1. Startseite
  2. Politik

Biden wieder in Warschau

Erstellt:

Von: Ulrich Krökel

Kommentare

Zum Jahrestag des Beginns des Ukraine-Kriegs hält Joe Biden in Polens Hauptstadt eine Grundsatzrede.
Zum Jahrestag des Beginns des Ukraine-Kriegs hält Joe Biden in Polens Hauptstadt eine Grundsatzrede. © AFP

Zum zweiten Mal innerhalb von elf Monaten reist der amerikanische Präsident nach Polen. Dort könnte zum Jahrestag des russischen Überfalls seinen Amtskollegen Selenskyj treffen.

Im ersten Überschwang suchte Andrzej Duda nach immer neuen Steigerungsformen. „Das ist für uns ein außergewöhnlich bedeutsames, extrem wichtiges Ereignis, absolut fundamental“, erklärte Polens Präsident, als er den Besuch von Joe Biden ankündigte. An diesem Montag reist der US-Präsident nach Polen. Eine programmatische Rede will er dort halten – und das bereits zum zweiten Mal innerhalb von nur elf Monaten. „Das gab es noch nie in der Geschichte unserer Länder“, betont auch Mark Brzezinski, der US-Botschafter in Warschau.

Niemand soll an der historischen Bedeutung dieses Besuchs zweifeln, dessen Anlass allerdings ein bitterer ist. Am kommenden Freitag jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine zum ersten Mal. Emotionale Reden und Bilder sind also garantiert, zumal womöglich aus Kiew auch Wolodymyr Selenskyj anreist – wenn es das Kriegsgeschehen erlaubt. Mit den Präsidenten der Ukraine, Polens und der USA wären dann die Staatsoberhäupter jener drei Länder beisammen, die sich den imperialen Ambitionen von Kremlchef Wladimir Putin seit einem Jahr am entschlossensten entgegenstellen.

Allerdings ist die Frage, ob bei dem Treffen mehr herauskommen kann als die Beschwörung des Immergleichen. Denn im Grunde ist ja längst alles gesagt. Biden rief schon bei seinem Besuch vor elf Monaten „die Rückkehr des Kampfes um die Freiheit“ aus. Er zitierte den polnischen Jahrhundertpapst Johannes Paul II., den „Bezwinger“ des Sowjetkommunismus: „Fürchtet euch nicht!“ Und schließlich nahm der US-Präsident auch noch Putin persönlich ins Visier: „In Gottes Namen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben.“ Es geht um alles, lautete die Botschaft: Er oder wir.

Was also soll noch hinzukommen? Ein paar Durchhalteparolen vielleicht. Biden könnte den legendären britischen Premier Winston Churchill zitieren, der im Zweiten Weltkrieg „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ beschwor, bevor am Ende der Sieg stehen werde. Manches spricht allerdings dafür, dass sich die Wirkung der ganz großen Gesten allmählich erschöpft. Weit wichtiger sind ohnehin die Taten. Die Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine zum Beispiel, aber auch strategische Weichenstellungen für ein langes Ringen mit Russland – im Zweifel über die Putin-Zeit hinaus.

In Polen hat man das früh verstanden. Das stellte Präsident Duda klar, als er nach seinem überschwänglichen Lob für den Biden-Besuch hinzufügte: „Das wichtigste politische Ereignis in diesem Jahr wird der Nato-Gipfel in Vilnius sein.“ Bei dem Treffen in der litauischen Hauptstadt will sich die Allianz im Juli für den Rest der 20er Jahre positionieren. Die Nord-Erweiterung um Finnland und Schweden soll in Vilnius „finalisiert werden“, wie es im Diplomatenjargon heißt. Sprich: Die Türkei soll bis dahin zustimmen. Vor allem aber geht es um Geld für dauerhafte Rüstungsanstrengungen.

Die Regierung in Warschau sieht sich dabei als Vorreiter und Antreiber zugleich. So hat Polen der Ukraine direkt nach der russischen Invasion innerhalb weniger Wochen mehr als 200 modernisierte T-72-Panzer sowjetischer Bauart überlassen. Die Logistik westlicher Waffenlieferungen hat ihre wichtigsten Zentren im Süden Polens. Nicht zuletzt hat das größte EU-Land im Osten auch die meisten Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Doch es geht nicht allein um Unterstützung für Kiew. „Wir stärken unsere eigene Sicherheit, indem wir die Ostflanke der Nato stärken“, sagt Duda. In Polen zweifelt niemand daran, dass ein Sieg Putins in der Ukraine auch die Existenz Polens bedrohen würde.

Nur zwei Wochen nach der russischen Invasion verabschiedete der Sejm in Warschau deshalb ein „Gesetz zum Schutz des Vaterlandes“. Das sonst so zerstrittene Parlament schrieb im Eiltempo fest, dass künftig mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgegeben werden müssen. Zum Vergleich: Die Nato hat zwei Prozent des BIPs als Ziel ausgegeben. Im laufenden Jahr plant die Regierung in Warschau sogar mit vier Prozent. Sie bestellte zuletzt 1000 K2-Kampfpanzer und K9-Haubitzen in Südkorea. Produziert wird allerdings in Polen, um die eigene Rüstungsindustrie zu stärken. Die USA wiederum liefern in den kommenden Jahren 250 „Abrams“-Panzer sowie „Himars“-Raketenwerfer.

Deutschland ist bei alldem nicht oder nur am Rande gefragt. Das Verhältnis zwischen den Nachbarn im Herzen Europas ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine spürbar gestört. „Zu wenig, zu spät“, lautet der Tenor der Dauerkritik an der deutschen Ukraine-Hilfe. Dass diese Klagen nicht immer begründet sind, zeigt das Ringen um die Lieferung von „Leopard-2“-Panzern an Kiew. Zwar zögerte Kanzler Scholz tatsächlich lange mit seiner Zustimmung für den Export. Doch nachdem die Entscheidung im Januar gefallen war, zeigten sich gleich mehrere europäische Partnerländer schlecht vorbereitet. Auch Polen. Dass dort im Herbst ein neues Parlament gewählt, erschwert zumindest die öffentlich geführte Kommunikation. Denn für die rechtsnationale PiS-Regierung ist Deutschland im Wahlkampf ein willkommener Sündenbock, um von Problemen der eigenen Politik abzulenken.

Kommentar Seite 11

Auch interessant

Kommentare