1. Startseite
  2. Politik

Vier Monate nach Beginn der Proteste: Bittere Realität im Iran

Erstellt:

Von: Sereina Donatsch

Kommentare

Die Propaganda-Maschinerie des iranischen Regimes läuft auf Hochtouren. Doch viele Menschen lassen sich davon nicht täuschen. Eine Analyse von Sereina Donatsch.

Frankfurt – Am 11. Februar, zum Jahrestag der islamischen Revolution von 1979, erklärte Irans Präsident die Proteste im Land für gescheitert. Laut Ebrahim Raisi steht das iranische Volk hinter der islamischen Herrschaft. Die Realität ist aber eine andere. Auch im Iran findet eine Zeitenwende statt. In einem Audiotape, das Ende vergangenen Jahres geleakt worden ist, gestehen Revolutionsgardisten, den „Medienkrieg“ verloren zu haben. Die Bevölkerung lässt sich nicht (mehr) täuschen, immer mehr Menschen wenden sich von dem Regime ab. Laut einer Online-Umfrage des niederländischen Forschungsinstituts Gamaan, die im Dezember durchgeführt worden ist, sprechen sich 81 Prozent der Menschen im Iran gegen die Islamische Republik aus. Nach mehr als vier Monaten Aufruhr samt brutaler Unterdrückung existiert die Protestbewegung immer noch. Die iranische Führung zeigt sich besorgt.

Und die Weltöffentlichkeit schaut zum ersten Mal genau zu. Durch die sozialen Medien gehen Videos und Fotos von getöteten und verhafteten Menschen weltweit viral. Der iranischen Propagandamaschine gelingt es immer weniger, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zu verschleiern. Ihr Lügengerüst bröckelt auch im Westen. Aber langsam.

Teheran am Dienstag, 21. Februar: Die iranische Währung stürzt ab. Diese Wirklichkeit kann das Regime nicht vertuschen.
Teheran am Dienstag, 21. Februar: Die iranische Währung stürzt ab. Diese Wirklichkeit kann das Regime nicht vertuschen. © afp

Proteste im Iran: Falsche Nachrichten als Beruhigungssignal an den Westen

Um sein Image aufzupolieren, verkündigt das Regime immer wieder gute Neuigkeiten. Das gehört zur Taktik. Diese soll etwas Positives bewirken, sollen als Gesten zugunsten der Bevölkerung wahrgenommen werden. Wie zu Beginn des Monats, als Irans Religionsführer Ayatollah Ali Chamenei verkündete, Zehntausende Gefangene zum Jahrestag der islamischen Revolution zu begnadigen. Darunter auch Personen, die während der jüngsten Proteste inhaftiert wurden. In Windeseile war die Information auf zahlreichen westlichen Nachrichtenportalen zu lesen.

„Obacht bei der Meldung, dass Tausende Inhaftierte freigelassen werden sollen. Die Begnadigung zum Tag der Revolution ist nicht neu und dient nun auch als Beruhigungssignal an westliche Regierungen. Ob Protestierende dabei sind, ist nicht bekannt. Die tägliche Gewalt geht weiter“, warnte daraufhin die deutsch-iranische Journalistin und Autorin Gilda Sahebi auf Twitter. Der andere große mediale Coup des Regimes war die Ankündigung der Auflösung der Sittenpolizei. Diese Nachricht landete hierzulande in den Schlagzeilen vieler Zeitungen und manche sahen darin gar ein Zeichen der Öffnung und des Reformwillens – die „FAZ“ etwa konstatierte einen „Etappensieg für die iranische Protestbewegung“.

Iran unter Druck, positive Nachrichten hervorzubringen

Die Information war so aber nicht korrekt. Das Regime agiert weiter repressiv. Angesichts des Generalstreiks im Dezember fühlte sich Teheran aber unter Druck. Um von Bildern der Gewaltexzesse abzulenken, streute der offizielle Medien- und Propaganda-Apparat also „gute Nachrichten“.

Die Mullahs seien in diesem Bereich „durchtrainiert“, erklärt die iranische Künstlerin und Publizistin Mina Khani in dem Podcast „Das Iran Update“, den Sahebi mit der Dokumentarfilmmacherin Sahar Eslah angesichts der Proteste gestartet hat. Die Führung kenne ihre „Gegner:innen“ sehr gut. Sie wende sich an deutsche Fachleute, die für sie im Westen als Sprachrohr agieren und ihr mitteilen, „wer auf was reinfallen kann“.

