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Brasilien zittert vor dem Machtwechsel

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Von: Klaus Ehringfeld

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Arbeiter bauen die Bühne eines Musikfestivals am Tag der Amtseinführung Lulas auf.
Arbeiter bauen die Bühne eines Musikfestivals am Tag der Amtseinführung Lulas auf © afp

Der Linke Lula übernimmt wieder die Macht, muss aber gegen die einflussreichen Rechten und Konservativen bestehen und ein zerrissenes Land vereinen.

Brasilia - Die Weihnachtspause war in der brasilianischen Politik dieses Jahr noch ein bisschen kürzer als sonst. Schließlich steht ein ausgesprochen wichtiger Termin auf der politischen Agenda. Zum neuen Jahr übernimmt der Linke und zweimalige Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva wieder die Zügel in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas. Und noch immer ist knapp die Hälfte der Brasilianer:innen davon überzeugt, dass der 77-Jährige die Präsidentschaft Ende Oktober nur durch Betrug errungen hat und nicht in den Präsidentensitz Palácio do Planalto in Brasilia gehört, sondern in den Knast.

In der Folge belagern radikale Anhänger:innen des scheidenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro an manchen Orten die Kasernen und fordern einen Putsch, um den Machtwechsel zu Neujahr zu verhindern. Selten war der südamerikanische Riesenstaat so gespalten wie jetzt. Lula übernimmt ein Land, in dem sich der politische Streit längst grabentief und unversöhnlich in die Gesellschaft gefressen und Familien und Freundschaften spaltet. Neben den vielen schweren politischen und wirtschaftlichen Aufgaben nach vier Jahren Bolsonaro muss Lula auch noch Brasilien zu einen.

Machtwechsel in Brasilien: alte Normalität ?

Doch vorerst geht es darum, einen Machtwechsel ohne Ausschreitungen zu garantieren. Heiligabend nahm die Polizei einen Anhänger von Jair Bolsonaro fest, weil er versucht hatte, einen Tanklaster in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Brasilia in die Luft zu sprengen. Daraufhin wurde für den Jahreswechsel das Tragen von Waffen untersagt.

Dass Bolsonaro bei der Amtsübergabe anwesend sein wird, gilt als unwahrscheinlich. Er hasst Lula da Silva, und zudem raten ihm seine Anwälte, das Land zu verlassen, falls nach dem Verlust der präsidialen Immunität am 31. Dezember Strafverfahren gegen ihn etwa wegen seines katastrophalen Managements der Pandemie angestrengt werden. Als eine seiner letzten Amtshandlungen verhängte Bolsonaro nach dem Tod von Pelé noch drei Tage Staatstrauer für das Fußball-Idol.

Machtwechsel in Brasilien: alte Normalität?

Die Rückkehr zu einer vollständigen Demokratie mit einem Präsidenten, der rational und verantwortungsbewusst handelt, wird von mehr als der Hälfte der brasilianischen Bevölkerung begrüßt. Aber die alte Normalität wird auch im Ausland mit großer Erleichterung wahrgenommen. Brasilien, fünftgrößtes Land der Welt, ist zu wichtig, um langfristig einem unberechenbaren und rechtsradikalen Paria ausgeliefert zu sein.

Eine der nach außen sichtbarsten Veränderungen wird in der Umweltpolitik liegen. Brasilien, das zwei Drittel des Amazonas beherbergt, will wieder ein globaler Player im Klimaschutz werden. Als eines der letzten Ministerien wurde das hochsensible Umweltressort an Marina Silva gegeben. Damit kehrt die kämpferische 64-Jährige nach 15 Jahren wieder auf einen ihr wohlbekannten Posten zurück: Die Gründerin der brasilianischen Grünen war viele Jahre eine Verbündete Lulas, saß in seinen ersten Kabinetten als Umweltministerin, wandte sich aber 2008 wegen seiner Megaprojekte in der Amazonasregion von ihm ab. Mit Silvas Rückkehr an seine Seite bekommt Lulas Wende zum Klimakämpfer größere Glaubwürdigkeit.

Für ihre Nominierung musste Lula Widerstände bei den Konservativen, der Wirtschaft und auch vielen seiner Verbündeten überwinden. Denn Silva gilt nicht nur als engagiert, sondern auch als kompromisslos in ihren Aktionen zum Klimaschutz.

Luiz Inácio Lula da Silva
Geboren27. Oktober 1945
GeburtsortCaetés, Pernambuco, Brasilien
EhepartnerinRosângela da Silva (verh. 2022)
Erste Amtszeit1. Januar 2003 bis 1. Januar 2011
ParteiPartido dos Trabalhadores

Machtwechsel in Brasilien: große Herausforderungen

Unter Bolsonaro nahm die Zerstörung des Amazonas dramatische Ausmaße an: Das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE) hat errechnet, dass die Zahl der zerstörten Waldflächen in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit um 73 Prozent zunahm – für 2022 liegen noch keine konsolidierten Daten vor.

Auch während Lulas ersten beiden Amtszeiten zwischen 2003 und 2011 wurde der Amazonas abgeholzt. Aber der Linke dämmte laut INPE die Entwaldung in seiner Zeit um 70 Prozent ein. Dabei blieb er aber stets doch ein großer Freund von Megaprojekten im Amazonas wie dem Wasserkraftwerk Belo Monte. Mittlerweile gesteht Lula dem Umweltschutz absolute Priorität zu und gibt damit ein großes Versprechen für den globalen Umweltschutz ab. Denn im Kampf für das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Ziel kommt Brasilien eine zentrale Rolle zu. Ein gesunder Regenwald bindet CO2 wie kaum sonst eine Erdregion.

Während die Klimapolitik dazu taugt, ein Selbstläufer in der internationalen Gemeinschaft zu sein, hat Lula daheim für seine Reformprojekte in Sachen Armut, Sicherheit und Wirtschaft große Widerstände zu überwinden. Das Parlament ist konservativ dominiert, im Abgeordnetenhaus hat die Rechte ein Drittel der Sitze inne. Im Senat sind es mehr als die Hälfte. Außerdem werden sehr viele auch wichtige Bundesstaaten von Verbündeten von Bolsonaro regiert. (Klaus Ehringfeld)

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