Besetzung von Gremien: Ampel sucht kaum Rat der Zivilgesellschaft

Die Bundesregierung lässt sich von mehr als 300 Gremien unterstützen – vor allem aus Wissenschaft und Wirtschaft, kaum jedoch von Bildung und Kultur.
Frankfurt – Die Bundesregierung lässt sich von zahlreichen Gremien beraten. Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft führen dabei das Wort. Die Zivilgesellschaft ist nur zu einem kleinen Teil vertreten. Zudem läuft die Tätigkeit der Gremien oft, ohne dass die Öffentlichkeit Einblick hat.
Das geht aus der Studie „Gut beraten?“ hervor, die Siri Hummel und Laura Pfirter vom „Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft“ jetzt im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung erarbeitet haben. Die Untersuchung, die der Frankfurter Rundschau vorliegt, wird am heutigen Mittwoch auf der Homepage der Stiftung veröffentlicht. Hummel und Pfirter fordern darin „eine adäquate Abbildung der zivilgesellschaftlichen Vielfalt“ in den Beratungsgremien ein.
Hunderte Gremien, auch unter der Ampel-Regierung
Vom „Deutschen Ethikrat“, dem „Digitalrat“ oder den „fünf Wirtschaftsweisen“ dürften die meisten politisch Interessierten bereits gehört haben. Doch nirgendwo gibt es ein Verzeichnis der mehreren hundert Sachverständigengremien, die von der Bundesregierung berufen wurden. Die Autorinnen der Studie konnten 302 solcher Gremien ermitteln. Zu 223 davon fanden sie die nötigen Informationen, um sie in die Analyse einfließen zu lassen.
Dabei bezieht sich die Untersuchung auf die Zeit der großen Koalition von 2017 bis 2021. Unter der Ampel-Regierung seien aber „keine grundsätzlichen oder systematischen Änderungen festgestellt“ worden, konstatieren Hummel und Pfirter. Das sei nicht verwunderlich, da die meisten Gremien nicht für Legislaturperioden, sondern für längere Zeiträume einberufen würden.
Mehr als 4200 Mitglieder in zahlreichen Gremien beraten die Regierung
Die mehr als 220 untersuchten Räte, Kommissionen und anderen Gremien hatten mehr als 4200 Mitglieder. Davon ließ sich ein Drittel der Wissenschaft zuordnen. Vertreter:innen der Wirtschaft folgten mit knapp 29 Prozent. Angehörige von Behörden und Politik waren mit zusammen knapp 21 Prozent vertreten. Erst auf Platz vier folgt die Zivilgesellschaft mit knapp 15 Prozent der Mitglieder.
Dabei werde die Zivilgesellschaft meistens durch Großorganisationen wie Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften oder Naturschutzverbände vertreten. Dies werde dem fortscheitenden Pluralismus in der Gesellschaft nicht gerecht und zeige auch „ein fehlendes Verständnis für die Vielfältigkeit der Zivilgesellschaft vonseiten der Politik“, urteilen die Autorinnen.
Gremien: „marginalen Vertretung gemeinwohlorientierter Perspektiven aus der Zivilgesellschaft“
Der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, Jupp Legrand, erinnerte daran, dass eine Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen immer wieder als Ziel genannt werde. „Angesichts der marginalen Vertretung gemeinwohlorientierter Perspektiven aus der Zivilgesellschaft, die auch noch schwächer vertreten sind als behördliche und politische Akteure, kann dieses Ziel nur als gescheitert bezeichnet werden“, urteilte Legrand.
Zugleich zeigte die Untersuchung auf, wie stark die Besetzung der Beratungsgremien zwischen den Ressorts variiert. So dominiert die Wirtschaft die Gremien des Wirtschaftsministeriums mit 66 Prozent, ist aber auch im Finanzministerium und im Verkehrsministerium stärker als alle anderen Gruppen vertreten. Dagegen war die Zivilgesellschaft mit fast 60 Prozent stark in Gremien des Entwicklungsministeriums vertreten, aber auch in Beratungsgremien des Familien- und – durchaus überraschend – des Verteidigungsministeriums mit jeweils mehr als 30 Prozent.
Intransparentes Verfahren – kaum Akteur:innen aus Bildung und Kultur
Bemerkenswert ist weiter, dass kaum Akteurinnen und Akteure aus Bildung und Erziehung, Sport, Kunst und Kultur zu Rate gezogen wurden. Unter den Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft waren vor allem Personen, die sich mit Menschen- und Bürgerrechten befassten, mit Verbraucherschutz, Umwelt- und Naturschutz oder die aus Selbsthilfegruppen kamen.
Die Autorinnen der Studie beklagten ebenso wie die Otto-Brenner-Stiftung das intransparente Verfahren bei der Berufung und Besetzung der Gremien. Bei ihren Recherchen seien Hummel und Pfirter auf eine „austernähnliche Verschlossenheit“ gestoßen, konstatierte Legrand. Dies müsse sich ändern, wenn die Ampelkoalition ihrem Anspruch gerecht werden wolle, transparentes Regierungshandeln zu praktizieren.
Zu den Empfehlungen der Studie zählt denn auch, die Informationen über die Beratungsgremien „übersichtlich, vollständig und leicht verständlich“ zugänglich zu machen – denn daran mangele es bisher. Erst recht liege keine Übersicht vor, die auch Beratungsgremien von Bundesländern und Kommunen umfasse. Zudem sollten die Verfahren der Berufung von externen Sachverständigen offengelegt werden. (Pitt von Bebenburg)