dass aktuell rund 80 Prozent der Betten beleget sind.
Im Video: Corona-Hochrisikogebiete gestrichen - Erleichterungen bei Einreise-Regeln
Am meisten trifft die Absage des Karnevals auf den Straßen nämlich nicht große Hotels, sondern die tausenden, informellen Händlerinnen und Händler, die normalweise an den Karnevalstagen Getränke und Snacks auf den Straßen verkaufen. Sie werden in diesem Jahr leer ausgehen.
Corona in Brasilien: Nicht nur Spaß – politischer Protest zwischen Samba und Bier
Abgesehen von seinem kulturellen und wirtschaftlichen Wert ist Brasiliens Karneval auch immer wieder eine Form politischen Protest auf großer Bühne auszudrücken. 2019 bekam beispielsweise die Samba-Schule „Mangueiras“ den Hauptpreis des Karnevals von Rio de Janeiro. In ihrer Perfomance thematisierten sie die Versklavung von Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner sowie den brutalen Mord an der schwarzen Politikerin Marielle Franco. Beliebt sind auch kreative Kritiken an Korruption, Gewalt oder Intoleranz.
Diese Form von politischen Kundgebungen wird es sicher auch in diesem Jahr geben, wenn die Sambaschulen dann Ende April ihre großen Auftritte haben. Ob sie aber an einem anderen Termin dasselbe Publikum erreichen, wie am traditionellen Karnevalswochenende ist fraglich. Das befürchten auch die Karnevalsbands. Einige von ihnen wollen sich auch von gesetzlichen Regeln nicht vom Feiern abhalten lassen und ignorierten darum auch bestehende Verbot des Straßenkarnevals. Schon am Samstag löste die Polizei in Rio illegale Karnevalszüge in den Straßen auf. (Lisa Kuner) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA