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Belgiens König hat im Kongo sechs Tage Zeit für eine Entschuldigung

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Von: Johannes Dieterich

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Kongolesische Tänzerinnen und Tänzer empfangen das Königspaar (M.) in Begleitung von Präsident Felix Tshisekedi (r.). Foto: Benoit Doppagne/BELGA/dpa.
Kongolesische Tänzerinnen und Tänzer empfangen das Königspaar (M.) in Begleitung von Präsident Felix Tshisekedi (r.). Foto: Benoit Doppagne/BELGA/dpa. © dpa

Belgiens König Philippe beginnt seinen Besuch in der Ex-Kolonie Kongo, die lokale Presse nennt ihn „historisch“. Erwartet wird eine große Geste, der jedoch viele größeres Leid gegenübersteht.

Auf die zwei Jahre kam es dann auch nicht mehr an. Eigentlich waren Belgiens König Philippe und seine Frau Mathilde hier schon im März 2020 erwartet worden, aber dann kam zunächst die Corona-Pandemie und schließlich der russische Überfall auf die Ukraine dazwischen.

Am Dienstag war es dann endlich soweit: Das Monarchenpaar traf in Kinshasa, der Hauptstadt der heutigen „Demokratischen Republik Kongo“, ein: zu seinem ersten Besuch in der belgischen Ex-Kolonie. Ein „historisches Ereignis“, titelt die belgische Presse, Kongos Öffentlichkeit zeigt sich dagegen weniger begeistert. „Das Geld für diesen Besuch wäre besser für Schulen ausgegeben worden“, sagt ein junger Kongolese in Kinshasa zur Nachrichtenagentur Reuters.

Bedauern über „Gewalttaten und Grausamkeiten“

Noch steht nicht fest, ob es zu dem Vorgang kommen wird, der Philippes Besuch wirklich historisch machen würde: dass sich der Monarch öffentlich für das Unheil entschuldigt, das sein Volk, vor allem aber seine Vorgänger auf dem Thron, über die Menschen im Kongo gebracht haben. Rund zehn Millionen sollen der belgischen Fremdherrschaft bis 1960 zum Opfer gefallen sein: Die Schergen der „Force Publique“ schlugen unzähligen Afrikaner:innen die Hand ab, wenn sie zu wenig Kautschuk ablieferten, und sperrten Frauen in Konzentrationslager, damit die Männer nicht fliehen. Vor zwei Jahren schrieb Philippe Kongos Präsident Felix Tshisekedi einen Brief, in dem er sein „tiefstes Bedauern“ über die im Kongo verübten „Gewalttaten und Grausamkeiten“ zum Ausdruck brachte: Dass der Monarch dieses Bedauern nun auch öffentlich zur Sprache bringt, wird von vielen erwartet.

Philippe hat dafür sechs Tage Zeit. Schon am Mittwochabend, nach Redaktionsschluss, könnte es dazu kommen, wenn der Gast in Kinshasas Parlament spricht. Am Freitag wird er vor Studierenden in der Universität der südkongolesischen Stadt Lubumbashi eine Rede halten. Und am Sonntag sucht er Friedensnobelpreisträger Dennis Mukwege in dessen Hospital in der ostkongolesischen Stadt Bukavu auf, wo der Gynäkologe von Vergewaltigungen verstümmelte Frauen versorgt.

Die wohl schrecklichste Kolonialzeit aller afrikanischen Länder

Den ersten Pflichttermin hat Philippe bereits hinter sich: Beim Besuch des Nationalmuseums in Kinshasa überreichte er eine Holzmaske des Suku-Volks, die von Belgien vor über hundert Jahren geraubt worden war. Ein erster symbolischer Akt: Belgiens Regierungschef Alexander De Croo, der den König auf seiner Reise begleitet, kündigte bereits im Februar die Rückgabe von 84 000 Kunstwerken an – zumindest solle diese „diskutiert“ werden.

Der Kongo hat die wohl schrecklichste Kolonialzeit aller afrikanischen Länder hinter sich. Als junge europäische Nation mischte Belgien erst spät im Kolonialismus mit: Philippes Ur-Ur-Großonkel Leopold II. riss sich die von anderen europäischen Mächten gemiedene Urwald-Region 1885 als Privatbesitz unter den Nagel – offiziell, um sie vor der Sklaverei zu schützen. In Wahrheit ließ er den Kongo, den er nie besuchte, ausrauben.

Belgien bereicherte sich an Elfenbein, Gold und vor allem Gummi

Sein Königreich, das fast 90 Mal kleiner als die Ex-Kolonie ist, bereicherte sich an Elfenbein, Gold und vor allem Gummi. Als Leopolds grausame Herrschaft weltweit Aufsehen erregte, sah sich der Monarch 1908 gezwungen, seinen Privatbesitz der belgischen Regierung zu übergeben.

Auch dieser war an der Entwicklung des Landes nicht wirklich gelegen: Bei seiner Unabhängigkeit verfügte der Kongo über zwei Dutzend afrikanische Universitätsabgänger. Als Philippes Großonkel Baudouin bei den Feiern zur Unabhängigkeit 1960 in Kinshasa die Errungenschaften der belgischen Kolonialmacht pries, kam es zum Eklat: Vor den Kameras der Weltpresse warf der frisch gewählte Regierungschef Patrice Lumumba dem Monarchen an den Kopf, dass die Kongolesen ihre Freiheit von der belgischen Herrschaft mit ihrem Blut erkämpfen mussten. Ein halbes Jahr später wurde Lumumba auf Betreiben des belgischen und US-amerikanischen Geheimdienstes umgebracht, sein Leichnam in Säure aufgelöst.

Der belgische Polizist Gérard Soete sicherte sich allerdings einen Zahn Lumumbas, den er fast 40 Jahre später einem TV-Team der BBC präsentierte. Nach Soetes Tod ging der mit einer Goldkrone überzogene Zahn in den Besitz der belgischen Staatsanwaltschaft über. Seit Jahren bemühen sich die Kinder Lumumbas bereits um die Rückgabe des Zahns: Das soll noch in diesem Monat tatsächlich geschehen. Allerdings erst nach dem königlichen Besuch: Philippe sollte der unkomfortable Akt offenbar erspart bleiben.

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