Billigweizen macht Nachbarstaaten zu schaffen

Nach Polen und Ungarn erwägt Bulgarien ein Importverbot für ukrainisches Getreide. Brüssel rügt Alleingänge.
Die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine führen dazu, dass sich die kremlkritische nationalkonservative Regierung Polens und die des eher russlandfreundlichen Ungarn annähern - zumindest zeitweise. Kurz nach Polen kündigte jetzt auch Ungarn einen Importstopp für Weizen, Sonnenblumenkerne und andere Agrarprodukte aus der Ukraine an.
„Wir sind und bleiben Freunde und Alliierte der Ukraine“, versicherte Jaroslaw Kaczynski, der Chef von Polens regierender PiS-Partei, der das Importverbot mit dem Preisverfall auf dem heimischen Markt begründete: „Aber es ist die Pflicht eines jeden Staates, die Interessen seiner Bürger zu schützen.“ Die Aufhebung der EU-Zollpflicht für ukrainische Agrarprodukte habe die Märkte der Nachbarstaaten mit billigen Agrarprodukten überflutet, so Ungarns Agrarminister Istvan Nagy: Es sei für die Landwirte in Ungarn und anderen Staaten der Region „unmöglich“ geworden, ihre Erzeugnisse zu verkaufen.
Preis sinkt um 30 Prozent
Mit Verweis auf das Beispiel der beiden EU-Partner hat auch Bulgariens geschäftsführender Agrarminister Jawor Getschew einen möglichen Importstopp angekündigt. Brüssel zeigt sich derweil über den erneuten Alleingang der streitbaren EU-Sorgenkinder Polen und Ungarn wenig erbaut. Die EU-Kommission erinnerte in einer Erklärung daran, dass die Handelspolitik eine „exklusive Kompetenz“ der EU sei: Einseitige Schritte von EU-Mitgliedstaaten seien „inakzeptabel“.
Eigentlich sollte die vorläufig bis zum 30. Juni gewährte Aufhebung der EU-Importzölle den Weizenexporteur:innen der Ukraine eine Alternative zum zeitweise blockierten Seeweg zu ihren Märkten in Afrika und im Nahen Osten sichern. Doch in allen Anrainerstaaten macht der Preisverfall durch ukrainische Billigimporte den Landwirt:innen zunehmend zu schaffen.
In Bulgarien sind die Tonnenpreise für Weizen seit Juli um 30 Prozent, die von Sonnenblumenkernen gar um über die Hälfte gefallen. Seit Wochen setzen Bauernproteste und Traktorblockaden die Regierungen in allen Anrainerstaaten der Ukraine unter Druck. Bereits Ende März forderten Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn in einem Schreiben an die EU-Kommission die vorläufige Aussetzung der Zollbefreiung für ukrainische Agrarprodukte.
EU denkt über Verlängerung der Zollbefreiung nach
Doch die Mehrheit der EU-Partnerstaaten scheint angesichts des verschärften Ukrainekriegs eher an eine Verlängerung der Zollbefreiung als an dessen Ende zu denken. Kiew beteuert wiederum, dass nur ein kleiner Teil der heimischen Weizenexporte über den Landweg ausgeführt werde. „Wir verstehen, dass die polnischen Landwirte in einer schwierigen Lage sind. Aber die ukrainischen Landwirte sind in der allerschwersten Lage“, erklärte das ukrainische Agrarministerium.
Das Importverbot sei nötig, „um der EU die Augen zu öffnen“, sagt hingegen Polens Agrarminister Robert Telus. Tatsächlich sind es auch die nahenden Wahlen in Polen, der Slowakei und möglicherweise erneut in Bulgarien, die die Entscheidungsträger:innen unter Druck setzen: Die Popularitätswerte der polnischen PiS sind in ihren Hochburgen auf dem Land auffällig am Bröckeln.
So macht Michal Kolodzejczak von der Bauernbewegung „Agrounia“ auch Firmen aus dem Dunstkreis der PiS für die vermehrten Billigimporte von ukrainischen Agrarprodukten in den letzten Monaten verantwortlich: „Eine Handvoll von mit der PiS verbandelten Leuten wird mit diesem Handel reicher, der Rest von uns immer ärmer.“