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Boris Johnson unter Druck: „Peinlich, demütigend, schockierend“

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Von: Stefan Krieger

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In Großbritannien stößt Boris Johnsons wirre Rede vor dem Industrieverband auf heftige Kritik - auch weil der Premier die Probleme seines Landes nicht in den Griff bekommt.

London - Die Zahl der wöchentlich registrierten Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 hat in England und Wales zum ersten Mal seit Anfang März die Marke von 1000 überschritten. Die Zahlen des Amtes für nationale Statistik (ONS) belegen, dass in der Woche zum 12. November 1020 Todesfälle registriert wurden, in denen das Coronavirus auf der Sterbeurkunde erwähnt wurde.

Da Länder wie Österreich und die Niederlande als Reaktion auf die Zunahme von Corona-Fällen in Westeuropa wieder Restriktionen bis hin zum Lockdown einführen, schauen viele in Großbritannien ängstlich über den Ärmelkanal. Die Befürchtung bei den Menschen ist groß, dass auch auf der Insel bald wieder soziale Beschränkungen kommen könnten.

„Das kam doch gut an“: Boris Johnson bleibt selbstbewusst.
„Das kam doch gut an“: Boris Johnson bleibt selbstbewusst. © Jessica Taylor/dpa

Allerdings hat sich die Regierung unter Boris Johnson seit dem „Freedom Day“ am 19. Juli hartnäckig geweigert, zumindest rudimentäre Sicherheitsvorkehrungen wie eine Maskenpflicht oder soziale Distanz wieder einzuführen. Boris Johnson zieht es vor, die Verantwortung für die persönliche Sicherheit an die Öffentlichkeit abzugeben und seinen „Plan A“ zur Förderung der Impfkampagne zu verfolgen - einschließlich der Booster-Impfungen, die jetzt für Personen ab 50 Jahren freigegeben sind.

Boris Johnson: In der Downing Street wird über den Premier gelästert

Aber auch abseits seiner Corona-Politik gerät Boris Johnson immer mehr unter Druck. Selbst in der Downing Street wird über den britischen Premierminister gelästert, wenn auch noch hinter vorgehaltener Hand. Der Premier habe den Laden nicht mehr im Griff, zitierte die gut vernetzte BBC-Reporterin Laura Kuenssberg eine ranghohe Quelle. Ein Kabinettsmitglied sagte der Times, Johnsons völlig missratene Rede vor dem Industrieverband CBI stehe symbolisch für den chaotischen Weg der Regierung.

Boris Johnson musste sich vor laufender Kamera inzwischen sogar zu seinem Gesundheitszustand äußern. „Geht es Ihnen gut?“, fragte ein hörbar entgeisterter Reporter der BBC den Premier nach dessen Rede. Das Echo auf den Vortrag des Premiers fiel in Großbritannien verheerend aus. „Peinlich“, „demütigend“, „schockierend“ - selbst konservative Medien, Johnson traditionell wohlgesinnt, zitierten ausführlich die Reaktionen anonymer Abgeordneter seiner eigenen Partei. Nun fragt sich das Land, ob der Premier denn noch den Rückhalt seiner Partei genießt.

Boris Johnson entkommt nur knapp einer Schlappe im Unterhaus

Die Antwort ist nicht eindeutig. Am Montagabend (22.11.2021) stimmten 19 Konservative im Parlament gegen Johnsons umstrittene Sozialreform, vor allem aber enthielten sich Dutzende weitere. Trotz einer eigentlich üppigen Mehrheit brachte Johnson das Gesetz somit nur knapp durchs Unterhaus. Das riecht für viele Beobachter schon fast nach einem Misstrauensvotum.

Noch stärker nachhallen könnten Berichte wie sie nun im Daily Mirror zu lesen sind. Danach besuchten konservative Abgeordnete ein Dinner für Tory-Spender, das Tausende Pfund pro Tisch gekostet haben soll. Von dort eilten sie dann ins Parlament, um für die Reform zu stimmen, die nach Einschätzung der Opposition ärmere Menschen dazu zwingen könnte, ihr Haus zu verkaufen, um ihre Pflege bezahlen zu können.

Boris Johnson: Die Folgen des Brexits unterschätzt?

Für Johnson ist dies alles der negative Höhepunkt der jüngsten Zeit. Wegen der Folgen von Brexit und Corona-Pandemie bleibt die wirtschaftliche Erholung in Großbritannien aus. Probleme bei den Lieferketten führen zu Sorgen, dass Geschenke und der traditionelle Weihnachtsschmaus gefährdet sind. Und über den Kanal kommen mehr Migranten illegal ins Land denn je zuvor. Etwas, was Boris Johnson mit dem Brexit ursprünglich einzudämmen gedachte.

Enthüllungen über jede Menge Filz bei den Konservativen dominieren seit Wochen die Schlagzeilen. Mehreren Abgeordneten wird Korruption und Vetternwirtschaft vorgeworfen. Als ein Parlamentsausschuss einen Parteifreund Johnsons für 30 Tage suspendieren wollte, zwang der Premier seine Fraktion, für eine Änderung der Regularien zu stimmen. Einen Tag später musste er zurückrudern: Er habe „die Karre in den Dreck gefahren“, gab sich Johnson schuldbewusst - das Vertrauen seiner Abgeordneten war erschüttert.

Boris Johnsons wirre Rede: „Es funktioniert einfach nicht“

Die wirre Rede vor dem Industrieverband und die Pflegereform haben den Ärger der einflussreichen Hinterbänkler nun noch verstärkt. Am Regierungssitz gebe es viele Bedenken wegen des Premierministers. „Es funktioniert einfach nicht“, so die Quelle von BBC-Reporterin Kuenssberg. Dahinter wird das Finanzministerium vermutet, dessen Chef Rishi Sunak mit dem Premier über Kreuz liegen soll.

Auch die konservative Times nahm den Premier ins Visier. Labour-Parteichef Keir Starmer habe auf dem Wirtschaftsgipfel die passende Rede gehalten, während Johnson über einen Freizeitpark und fehlende Motorengeräusche bei Elektroautos schwadroniert habe, kritisierte das Blatt in seinem Leitartikel.

Einer allerdings sieht das ziemlich locker: Boris Johnson. Der kommentierte seinen misslungenen Auftritt gewohnt selbstsicher mit den Worten: „Das kam doch gut an“. So schnell lässt sich der britische Premierminister wohl nicht von seinem Kurs abbringen. (skr mit dpa)

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