Diese Strategie sei Jahrzehnte alt und die iranische Führung versuche es „einfach immer wieder“. Fachleute und Aktivist:innen warnen daher, Aussagen des Staats Glauben zu schenken. Man muss die iranische Propaganda genauso kritisch einordnen und benennen wie die russische Propaganda im Ukraine-Krieg. Eine Wende in der Denkweise der Politiker:innen und der Berichterstattung sei erforderlich, finden viele. Es sei da „viel falsch gelaufen“ in den vergangenen Jahren, erklärt etwa die Journalistin Shahrzad Eden Osterer in einem Interview des Norddeutschen Rundfunks. Westliche Medien gäben ihr zufolge immer mal wieder eins zu eins das Narrativ des iranischen Staats wieder – der den Regierungen Friedenswillen vorgaukele, damit wirtschaftliche Abkommen zustande kommen.

Es ist schwierig, sich eine Übersicht zu verschaffen. Informationen häufen und widersprechen sich, auch das ist ein Bestandteil der iranischen Propaganda. Dazu gesellt sich die Sprachbarriere, die auch erklärt, wie Desinformationen in serösen Medien landen können oder von Politiker:innen übernommen werden. Journalist:innen stützten sich beim Iran oft auf staatliche Nachrichtenagenturen als Quellen, die „Hoffnung und Zerstörung“ verstreuen, wie Autorin Sahebi es einschätzt. Die Öffentlichkeit ist damit beschäftigt, sich zu fragen, ob die Nachrichten stimmen oder nicht. Derweil sitzen politische Inhaftierte kauernd im Gefängnis. Vielen droht die Todesstrafe.

Bittere Realität im Iran: Opfer verdienen mehr Aufmerksamkeit

Als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen des iranischen Staates hat der UN-Menschenrechtsrat im November vergangenen Jahres eine Resolution gegen den Iran verabschiedet. Er will die Gräueltaten vor Ort unabhängig untersuchen und dokumentieren lassen. Im gleichen Atemzug wurde Teheran auf Betreiben der USA aus der UN-Frauenrechtskommission ausgeschlossen.

Um Aufmerksamkeit für Opfer des Regimes zu schaffen, haben Politiker:innen im Dezember 2022 hierzulande sogenannte Patenschaften für Gefangene übernommen. Mithilfe von medialer Reichweite und Briefen, die sie an die iranische Botschaft schicken, soll öffentliche Aufmerksamkeit erregt werden, um Hinrichtungen zu verhindern. Und es scheint zu wirken: Bei einigen Gefangenen haben sich kurz nach der Aufnahme ins Patenschaftsprogramm die Haftbedingungen geändert. Auch wenn es in vielen Fällen keine direkten Auswirkungen hat, ist es von symbolischer Wirkmacht, dass der Iran weiterhin und zunehmend Kritik erfährt. Die iranische Führung ist geschwächt. (Sereina Donatsch)

Aktuelle Lage im Iran

Die Bundesregierung hat als Reaktion auf das Todesurteil eines Gerichts in Teheran gegen den Deutsch-Iraner Djamshid Sharmahd zwei iranische Diplomaten ausgewiesen. Das teilte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch in Berlin mit. Ein Revolutionsgericht hatte den 67-jährigen Sharmahd unter anderem für einen Terroranschlag verantwortlich gemacht, wie das Justizportal Misan am Dienstag gemeldet hatte. Überprüfen lassen sich die Vorwürfe nicht.

Baerbock erklärte, sie habe angesichts des Todesurteils den Geschäftsträger der iranischen Botschaft einbestellen lassen. Dies gilt als scharfes diplomatisches Mittel. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete das Todesurteil als „inakzeptabel“.

Die Beziehungen zwischen dem Iran und westlichen Ländern, darunter auch Deutschland, haben sich zuletzt massiv verschlechtert. Baerbock sowie Vertreter:innen der EU hatten Teheran für ihren gewaltsamen Umgang mit Protesten im Iran gegen die repressive Führung und das islamische Herrschaftssystem des Landes scharf kritisiert. Zuletzt verhängte die EU am Montag neue Sanktionen gegen Teheran, etwa gegen Gefängnisdirektoren, Staatsanwälte und Richter.

Das iranische Regime antwortete am Dienstag mit Gegensanktionen gegen 23 Personen und 13 Organisationen. Betroffen sind unter anderem die Bundestagsabgeordneten Renata Alt (FDP), Roderich Kiesewetter (CDU) und Michael Roth (SPD). Sie hatten sich jüngst kritisch zum Iran geäußert. Die Strafmaßnahmen umfassen demnach Einreisesperren und das Einfrieren möglicher Vermögenswerte im Iran.

20.000 Personen sind im Zuge der Proteste im Iran nach Schätzungen von Menschenrechtler:innen bisher festgenommen worden. Gegen mehrere Demonstrant:innen wurden anschließend Todesurteile verhängt und vier von ihnen bereits vollstreckt.

Auslöser der landesweiten Proteste im Iran war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. dpa

Auch interessant

Kommentare