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Bangladesch: „Es mangelt an einer jugendfreundlichen Politik“

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Von: Sabine Hamacher

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Klimaprotest in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Frauen und junge Menschen sind den Folgen von Extremwetter in besonderem Maß ausgesetzt, sagt Sousan Suha. Imago Images
Klimaprotest in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Frauen und junge Menschen sind den Folgen von Extremwetter in besonderem Maß ausgesetzt, sagt Sousan Suha. © IMAGO/aal.photo

Fast ein Drittel der Bevölkerung von Bangladesch ist unter 30, doch die Jungen haben kaum Einfluss auf politische Entscheidungen. Sousan Suha kämpft dafür, dass sie gehört werden.

Frau Suha, Sie arbeiten vorwiegend mit jungen Menschen. Es ist vermutlich schwierig, zu verallgemeinern – aber wie würden Sie deren Situation in Bangladesch beschreiben?

Fast 28 Prozent der Bevölkerung des Landes sind zwischen 15 und 29 Jahre alt. Sie sind den Älteren gegenüber nach wie vor benachteiligt, weil sie nur begrenzt Zugang zu Entscheidungsprozessen haben. Außerdem gibt es nicht genügend Haushaltsmittel für jugendrelevante Themen wie Bildung, Arbeit, Unternehmertum, Gesundheitsversorgung und Digitalisierung. Ganz generell mangelt es an einer jugendfreundlichen Politik und sozialen Schutzmechanismen; schrumpfende demokratische Freiräume und der Klimawandel verstärken die Verwundbarkeit weiter. In der Folge werden die Rechte junger Menschen verletzt, ihr großes Potenzial und ihre Energie können sie nicht voll ausschöpfen.

Wie ausgeprägt ist die soziale Ungleichheit?

Soziale Ungleichheit und Diskriminierung bestehen auf mehreren Ebenen. Während soziale und wirtschaftliche Bedingungen die Qualität des Bildungswegs bestimmen und damit auch die späteren beruflichen Aussichten, spielen bei der erzwungenen Binnenmigration der geografische Kontext und der Klimawandel eine Rolle. Der politische Raum ist turbulent, das hat eine ungleich verteilte Macht zur Folge. Was die Geschlechterrollen angeht, hat die Bildung von Mädchen zwar Wunder bewirkt; Patriarchat und Ungleichheit sind in der Realität aber weiterhin stark verankert, Hierarchien bestimmen nach wie vor Sexualität, Berufsleben und den Zugang zu Kapital und Macht.

Was verstehen Sie unter einem turbulenten politischen Raum?

Bei der letzten Parlamentswahl in Bangladesch wurden 182 Geschäftsleute und nicht etwa Berufspolitiker:innen in die Versammlung gewählt, was gut 61 Prozent aller Mitglieder ausmacht. Der Anteil der Abgeordneten im Parlament unter 30 Jahren ist mit 0,29 Prozent der niedrigste unter den südasiatischen Ländern. 23 weibliche Abgeordnete wurden in direkter Wahl gewählt; 50 Sitze sind im Parlament von Bangladesch, das derzeit 350 Sitze hat, Frauen vorbehalten. Es gibt keine reservierten Sitze für religiöse und indigene Minderheiten, sie sind kaum vertreten. Darin spiegelt sich die in den politischen Parteien vorherrschende Machtpraxis wider.

„Der Anteil der Abgeordneten im Parlament unter 30 Jahren ist mit 0,29 Prozent der niedrigste unter den südasiatischen Ländern.“

Sousan Suha

Wie unterstützen Sie Jugendliche in schwierigen Verhältnissen ganz konkret – und welche Widerstände müssen Sie dabei überwinden?

