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Chronologie des Scheiterns: Wie Johnson Großbritannien zum Corona-Hotspot machte

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Von: Melanie Gottschalk

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Boris Johnson wird sich noch einige Fragen zum Thema Corona-Pandemie und dem zögerlichen Handeln der britischen Regierung anhören müssen.
Boris Johnson wird sich noch einige Fragen zum Thema Corona-Pandemie und dem zögerlichen Handeln der britischen Regierung anhören müssen. © picture alliance/House Of Commons/PA Wire/dpa

Der britischen Regierung um Boris Johnson wird vorgeworfen, zu spät auf die Corona-Pandemie reagiert zu haben. Was ist dran an der Kritik? Eine Analyse.

London - Mitte März überschlugen sich die Ereignisse. Das Coronavirus war in Europa angekommen – und traf mehrere Länder hart. Binnen weniger Tage wurden Schulen, Kindertagesstätten, Geschäfte und Grenzen geschlossen, Großveranstaltungen untersagt, Menschen mussten zu Hause bleiben. Vor allem Italien, Frankreich und Spanien waren zu dieser Zeit stark von der Corona-Pandemie betroffen, aber auch Länder wie beispielsweise Deutschland und Österreich wollten mit strikten Corona-Maßnahmen die Ausbreitung des Virus verhindern. Ein Land in Europa zog jedoch nicht mit: Großbritannien

100 Tage nach dem ersten bestätigten Corona-Fall in Großbritannien am 31.01.2020 wird nun deutlich: Die britische Regierung um Boris Johnson hat gerade zu Beginn der Pandemie einige Fehler gemacht, die ihr jetzt auf die Füße fallen. Denn mittlerweile ist das Königreich das am stärksten von der Corona-Krise betroffene Land in Europa, nur die USA haben mehr Covid-19-Tote zu beklagen als Großbritannien. Die genauen Zahlen sind noch unbekannt, doch nach offiziellen Angaben haben inzwischen mehr als 40.000 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus ihr Leben verloren. Knapp 225.000 Briten haben sich laut Johns-Hopkins-Universität mit dem Virus infiziert (Stand 12.05.2020).  Doch wie konnte es dazu kommen? 

Corona-Krise in Großbritannien: Boris Johnson hat zu spät reagiert

Die alleinige Schuld kann man der britischen Regierung natürlich nicht zuschreiben, doch der konservative Premierminister Boris Johnson hat in einigen Dingen zu spät reagiert. Das sieht auch Frank Ulrich Montgomery so. Montgomery war bis zum vergangenen Jahr Präsident der Bundesärztekammer, mittlerweile ist er Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes. „Besonders erschreckend war die späte Reaktion der britischen Regierung. Die Leichtigkeit, mit der der ja doch sehr narzisstisch geprägte Premierminister Boris Johnson auf die schon laut klingenden Alarmglocken aus Italien und Frankreich reagiert hat und der sein Land lange Zeit in der Ungewissheit gelassen hat, was auf es zukommt. Das ist ein politisch sträfliches Versagen“, sagte er kürzlich gegenüber dem Deutschlandfunk. 

Zwar bereitete Johnson bereits zu Beginn der Pandemie sein Land auf die „schlimmste gesundheitliche Krise dieser Generation“ vor, beschränkte sich aber auf Empfehlungen, sich beispielsweise gründlich die Hände zu waschen. Begriffe wie „Social Distancing“ oder „Lockdown“ wurden zu dieser Zeit noch gar nicht in Großbritannien gehandelt – ganz im Gegenteil fanden noch Großveranstaltungen statt und Johnson schüttelte noch fröhlich lächelnd Hände in Krankenhäusern. 

Modellhafte Studie zur Corona-Pandemie zwingt britische Regierung zum Umdenken

Als eine Studie des Imperal College in London modellhaft vorrechnete, dass eine halbe Million Menschen in Großbritannien an den Folgen einer Corona-Erkrankung sterben könnten, zwang das die wissenschaftlichen Berater der britischen Regierung zum Umdenken. Plötzlich wurde es gar nicht mehr als übertrieben angesehen, das Land lahmzulegen. 

