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Für Benjamin Netanjahu wird es eng

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Von: Inge Günther

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Auf einer rotierenden Plakatwand werden die Kandidaten Benjamin Netanyahu (rechts) und Yitzhak Herzog abwechselnd gezeigt.
Auf einer rotierenden Plakatwand werden die Kandidaten Benjamin Netanyahu (rechts) und Yitzhak Herzog abwechselnd gezeigt. © dpa

Israel steht an diesem Dienstag vor einer Richtungsentscheidung. Vor den Parlamentswahlen liegt das linke Bündnis von Jitzchak Herzog in Umfragen voran. Premier Benjamin Netanjahu bangt um seine Macht. Das Land ist in Wechselstimmung.

Der Mahane-Jehuda-Markt in Jerusalem ist eine Welt für sich, typisch israelisch und zugleich orientalisch. Fromme Juden kommen her, um billig einzukaufen, und schicke Yuppies, um im Überangebot die beste Qualität zu finden. Wer sich als Politiker volksnah geben möchte, ist hier richtig, vorausgesetzt, er gehört nicht der falschen Partei an. Der Mahane-Jehuda-Markt gilt als Hochburg des rechtskonservativen Likud von Benjamin Netanjahu, den hier jeder „Bibi“ nennt. Früher haben die Marktschreier ihn als „König von Israel“ gefeiert, wenn er zu Wahlkampfzeiten auftauchte. Heutzutage ist das nicht mehr so selbstverständlich. In Israel herrscht Wechselstimmung.

Gegendemonstranten, die „Bibi ha-beita“ anstimmen – Bibi, geh nach Hause – hätten dem Premier da gerade noch gefehlt. Auch die Medien, die unliebsame Fragen stellen könnten, blieben vergangene Woche bei seinem unangekündigten Marktbesuch außen vor. Die Likud-Strategen wollten sicherstellen, dass nur Bilder eines unbekümmert strahlenden Netanjahu, umringt von jubelnden Anhängern, veröffentlicht werden. Trotzdem hatte der Premier bei seiner Stippvisite das Pech, sich seinen Hafuch, eine israelische Cappuccino-Variante, ausgerechnet im Sirtaki-Café zu bestellen; dessen Besitzerin ist eine bekennende Linke – eine Ausnahmeerscheinung in diesem traditionsbewussten Basar. Jedenfalls hat Anat Lessem ihm das Wechselgeld extra in kleinen Münzen ausgezahlt: 87 Schekel auf seinen 100-Schekel-Schein. „Damit er sieht, dass wir einfachen Leute mit jedem Schekel rechnen müssen.“

Netanjahu fordert: „Wacht auf“

Eine ältere Kundin regt sich über ihr „respektloses Verhalten gegenüber dem Premier“ auf. Aber die Skandalgeschichten um die vom staatlichen Rechnungsprüfer bescheinigte Verschwendungssucht im Hause der Netanjahus und um ihren Geiz gegenüber Angestellten, sie haben Spuren hinterlassen. „Nein, ich bin nicht mehr begeistert von Bibi“, meint der Verkäufer am Nussstand. „Den Gazakrieg hat er nicht gut gemacht und auch gegen die Wohnungsnot nichts getan.“ Er wähle lieber die religiöse Schas-Partei. Der nächste Markthändler bekennt sich zu Kulanu, einer Likud-Abspaltung mit sozialpolitischem Profil.

Natürlich gibt es sie noch, eingefleischte Likud-Wähler, für die „nur Bibi“ in Frage kommt. Aber selbst Netanjahu lässt eine gewisse Panik erkennen, je näher der Wahltag am 17. März rückt. „Wacht auf“, fordert er. So versucht er, die lustlose, demoralisiert wirkende Likud-Basis zu mobilisieren. Sonst säßen am Ende noch diese Linken, Izchak Herzog und Zipi Livni, in der Regierung.

Sein Herausforderer Herzog, von dem alle gesagt haben, er könne Netanjahu nicht das Wasser reichen, scheint ihm tatsächlich gefährlich zu werden. Dessen Mitte-Links-Bündnis Zionistische Union, das Labour-Chef Herzog zusammen mit Zipi Livni und ihrer Mini-Partei Hatnua geschmiedet hat, hat in den Umfragen die Nase vorne. Herzog ist der glatte Gegensatz zu Netanjahu.

Der Anwalt gilt als integer, bescheiden und ziemlich uncharismatisch. „Bougie“ nennen sie ihn, was französisch mit weichem „dsch“ in der Mitte ausgesprochen wird. Den Kosename hat ihm seine Mutter einst verpasst, weil alle den Jungen so süß fanden, wie er kürzlich Auslandskorrespondenten freimütig gestand.

Israelische Machos finden das lächerlich. Einen, der „Bougie“ heißt, von kleiner Statur ist und trotz seiner 54 Jahre aussieht wie ein Primaner, können sie sich nicht als Premier vorstellen.