Wir befähigen junge Menschen dazu, ihre Rechte einzufordern, indem wir sie vernetzen und ihnen Raum geben. Sie lernen, ein Bewusstsein für ihre Rechte zu entwickeln und Forderungen zu formulieren. Mit unserer Unterstützung tauschen sie sich mit gleichgesinnten jungen Menschen aus, bilden Netzwerke und setzen sich bei verschiedenen Interessengruppen dafür ein, einen positiven Wandel in ihren Communities herbeizuführen. Sie lernen außerdem, sich an Veränderungen anzupassen und ihre Rechte mittels sozialer Bewegungen durchzusetzen, sowohl online als auch offline.

Sie haben schon die Lage der jungen Frauen angesprochen. Können Sie ausführen, wo genau es hakt bei der Gleichberechtigung? Und wie verbreitet ist das Interesse für feministische Ideen?

Bangladesch wird seit vielen Jahren von Premierministerinnen regiert, aber was die Chancengleichheit in der Arbeitswelt und in der Politik angeht, ist eine Parität der Geschlechter noch lange nicht erreicht. Zwar ist der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung in Bangladesch auf 42,68 Prozent gestiegen, doch arbeiten schätzungsweise 90 Prozent von ihnen im informellen Sektor, wo es schwierig ist sicherzustellen, dass gleiche Löhne gezahlt werden. Außerdem sind Frauen besonders stark den Folgen des Klimawandels ausgesetzt. Oft fehlt ihnen der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. In den abgelegeneren Regionen schränken religiöse und soziale Stigmatisierung ihre Bewegungsfreiheit ein. Die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen hat seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Bangladesch stark zugenommen, ebenso die Zahl der Kinderheiraten. Auf der anderen Seite haben Bildung und Wirtschaftskraft durch Arbeitsplätze in der Textilindustrie das Leben der Frauen verändert. In dem Maße, in dem sie sich ihrer Rechte bewusst werden, ist es wichtig, den Fortschritt durch eine explizit feministische Politik voranzutreiben, die für Gleichberechtigung sorgen und allen zugute kommen sollte.

Sousan Suha.
Sousan Suha. © Friedrich-Ebert-Stiftung Bangladesch

Warum betrifft der Klimawandel besonders Frauen, haben Sie Beispiele?

Der Klimawandel führt zu Binnenvertreibung und Armut, die Zahl der Schulabbrüche und Kinderheiraten steigt. Das Eindringen von Salz in den Küstengürtel beeinträchtigt die Gesundheit, und Gebärmutterhalskrebs ist zu einer alarmierend häufigen Krankheit geworden. Außerdem sind Frauen gezwungen, auf der Suche nach sicherem Trinkwasser weite Strecken zurückzulegen. Bei extremen Naturereignissen führt der fehlende Zugang zu Land und Geld, zu Informationen, politischen Entscheidungsprozessen und den notwendigen sozialen Netzen zu noch mehr Leid. Dazu kommt: In den Notunterkünften werden Frauen sexuell belästigt. Es gibt jedoch andererseits auch hervorragende Beispiele für frauengeführte Initiativen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Welche Möglichkeiten haben Sie, speziell junge Frauen in ihrem Alltag zu unterstützen und zu stärken?

Zur Person

Sousan Suha , geboren 1995 in Chattogram, Bangladesch, hat Internationale Beziehungen an der Universität von Dhaka studiert. Sie arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Action Aid Bangladesh.

Sie gründete Positive Bangladesh, eine Plattform, die jungen Menschen in prekären Verhältnissen die Möglichkeit gibt, kritisches Denken und kulturelle Sensibilität zu erlernen und sich an kreativen Aktivitäten zu beteiligen, um religiösem Extremismus und sozialen Stereotypen etwas entgegenzusetzen. Sousan Suha nimmt an der „Global Assembly“ in Frankfurt teil. sha

Unsere Förderung zielt darauf ab, die Präsenz von Frauen in allen sozio-politischen Bereichen zu erhöhen. Die Leadership-Programme sind auf die Bedürfnisse und Anforderungen junger Frauen zugeschnitten, sie sollen deren Fähigkeiten und kognitive Kapazitäten weiterentwickeln. Wir ermutigen die Frauen, Kampagnen zu entwerfen und sich zusammenzuschließen, um ihre Stimmen zu entdecken und zu verstärken. Außerdem organisieren wir Vorzeigeprogramme und Veröffentlichungen, um die außergewöhnlichen Führungsqualitäten und Leistungen dieser jungen Frauen hervorzuheben.

