Schwarz-Rot für Berlin? „Das würde Giffey weiter starke Sichtbarkeit ermöglichen“

Politologin Julia Reuschenbach über die Strategie der Berliner SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey nach der Wiederholungswahl in einem Bündnis mit der CDU,
Frau Reuschenbach, Franziska Giffey hat eine beispiellose Volte vollzogen und tritt als ehemalige Regierende Bürgermeisterin nun in die zweite Reihe des Berliner Senats zurück. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Aus parteipolitischer Sicht kann die SPD in der möglichen Koalition mit der CDU mehr Senator:innen stellen, als das im Dreierbündnis mit Grünen und Linken der Fall gewesen wäre. Das verstärkt die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Partei, zumal angesichts der Tatsache, dass die Legislatur ja weiterläuft und schon in gut drei Jahren die nächsten Wahlen anstehen. Daneben ist der Schritt auch eine Anerkennung für den deutlichen Wahlvorsprung der CDU und die Verluste der eigenen Partei. Er zeugt ein wenig von Demut für diesen Wahlausgang, ist aber de facto zugleich für Franziska Giffey persönlich entscheidend, um weiterhin politisch aktiv zu sein.
Also ein kluger Schritt?
Ein Restrisiko bleibt. Sollten die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen, wäre wohl auch Franziska Giffey politisch nicht länger haltbar. Wenn das Bündnis mit der CDU aber kommt, birgt es das Potenzial, dass die SPD Dinge, die nicht hinreichend schnell genug passieren oder blockiert werden, auch mal dem Koalitionspartner und damit der führenden Regierungspartei zuschieben kann. Zugleich zeigt die Bundeshistorie der SPD aber, dass es nicht einfach ist, als kleiner Partner in einer Großen Koalition zu bestehen. Es wird darauf ankommen, dass die Wähler:innen einen Erfolg der Regierung dezidiert der SPD zuschreiben, sonst läuft sie Gefahr zu erleben, was sie im Bund unter Angela Merkel erlebt hat. Auch damals begann die große Koalition wie nun in Berlin mit einer hälftigen Aufteilung der Posten, was der SPD schlussendlich aber nicht nützte.
Giffey hätte Regierungschefin bleiben können mit Rot-Grün-Rot. Ist ihr Verhältnis zu den Grünen so schwierig, dass sie das ausschlägt?
Sie konnte sich schon bei der Wahl 2021 eine Zusammenarbeit in einem eher mittig-konservativen Bündnis mit CDU und FDP vorstellen. Damals setzte sich jedoch der eher linke SPD-Landesverband durch. Dazu kommt nun das Wissen um die enormen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Grünen in den vergangenen anderthalb Jahren. Es geht jedoch vor allem um die strategische Frage, in welcher Konstellation die SPD glaubt, mehr eigene Themen und Ideen umsetzen zu können. Der Landesvorstand ist da nun Giffey und ihrem Co-Vorsitzenden Raed Saleh gefolgt, die diese Möglichkeit in einer Koalition mit der CDU offenbar als besser bewerteten.

Die SPD-Basis wird über den Koalitionsvertrag abstimmen. Was schätzen Sie, wie das ausgeht?
Eine Glaskugel habe ich nicht, aber: Im Bund haben wir damals eine Kampagne der Jusos gegen die Große Koalition erlebt, wie wir sie aktuell auch bei den Berliner Jusos sehen. Am Ende stimmten im Bund 66 Prozent für das Bündnis. Es wird darauf ankommen, ob aus dem Vertrag deutlich wird, welche Gestaltungsmöglichkeiten sich für die SPD ergeben, wie gut man verhandelt hat, welche SPD-Anliegen als Themen der Koalition sicher gesetzt sind. Wenn das glaubhaft vermittelt werden kann, rechne ich damit, dass die Basis zustimmen wird.
Zur Person
Julia Reuschenbach forscht am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft in Berlin mit den Schwerpunkten Parteien und Wahlen. FR
Und wenn nicht?
Die Alternativen wären rauszugehen aus der Regierung oder die Fortsetzung des bisherigen, schwierigen Senats samt einer personellen Neuaufstellung, weil Giffey und Saleh dann meines Erachtens politisch nicht haltbar wären. Das würde bedeuten, dass die Partei in der Opposition landet oder über Monate interne Debatten führen würde. Daran kann niemand in der SPD Interesse haben.
Giffey wird als Senatorin für Stadtentwicklung gehandelt. Welche Bedeutung hat dieses Ressort für Berlin? Kann sie sich damit profilieren?
Berlin boomt und Stadtentwicklung kann dabei ein Ressort mit Strahlkraft werden, welches in die Bereiche Technologie, Wirtschaft, Wissenschaft, Wohnen, Verkehr und vieles mehr hineinragt. Das wäre für Giffey sicherlich attraktiv und würde ihr weiter eine starke Sichtbarkeit neben Kai Wegner ermöglichen. Es ist vorstellbar, dass die großen Fragen der Stadt wie Mobilität, Wohnraum, Klima bei der nächsten Wahl eine größere Rolle spielen und das Ressort Stadtentwicklung dahingehend strategisch eine kluge Wahl darstellt.
Berlin war mal eine Hochburg der SPD, die jetzt auf gut 18 Prozent abgestürzt ist. Wird Giffeys Vorgehen den Abstieg der SPD bremsen oder beschleunigen?
Das lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Falls die Koalition mit der CDU kommt, wird es entscheidend darauf ankommen, dass die SPD eigene Erfolge in der Koalition auch als eigene Erfolge reklamieren kann und der Rolle des Juniorpartners damit entschieden entgegentritt. Wenn es gelingt, Kompetenzwerte zurückzugewinnen, zu zeigen, dass gerade die Beteiligung der SPD an der Regierung dazu führt, dass Dinge in Berlin nun endlich vorankommen, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass die Partei sich stabilisieren kann. Der Blick auf weitere Landtagswahlen der letzten Jahre zeigt jedoch auch, dass mit wenigen Ausnahmen die Stimmenanteile von SPD und CDU insgesamt rückläufig sind. Dies liegt an der Ausdifferenzierung unseres Parteiensystems und an der zunehmend höheren Bereitschaft zur Wechselwahl bei den Wähler:innen.
Interview: Tatjana Coerschulte