Bolivien hat viel erreicht
In Südamerikas Armenhaus wächst die Wirtschaft. Es sind nicht nur die glücklichen Umstände der Weltkonjunktur, die den Hunger vermindert haben, sondern ebenso die kluge Politik.
Dass vier von sieben Kindern sterben, bevor sie zwei Jahre alt werden, das sei üblich bei den bäuerlichen Familien im Anden-Hochland, sagte Boliviens Präsident Evo Morales einmal. Die deprimierende Skizzierung von Hunger und Armut fußte auf eigener Erfahrung: „Wir anderen drei sind glücklicherweise mit dem Leben davon gekommen“.
Bolivien war und ist das Armenhaus Südamerikas, und dennoch: Unter keinem anderen Staatschef hat das Land so viel gegen Armut und Hunger erreicht wie unter Morales, der 2006 als erster Vertreter der indianischen Mehrheit ins höchste Staatsamt gelangte. Zwar konnten die Statistiker auch schon vorher einige Fortschritte vermelden. Der Anteil der Bevölkerung, der als unterernährt gilt, lag Anfang der Neunziger bei 38 Prozent und war, als Morales antrat, auf 29 Prozent gesunken.
Aber die neuesten, 2014 erfassenden Statistiken belegen, dass 18,8 Prozent unterernährt sind. Immer noch viel zu viel, aber eben deutlich weniger als früher – das erste der Millenniumsziele hat Bolivien erreicht. 1989, als Morales gerade zum Führer der Bauern der Coca-Region Chapare gewählt worden war, waren knapp 42 Prozent aller Kinder unter drei Jahren chronisch unterernährt, 2012 waren es noch 18 Prozent.
Erze, Fleisch, Soja haben Bolivien dank der China-Nachfrage ein Jahrzehnt der Prosperität beschert; die Wirtschaft wuchs stetig und kräftig. Aber es sind nicht nur die glücklichen Umstände der Weltkonjunktur, die den Hunger in Bolivien vermindert haben, sondern genauso kluge Politik. So dogmatisch der linke Morales international oft auftritt – selbst viele seiner Kritiker erkennen an, dass die Regierung einen Riesenanteil an der Besserung hat.
Zum einen hat die Regierung in La Paz eine für ein so armes Land umfassende Politik zum Schutz der Armen aufgelegt. Andererseits fördert sie die kleinbäuerliche Produktionsform, die zugleich ein traditionelles Sozialgeflecht darstellt. Jenseits der materiellen Vorzüge wird damit das kollektive Selbstvertrauen jener 60 Prozent der Bevölkerung gestärkt, die als Indigene seit Jahrhunderten benachteiligt wurden. Für eine Million alte Menschen gab es erstmals eine Rente. Ein Kindergeld hilft fast zwei Millionen armen Familien und ermuntert sie, die Kinder in die Schule zu schicken. Schwangere und junge Mütter erhalten einen Zuschuss für ärztliche Betreuung. All das erreicht meist auch die Bewohner entlegener Weiler.
Bolivien: Staatschef Evo Morales ohne echte Gegner
Dass die Produkte der landwirtschaftlichen Familienbetriebe bevorzugt für die Schulspeisung eingekauft werden, ist ein ebenso schlichtes wie wirksames Mittel, Kleinbauern zu fördern.
Neue staatliche Betriebe zielen darauf ab, Kleinproduzenten zu fördern – beim Zugang zu Kredit, Fachkenntnis und Saatgut, zum Absatzmarkt und zum Maschineneinsatz. Um die Bauern gegen den Wankelmut der Natur zu schützen, wurde eine Wetter-Versicherung eingeführt. Ihr Name bezieht sich auf die andine Vorstellungswelt: „Pachamama“ – so wie die Indianer die Mutter Erde nennen.