Wie ausgeprägt ist das politische Interesse bei jungen Menschen in Bangladesch?

Sie sind sich ihrer Rechte durchaus bewusst. In jüngster Zeit gab es zwei große, von jungen Menschen angeführte Bewegungen; die eine setzte sich dafür ein, die ungerechte Quotenregelung für Stellen im öffentlichen Dienst abzuschaffen; die andere forderte mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Sprechen wir da von Demonstrationen und Protesten?

Nicht nur, es gibt auch andere Formen der politischen Initiativen und Aktivitäten der Hochschulgruppen. Während der Verkehrssicherheitsbewegung 2018 überprüften zum Beispiel Studierende symbolisch die Fahrzeugpapiere und Führerscheine, um das fehlerhafte System in Frage zu stellen.

Welche Rolle spielt für die Jungen die Demokratie?

Sie spielt eine wichtige Rolle im Leben junger Menschen. Sie hat zum Ziel, Chancengleichheit für alle herzustellen. Durch eine freie und faire Wahl lassen sich Forderungen verwirklichen. Die aus der Demokratie resultierende Transparenz und Rechenschaftspflicht sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Freizügigkeit geben den Menschen einen Rahmen, um ihre Rechte einzufordern.

Wie setzen Sie sich für Demokratie ein? Gegen welche Bedrohungen müssen Sie sich wappnen?

Gegenwärtig bemühen wir uns, die Demokratie zu stärken, indem wir verschiedene Interessengruppen und Netzwerke zusammenbringen und in Diskussionen einbinden, an deren Ende Vorschläge für politische Verbesserungen stehen. Gleichzeitig wird auf individueller Ebene geforscht und geschrieben.

Was sind die konkreten Gefahren für die Demokratie in Bangladesch?

Desinformation, mangelnde Transparenz und die fehlende Rechenschaftspflicht der Regierungsbehörden sind derzeit die größten Bedrohungen.

„Bangladesch wird seit vielen Jahren von Premierministerinnen regiert, aber was die Chancengleichheit in der Arbeitswelt und in der Politik angeht, ist eine Parität der Geschlechter noch lange nicht erreicht.“

Sousan Suha

In Kürze steht die „Global Assembly“ in Frankfurt an. Haben Sie konkrete Erwartungen an dieses Treffen, was Ihre Arbeit betrifft? Oder freuen Sie sich auf einen allgemeinen Austausch?

Ich war von der Idee der „Global Assembly“ fasziniert, da sie eine fantastische Gelegenheit ist, die drängendsten Menschenrechtsfragen unserer Zeit gemeinsam zu identifizieren, zu diskutieren und zu analysieren – was auch die Chance bietet, kontextbezogen Lösungen zu finden. Es ist eine wunderbare Plattform, um die Gemeinsamkeiten und Gegensätze der Krisen in den verschiedenen Regionen zu verstehen und über Wege nach vorne nachzudenken. Ich erwarte von diesem Forum, dass es nicht nur gelegentlich auf Diskriminierung und Ungleichheit hinweist, sondern sich zu einer Lobby entwickelt, die sich für menschenrechtsorientierte Themen einsetzt. Ich bin auch sehr daran interessiert, auf eine universelle wirtschaftliche und politische Teilhabe hinzuarbeiten, denn nur auf dieser Grundlage lassen sich drängende globale Krisen bewältigen und öffentliche Güter gemeinsam schützen. Das gilt vor allem für das Klima.

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