Belarus: Russland kann sich nicht raushalten

Osteuropa wirft dem Kreml vor, die Krise an der polnisch-belarussischen Grenze mitorganisiert zu haben.
Kremlsprecher Dmitri Peskow ärgerte sich. „Wir wollen annehmen, dass solch wahnsinnige Ideen nur in solchen Falschmeldungen leben“, kommentierte er die Meldung der Agentur Bloomberg, dass auch der russischen Fluggesellschaft Aeroflot EU-Sanktionen wegen des Transports von Migrant:innen nach Minsk drohten.
Peskow und seine Moskauer Kolleg:innen schimpfen seit Tagen über verantwortungslose Äußerungen oder blauäugige Lügen. Sie schimpfen vor allem über Russlands osteuropäische Nachbarländer, etwa den polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki. Der hatte die „neoimperiale Politik“ Russlands für die Krise mit den vielen im Niemandsland an der Grenze zwischen Belarus und Polen feststeckenden Menschen verantwortlich gemacht. „Lukaschenko ist der Ausführende, aber seine Vollmachtgeber sitzt in Moskau.“
Belarus: Gab es eine russische Spezialoperation?
Auch der frühere ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin sprach von einer „russischen Spezialoperation mit Flüchtlingen in Belarus“, Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas unterstellte Russland und Belarus „politische Erpressung“. Der polnische Politologe Darius Maternyak verglich die Ereignisse an der Grenze zu Belarus gar mit Russlands Intervention auf der Krim 2014, als russische Militärs in die Ukraine eindrangen, Moskaus Offizielle ihre Anwesenheit aber vehement leugneten.
Allerdings tragen die Bewaffneten, die auf den Videos der feststeckenden Menschen an der Grenze zu sehen sind, Tarnanzüge des weißrussischen Grenzschutzes. Und der belarussische Oppositionsaktivist Artur P. verneint gegenüber unserer Zeitung eine aktive Beteiligung Moskaus.
Der Diktator in Minsk ist auf Unterstützung angewiesen
Artur P. beobachtet die Fluchtbewegungen aus Kurdistan gen Belarus seit Monaten. Und er sagt: „Wir sehen dort keine Russen. Das hat Lukaschenko organisiert. Aber er tut alles, um den Eindruck zu erwecken, dass Russland mit ihm ist.“ So habe Lukaschenko schon lange geplante, gemeinsame Flüge russischer und weißrussischer Kampfflieger dieser Tage als eine Reaktion auf polnische Hubschrauber verkauft, die an der Grenze patrouillieren. „Aber es ist richtig, die Russen verantwortlich zu machen“, sagt Artur P. „Sie haben 130 Milliarden Dollar in Lukaschenko investiert, sie halten ihn an der Macht.“
Wladimir Putin stärkte dem Weißrussen auch diesmal prompt den Rücken. „Moskau und Minsk seien im ständigen Kontakt“, hieß es am Dienstag nach einem Telefonat Putins und Lukaschenkos aus dem Kreml. Außenminister Sergei Lawrow verkündete die offizielle Lesart der Ereignisse: Die Verantwortung trügen die EU und die Nato, die dem Nahen Osten und Nordafrika viele Jahre lang ein besseres Leben und Demokratie nach westlichem Vorbild hätten aufdrängen wollen. Europa müsse die Rechte der Flüchtlinge an der polnischen Grenze respektieren und sie aufnehmen. Und wenn die EU der Türkei Geld gezahlt habe, damit Flüchtlinge dort blieben, warum helfe sie jetzt nicht auch den Belaruss:innen?
Lukaschenko profitiert von den Menschen, die in die EU wollen
Allerdings kassieren Lukaschenkos Behörden schon bei den Menschen, die in die Europäische Union wollen, selbst ab – ein irakischer Kurde sagte dem Portal „zerkalo.io“, seine Familie habe allein für die belarussischen Einreisedokumente pro Kopf 3000 Dollar bezahlt.
Die polnischen Grenzschützer aber versperren der Masse der Menschen, die es in den Westen zieht, weiter den Weg. Der Moskauer Politologe Alexei Muchin sagt, für Russland berge die Situation wegen der möglichen Sanktionen eher Schaden als Nutzen, aber es werde darauf unbedingt antworten. „Dabei gehört Russland nicht zu den aktiven Teilnehmern des Konfliktes.“
Auch die Ukraine verlegt Truppen an die Grenze zu Belarus
Und auch die Ukraine wird nun aktiv: Mit Blick auf die Lage im polnisch-belarussischen Grenzgebiet schickt das Land Tausende Soldat:innen an seine Grenze zu Belarus. „Zusätzlich werden etwa 8500 Militärdienstleistende und Polizisten aufgeboten“, kündigte Innenminister Denys Monastyrskyj am Donnerstag im westukrainischen Gebiet Wolhynien an. Sie sollen an die über 1000 Kilometer lange ukrainisch-belarussische Grenze verlegt werden. Zusätzlich sollen die teils unwegsamen Wald- und Sumpfgebiete unter anderem mit 15 Hubschraubern überwacht werden.
Lukaschenko verkündete am Donnerstag, es werde versucht, Waffen aus der ostukrainischen prorussischen Donezker Rebellenrepublik zu den flüchtenden Menschen an der Grenze zu schmuggeln. Die Behauptung klingt ziemlich verzweifelt. (Stefan Scholl mit dpa)