Ich bin ein homosexueller Mann und kein gläubiger Muslim. Pakistan ist jedoch ein islamisches Land, in dem die Gesellschaft keine homosexuellen Männer akzeptiert. Sie werden diskriminiert, ausgestoßen, häufig auch getötet. In meinem Heimatdorf hatte ich heimlich einen Freund, bis ich mit ihm erwischt wurde. Mein Vater ist sehr religiös und schlug mich einen Tag lang mit einem Kunststoffschlauch, dann wurde ich von meiner Familie verstoßen. Sie hat jeden Kontakt abgebrochen. Meine Eltern haben sogar eine Anzeige in einer regionalen Zeitung geschaltet mit einem Bild von mir. Darin heißt es, ich sei nicht mehr ihr Sohn, sie brechen alle Verbindungen zu mir wegen meiner Homosexualität. Ich sei kein guter Charakter und alles, was ich tue, habe nichts mit ihnen zu tun. Ich hatte kein Geld, kein Dach über dem Kopf, war alleine.
Und die Polizei?
Homosexualität ist verboten. Die Polizei hat mich schließlich verhaftet; ich wurde sehr schlecht behandelt und geschlagen. Eineinhalb Monate war ich im Gefängnis, bis mich mein Onkel freigekauft hat. Mein Vater hatte sich geweigert. In Pakistan homosexuell zu sein, ist schlimmer als der Tod. Am besten ist es, man bringt sich einfach um.
Wie kamen Sie nach Deutschland?
Mein Onkel hat mir geraten, das Land zu verlassen, weil mein Vater mich umbringen könnte. Er hat mir geholfen und den Schleuser organisiert. Ich kam dann in ein Flüchtlingsheim nach Trebur.
Sie hatten eine Anhörung beim Bamf bezüglich der Einzelfallprüfung. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Was war passiert?
Der Interviewer ging während der Anhörung überhaupt nicht auf mich ein. Auch drängte mich der Dolmetscher die ganze Zeit zur Eile, ließ mich meine Geschichte gar nicht erzählen. „Enden Sie hier jetzt“, hat er ständig gesagt, Details wollte er keine hören. Es hat mich total gestresst, dass er mich nicht hat reden lassen. Ich war neu in Deutschland, kannte weder das Prozedere noch meine Rechte, war panisch und stand völlig unter Druck.
Was hat die Ablehnung mit Ihnen gemacht?
Als ich den Bescheid bekam, stand ich unter Schock. Alle schrecklichen Bilder aus Pakistan gingen mir wieder durch den Kopf, das Gefängnis, meine Familie, die Gesellschaft – alles, was sie mit mir gemacht hatten. Ich dachte, bevor ich zurückgehe, bringe ich mich um. Bis ich die Menschen von den Rainbow Refugees getroffen habe, die mir sehr geholfen haben. Wegen ihnen bin ich überhaupt noch hier. Mittlerweile lebe ich auch nicht mehr im Flüchtlingsheim sondern in einer WG mit einem schwulen Paar zusammen. Im Heim zu leben, war für mich furchtbar, weil ich auch dort wegen meiner Homosexualität angefeindet wurde.
Sie haben gegen den Ablehnungsbescheid geklagt und hatten kürzlich Ihre Verhandlung am Landgericht in Wiesbaden. Die Richterin hat die Entscheidung des Bamf widerrufen und Sie als Flüchtling anerkannt.
Die Verhandlung war wirklich gut, weil ich all das sagen durfte, was ich auch sagen wollte. Die Richterin interessierte sich für meine Probleme und ging ins Detail. Als dann das Urteil kam, war ich einfach nur glücklich. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr, ich habe geweint vor Glück. Ich bin so dankbar, dass mir Deutschland ein neues Leben ermöglicht.
Wie geht es Ihnen jetzt?
