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Berlin-Wahl 2023: Die Hauptstadt ist besser als behauptet

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Von: Martin Benninghoff

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Hohe Kriminalität, kaputte Behörden, Wahlwiederholung: Für viele ist die Hauptstadt eine „failed city“. Aber stimmt das überhaupt?

Berlin – Klare Frage, klare Antwort: Nein, Berlin ist nicht gescheitert. Berlin ist auch nicht liebenswürdig, das Wort geht in Zusammenhang mit dieser rauen Schönheit schwer über die Lippen. Aber wer den Jungfernstieg sucht, soll nach Hamburg fahren. Frankfurt hat seine neue Altstadt: Ja, die ist schön, aber auch (noch) museal. Berlin hat seine alte Neustadt. Nicht wie Potsdam, kein Freilichtmuseum, dafür kratzbürstig, in Wintertagen grau wie Peking, nur ohne grün angeleuchtete Bäume, im Sommer dafür umso grüner, knarzig und lauschig wie eine urbane Lichtung im dunklen Brandenburger Wald. Vielfältig und anregend, die trotz aller Gentrifizierung in Mitte und anderswo noch immer interessanteste deutsche Stadt.

Martin Benninghoff, Leiter der Politikredaktion der Frankfurter Rundschau
Martin Benninghoff, Leiter der Politikredaktion der Frankfurter Rundschau. © FR

Wahlwiederholung in Berlin: Dysfunktionaler Senat, marode Behörden – oder war es andersherum?

Dass das hier gesagt werden muss, ist der Akt eines Dramas. Denn das deutsche und zugleich herrlich undeutsche Berlin ist im restlichen Mainstream-Land zur Chiffre des Scheiterns geworden. Fast egal, mit wem man über die Hauptstadt ins Plaudern kommt, das Urteil ist gefällt: dysfunktionaler Senat, marode Behörden – oder war es andersherum? Der neue Flughafen im Südosten – eine Lachnummer. Moabit, Wedding, der Kotti – versiffte Brennpunkte. Der Görlitzer Park, eine Art Mordor für den Rest der Republik, erst recht für den dünkelhaften Süden. Da reist sogar Boris Palmer mit allerlei Kameras im Schlepptau an, um seinem Tübingen zu zeigen, wie verkommen eine Stadt sein kann. Macht einen Zaun um Berlin, auf dass sich die Seuche nicht ausbreitet – Neukölln ist eben überall.

Pro und Contra

Dieser Artikel ist Teil einer Pro-und-Kontra-Betrachtung zu der Frage, ob Berlin eine gescheiterte Stadt ist. Eine ganz andere Meinung aus der FR-Redaktion vertritt Michael Hesse, Leiter des Feuilletonressorts der Frankfurter Rundschau. Er findet: Berlin ist schlechter als befürchtet.

Erinnern Sie sich noch an das gleichlautende Buch von Heinz Buschkowsky? Ein Bestseller, nicht nur wegen seiner steilen Thesen zur Integrationspolitik, sondern wegen seines Berlin-Bashings aus erster Anschauung. Die Hauptstadt als Bad Bank von Restdeutschland. Das verkauft sich gut, ist aber vor allem nur ein Image, das Berlin immer mehr zu schaffen macht. Und jetzt das noch: Die Stadtbürokratie ist selbst mit dem Wählen überfordert. Siehste, weeßte, nu lass man bloß det Jammern!

Die Wahrheit ist komplexer, als es die Städtereisenden meinen, die mal quer durch die Hackeschen Höfe schlendern und danach meinen, die Stadt zu kennen. Die verstolperte Wahl ist peinlich. Das Ringen um den Flughafen ist peinlich. Aber nicht so peinlich wie der alte in Tegel, der – wie eine fleckige Visitenkarte – gleich zur Umkehr bewegen mochte. Das Behörden-Pingpong zwischen Ämtern und Senat ist legendär – nicht gerade Ausweis von Kommunalkompetenz. Eine Verwaltungsreform muss es richten.

Die Silvesternacht klingt in Berlin lange nach.
Die Silvesternacht klingt in Berlin lange nach. © IMAGO/snapshot

Berlin-Wahl 2023: Die Tram – ein Traum für alle, die mal in Köln gelebt haben

Andererseits: Berlin ist eben auf Sand gebaut, und der kann nasskalt oder schön warm sein, je nach Wetterlage. Wäre Neukölln wirklich überall, dann gäbe es in Deutschland auch vielmehr interessante Hotspots der Food-Szene, Hinterhofclubs, Musikbunker, den Karneval der Kulturen oder historische Besonderheiten wie den alten Türkischen Friedhof oder die jüdische Kultur. Wer das schätzt und auch die ruhige Gelassenheit vieler Wohnkieze, tut sich mit den Nachteilen der betonierten Metropole leichter.

Wobei mir eigene Erlebnisse als früherer Wahlberliner sagen, dass so manches Klischee nicht zutrifft, zumindest in meiner anekdotischen Evidenz: Der öffentliche Nahverkehr ist beispielsweise ziemlich gut. Die Ringbahn, die unzähligen Busverbindungen inklusiver eigener Spur auf den Straßen, die Tram – ein Traum für alle, die mal in Köln gelebt haben. Oder auch die Behördentermine: Die gingen ziemlich flott. Klar, subjektiver Eindruck, aber das Rathaus Schöneberg war in der Sache vortrefflich organisiert, selbst der Pförtner hat geantwortet, was ja schon per se ein gutes Zeichen in Berlin ist.

Wahlplakat Wiederholungswahl fuer das Abgeordnetenhaus in Berlin
In Berlin wird erneut das Abgeordnetenhaus gewählt. © Imago Images

Ich könnte jetzt auch noch von den breiten Bürgersteigen in vielen Stadtteilen sprechen, die Berlin tatsächlich für eine Stadt dieser Größe recht kinderfreundlich machen, während man anderswo fast überfahren wird, sobald man aus der Tür tritt. Mache ich aber nicht. Kennt man ja, weeßte! (Martin Benninghoff)

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