Herzog hat die Nase vorn

Aber man hat Herzog oft unterschätzt. Schon als die Arbeitspartei ihn im November 2013 zu ihrem Vorsitzenden wählte, lästerten die Gegner. Umso mehr überzeugte er dann als aktiver Oppositionschef, der mit Verhandlungsgeschick kleinere Fraktionen in ein Bündnis holte, um sich vereint gegen rechte Gesetzesanträge zu stellen. Seine politische Erfahrung lässt sich ohnehin nicht bestreiten. Er war Kabinettssekretär in der Regierung von Ehud Barak und später erfolgreich als Minister, unter anderem für Soziales und Wohnungsbau – genau jene Felder, die Netanjahu so vernachlässigt hat.

Die beiden Spitzenkandidaten des linken und rechten Lagers sind schon von ihren Elternhäusern her ideologisch höchst unterschiedlich geprägt. Herzog ist Sprössling einer politischen Dynastie, die in Israel gerne mit den Kennedys verglichen wird. Sein Großvater war aschkenasischer Chefrabbiner zu Staatsgründerzeiten. Der Vater, Chaim Herzog, diente als UN-Botschafter und später als Staatspräsident. Zionismus wurde in seiner Familie stets pragmatisch interpretiert.

Netanjahu hingegen wuchs im Geiste der israelischen Revisionisten auf. Sein Vater Benzion, ein bekannter Historiker, war einst Sekretär von Vladimir Jabotinsky, der von einem jüdischen Staat im gesamten biblischen Land, einschließlich Jordanien träumte. Als Netanjahu senior 2012 im Alter von 102 Jahren starb, hatten manche geglaubt, dass sich „Bibi“ von diesem Einfluss befreien und einen realpolitischen Kurs auch gegenüber den Palästinensern einschlagen würde. Ein Irrtum. Netanjahu blieb der Siedlerlobby verbunden. Ihm wird zwar nachgesagt, dass es ihm dabei vor allem um sein politisches Überleben ging. Aber auch Ehefrau Sara steht politisch rechtsaußen.

Herzogs größter Vorteil ist, dass viele Israelis die Netanjahus nach sechs Jahren politischen Stillstands satt haben – es sind sogar neun Jahre, wenn man „Bibis“ erste Amtszeit hinzuzählt. „Ja, stimmt, „Bougie“ verkörpert nicht gerade den Führertyp. Aber eine bessere Alternative haben wir nicht. Und mit Netanjahu kann es nicht mehr weiter gehen“, sagt Dita Kleinman. Vor gut einer Woche ist sie eigens aus Beer Sheva in das 100 Kilometer entfernte Tel Aviv gefahren: zur Massendemonstration unter dem Motto „Israel will den Wechsel“.

Kein Parteiführer sprach dort. Neben Ex- Mossad-Chef Meir Dagan, einem entschiedenen Netanjahu-Kritiker, erhielt die Witwe eines in Gaza gefallenen Soldaten den größten Applaus. Was sie und die nahezu 50 000 dort versammelten Menschen vereinte, ist das Verlangen nach einer Regierung, die den nächsten Krieg verhindert, die Frieden versucht, statt Angst zu schüren.

Beim Konflikt mit den Palästinensern wagt sich allerdings auch Herzog nicht weit vor. Erst einmal müsse man schauen, ob es in Ramallah noch Verhandlungspartner gebe. „Vielleicht sind sie ja dort inzwischen ganz vernarrt in unilaterale Schritte“, wie sie Mahmud Abbas, der palästinensische Präsident, mit den Mitgliedsanträgen an diverse UN-Institutionen und den Strafgerichtshof in Den Haag eingeleitet habe. Aber er, so Herzog, werde sein Bestes versuchen, den Friedensprozess wiederzubeleben.

Sein Mann für Sicherheitsbelange, Amos Jadlin, einst Chef im militärischen Geheimdienst, ist freilich ein Hardliner, der vor Friedensillusionen warnt. Immerhin, soweit geht Herzog doch: Den israelischen Siedlungsausbau tief im Westjordanland, der die Zwei-Staaten-Lösung sabotiert, will er stoppen. Das dürfte ihm internationalen Beifall sichern. Herzog ist etwas schier Unmögliches gelungen, bescheinigt ihm Ari Schavit, ein prominenter israelischer Querdenker. „Er hat die Hoffnung wiederhergestellt.“ Auch scheint „Bougie“ mit seiner Rolle zu wachsen.

Seine Stimme, früher etwas quäkig, klingt inzwischen voll dank zweimonatigen Übungen mit einem Sprachtrainer. Herzog ist kein Bestdarsteller wie Netanjahu, der sich als „Mr. Security“ verkauft und gekonnt seinen sonoren Bariton und sein etwas maliziöses Lächeln einsetzt, wenn er etwas Sarkastisches über die bösen Absichten der iranischen Ajatollahs sagt. Nur ziehen Netanjahus rhetorische Talente nicht mehr wie gewohnt. Vielleicht noch im US-Kongress, wo er kürzlich die Republikaner zu Begeisterungsstürmen hinriss. Aber bei vielen Israelis kommt der kleine Herzog derzeit besser an.

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