Bis es dazu kam, dauerte es aber noch knapp eine Woche, in der sich das Virus ungehindert in den Ballungsräumen in Großbritannien weiter verbreiten konnte. Johnson bat die Menschen nach der Studie zwar darum, auf Abstand zu gehen und beispielsweise den Besuch im Pub zu vermeiden, ordnete aber weiterhin keine Schließungen an. Als sich nur wenige an die Bitten des Premiers hielten und die Infizierten- und Todeszahlen weiter beunruhigend schnell anstiegen, wurde am 23.03.2020 schließlich ein Lockdown verhängt. „Ich beschwöre Sie in dieser nationalen Stunde der Not. Bleiben Sie zu Hause! Beschützen Sie unseren NHS! Retten Sie Menschenleben“, sagte Johnson damals. Doch war das zu spät?

Corona-Krise in Großbritannien: NHS fehlt es an vielem

Zum Vergleich: In Deutschland wurde bereits am 15.03.2020 die Schließung von Restaurants, Cafés, Bars und Geschäften angeordnet, eine Woche später trat das Kontaktverbot in Kraft. Darüber hinaus hatten die Länder der Europäischen Union bereits im Februar damit begonnen, Schutzausrüstung für ihre Ärzte und ihr Pflegepersonal zu beschaffen, den gesamten Sektor auf das Kommenden vorzubereiten – so gut das eben ging. 

Der National Health Service (NHS) hingegen war alles andere als vorbereitet, es mangelte zunächst vor allem an Schutzausrüstung, später dann auch an Beatmungsgeräten. Matt Hancock, der Gesundheitsminister des Landes, beteuerte zwar, es gebe genug Ausrüstung, Ärzte und Pfleger berichteten jedoch etwas völlig anderes. „Ärzte haben uns gesagt, dass sie sich wie Lämmer fühlen, die zur Schlachtbank geführt werden, wie Kanonenfutter. Hausärzte sagen uns, dass sie sich im Stich gelassen fühlen. Wir können nicht genug betonen, dass wir die Leute an der Front schützen müssen“, sagte Rinesh Parmar, Vorsitzende der britischen Ärztevereinigung.

Britische Regierung nimmt an Krisensitzungen der EU zur Corona-Krise nicht teil

Die britische Regierung hat sich zu Beginn der Corona-Krise womöglich nicht genug bemüht, Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte für Großbritannien zu beschaffen. Denn aus Brüssel heißt es, die britische Regierung habe an mehreren Krisensitzungen der EU nicht teilgenommen und darauf verzichtet, zentral über die EU Schutzkleidung zu bestellen. Ein ähnliches Versäumnis bei der Beschaffung von Beatmungsgeräten durch die EU erklärte London später mit „Kommunikationsproblemen“.

Mittlerweile hat Großbritannien einige Versäumnisse aufgeholt, Schutzausrüstung beschafft und die Zahl der Intensivbetten deutlich aufgestockt, bei vielen Briten bleibt aber doch die Frage zurück, ob man die Ausbreitung des Virus durch früheres Handeln nicht doch hätte verhindern können – zumindest in diesem Ausmaß. 

Boris Johnson wird sich diese Frage noch einige Zeit anhören müssen. Gerade im Moment, wo er mit der Regierung und den wissenschaftlichen Beratern des Landes über Lockerungen der strikten Corona-Maßnahmen berät. Einen genauen Plan gibt es noch nicht, die Regierung kämpft gerade mit den Kriterien unter denen sie die Lockerungen durchführen kann ohne eine zweite, verheerende Welle zu riskieren. Bis es also zu den Lockerungen kommt, gilt in Großbritannien wohl weiterhin der Leitspruch: „Keep calm and carry on“. 

Von Melanie Gottschalk

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