In Deutschland lebe ich in Freiheit. Ich muss mich nicht verstecken, sondern kann sagen, dass ich schwul bin, kann meine Gefühle ausdrücken. Insbesondere hier in Frankfurt bei den Rainbow Refugees fühle ich mich aufgehoben – die Menschen hier haben mir immer sehr geholfen. Demnächst will ich eine Ausbildung beginnen als Automechaniker und mit einem Partner einfach nur in Frieden leben. Und meinen Führerschein machen.
Herr Wechterstein, im Ablehnungsbescheid ist von einer „angeblichen“ Homosexualität die Rede? Unterstellen die Behörden oft ein Vortäuschen?
Die Ablehnungsbescheide der Menschen, die aus Pakistan kommen, gleichen sich häufig. Es werden in der Regel einfach Textbausteine verwendet, wobei es ja auch gerade im Falle Sufyan nur eine kurze Anhörung gab. Daher sprechen sie von einer „angeblichen“ Homosexualität, aber der eigentliche Grund der Ablehnung ist ein anderer. Geht es um Pakistan, wird immer gesagt, dass die Menschen in die Großstädte gehen könnten, weil dort ihr Leben nicht bedroht sei trotz ihrer Homosexualität. Das sehen wir anders, und damit stehen wir nicht alleine. Die Menschen selber sagen, dass ein Leben als Homosexueller in Pakistan praktisch nicht möglich ist – auch nicht in der Großstadt.
Bei dem Protokoll der Anhörung des Bamf mit Sufyan könnte man den Eindruck haben, es sei reine Schikane.
Die Position des Bamf ist ja nicht die, den Menschen hier einfach so Asyl zu gewähren, und natürlich müssen sie prüfen, ob auch ein Grund vorliegt. Insofern ist eine wohlwollende Befragung sicherlich nicht zweckdienlich. Trotzdem sollte es nicht passieren, dass homosexuelle Menschen bei einer Anhörung in Schwierigkeiten geraten, schon alleine deshalb, weil sie sich sehr unwohl fühlen. Da gibt es Dolmetscher, die zu erkennen geben, dass sie Homosexuelle nicht akzeptieren, weshalb sie oft Dinge einfach nicht übersetzen, die für den Fall wichtig sind. Aber sicherlich hat das Bamf eine Quote, wie viele Fälle sie annehmen bzw. ablehnen sollen, was jedoch eine schlechte Qualität der Entscheide zur Folge hat. Und eigentlich gebe es auch die Möglichkeit, einen thematisch sensibilisierten Menschen als Anhörenden zum Gegenüber zu bekommen. Nur weiß das niemand.
Ist es nicht die Pflicht des Bamf, über die Rechte aufzuklären?
Sufyan war zunächst in dem Flüchtlingsheim als Homosexueller allein und konnte sich niemandem anvertrauen. Er wusste nichts von unterstützenden Strukturen. Den Kontakt zu Rainbow Refugees fand er erst, nachdem er seinen negativen Bescheid bekommen hatte. Das Bamf selbst würde nicht auf die Idee kommen, den oder die Betroffene auf seine Rechte bezüglich der Anhörung aufmerksam zu machen. Aber unsere Erfahrung ist, dass natürlich ein sensibilisierter Mensch für eine solche Anhörung notwendig ist. Dann kommt es auch nicht zu deplazierten Fragen, was häufig dann passiert, wenn sich homosexuelle Menschen über ihre Sexualpraktiken äußern sollen. Das kennen wir aus vielen Fällen – wobei eigentlich klar sein muss, dass Menschen, die wegen ihrer Sexualität flüchten, große Schwierigkeiten haben, generell über Sexualität zu sprechen. Wenn an dieser Stelle keiner die richtigen Fragen stellt, gehen die Anhörungen immer daneben. Weil es bei der Entscheidung zu falschen Interpretationen kommt, wie im Fall Sufyan.
Die Bescheide beziehen sich ja auch auf die Anhörung ...
Wir hören oft, dass die Geflüchteten mit einem guten Gefühl aus der Anhörung heraus gehen, weil ihnen signalisiert wurde, dass alles gut gelaufen ist. Bis dann der ablehnende Bescheid kommt. Vielleicht wäre es besser, dass die Person, die die Anhörung macht, schließlich auch die Entscheidung trifft. Das ist aktuell aber nicht so. Die Protokolle werden in ein Entscheidungszentrum geschickt, wo Menschen sitzen, die acht bis zehn Entscheidungen am Tag treffen müssen. Das führt oft aufgrund fragwürdiger Protokolle zu Fehlentscheidungen, die dann beim Verwaltungsgericht landen. Das sagen übrigens auch alle im Gericht Zuständigen: Wären die Bescheide qualitativ besser, würde nicht alles bei ihnen landen.
Neben dem Faktor Zeit, den so ein Verfahren mit sich bringt, gibt es auch einen erheblichen Kostenfaktor…
Die Kosten für die Fehlentscheidungen des Bamf, die ein Gericht wieder rückgängig macht, übernimmt der Steuerzahler, weil ja die Bundesrepublik Deutschland verklagt wird. Aus meiner Sicht wäre es daher besser, die Qualität sowohl der Anhörung zu steigern als auch sorgfältiger zu sein bei der Auswahl der Dolmetscher und der Entscheider. Hier müsste mehr Geld investiert werden, es würden erhebliche Gerichtskosten gespart.
Die Ausführungen im Ablehungsbescheid von Sufyan erscheinen widersprüchlich. Auf der einen Seite wird festgestellt, dass Homosexualität in Pakistan unter Strafe steht, auf der anderen Seite seien dem Auswärtigen Amt keine Fälle bekannt. Wieso entscheidet das über die Anerkennung?
Das Auswärtige Amt berücksichtigt nicht, weshalb viele Gefängnisstrafen vor Ort nicht verhängt werden: Die pakistanische Gesellschaft nimmt die Bestrafung vorweg. Wenn Homosexuelle beim Sex erwischt werden, wartet die Gesellschaft nicht auf die Polizei. Die Menschen werden verprügelt, ausgestoßen, teilweise getötet, und diese Tatsache nimmt das Bamf nicht wahr. Wobei es natürlich auch Verhaftungen gibt. Sufyan ist ja im Gefängnis gewesen.
Definition des Europäischen Gerichtshofs zu Fluchtursachen lautet: „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ – fällt Homosexualität nicht unter Letzteres?
Im Falle Pakistan wird sich immer darauf berufen, dass man in einer Großstadt untertauchen könne. Doch das schätzt sowohl das Bamf als auch das Auswärtige Amt völlig falsch ein. Gerichtsurteile bestätigen, dass man als schwuler Mann auch nicht in einer pakistanischen Großstadt leben kann. Trotzdem ist das die pauschale Begründung. Wir haben noch den Fall eines anderen Geflüchteten – ebenfalls aus Pakistan. Bei ihm folgte das Verwaltungsgericht der Linie des Bamf, der Mann wurde abgelehnt, der Fall zugemacht. Es ist insofern nicht eindeutig, wie die Gerichte entscheiden, wir versuchen hier gerade, eine Berufung zu erwirken. Im schlimmsten Fall wird er in die Situation zurückgeschickt, aus der er kommt. Und die ist vergleichbar mit der von Sufyan. Insofern kann man sich auf das Gericht nicht verlassen.
Das klingt nach einem Lotteriespiel.
Wir brauchen ein grundlegendes Urteil der höchsten Klageinstanz, wo klargestellt wird, wie die Situation von homosexuellen Menschen in Pakistan ist. Das Ergebnis muss sein, dass man sie nicht nach Pakistan zurückschicken kann. Wenn das Bundesverwaltungsgericht ein richtungsweisendes Urteil ausspräche, würde das in jedem Fall wahrgenommen.