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Grüne im Landtag stimmen wie die AfD - Partei gibt Stellungnahme ab

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Von: Katja Thorwarth

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Die Baden-Württemberger SPD beantragt im Landtag in Stuttgart, die Duldung integrierter Asylsuchender zu prüfen. Die Grünen stimmen dagegen. Mit der CDU - und der AfD.

Eine Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart, in der Menschen nach 2015 auf engem Raum ausharren mussten.
Eine Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart, in der Menschen nach 2015 auf engem Raum ausharren mussten. ©  via www.imago-images.de

Stellungnahme der Grünen in Baden-Württemberg im O-Ton: „Dass wir Anfang des Jahres über eine Ermessensausübung des Landes diskutieren mussten, ist nur deshalb notwendig geworden, weil die Große Koalition im Bund aus SPD und CDU es versäumte, eine Bleiberechtsregelung zu schaffen, die den Menschen und den Unternehmen hilft.  Die von der GroKo eingeführte Beschäftigungsduldung ist derart restriktiv, dass kaum jemand deren Bedingungen erfüllt. Insbesondere müssen die Menschen erst zwölf Monate mit ständiger Angst um Abschiebung leben, bevor sie die Duldung erhalten. Ein tatsächlich unerträglicher Zustand – über den sich auch die baden-württembergische Unternehmerinitiative empört! 

Die SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag wusste, dass wir ihrem Antrag zum einen aus koalitionären Gründen nicht zustimmen können. Aber, noch wesentlicher: Sie wusste zudem, dass zeitgleich – auch im Zusammenhang mit Verhandlungen zum Polizeigesetz - ein weitreichender Kompromiss mit der CDU in Sachen Bleiberecht in Arbeit war, den wir nicht gefährden wollten und nicht gefährden durften. Weil wir für die Geflüchteten etwas erreichen wollen!

Wir haben in Baden-Württemberg via Härtefallkommission jetzt eine gute Bleiberechtslösung – die Unternehmerinitiative steht hinter uns. Konkret: Menschen die bis auf die erforderliche zwölf Monate Wartezeit ansonsten alle Voraussetzungen der von der GroKo eingeführten restriktiven Beschäftigungsduldung erfüllen, geben wir eine Möglichkeit an die Hand, diesen unsäglichen Wettlauf mit der Zeit zu beenden: Sie können einen Antrag an die Härtefallkommission richten und sind dann erst mal allein dadurch vor Abschiebung geschützt. Die Baden-Württembergische Härtefallkommission kann darüber hinaus in diesen Fällen das Vorliegen eines Härtefalls vermuten und den Menschen ein Bleiberecht ermöglichen.“ 

Grüne im Stuttgarter Landtag stimmen wie die AfD gegen SPD-Antrag

Erstmeldung vom 18.09.2020: Stuttgart - Im Baden-Württemberger Landtag kam es im Januar dieses Jahres zu einer bemerkenswerten Abstimmung, bei der sich die Grünen und die AfD im Abstimmungsergebnis überraschend einig waren. Gegenstand war die „Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende“ - ein Antrag der SPD.

Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“: Verlust von Integrierten „großer wirtschaftlicher Schaden“

Der Hintergrund ist nach wie vor aktuell. Geflüchtete, die in Deutschland gut integriert sind und einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben, werden immer wieder abgeschoben. Das zeigt auch ein aktueller Fall in Hessen, wo ein 19-Jähriger auf der Treppe seiner Schule zwecks Abschiebung verhaftet wurde. Solche Praktiken stoßen nicht nur bei Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl auf Ablehnung. Auch Wirtschafts- und Sozialverbände fordern längst einen flexibleren Umgang mit Menschen in Arbeits- oder Ausbildungsverhältnissen, und das unter anderem auch, weil in einzelnen Berufsgruppen Fachkräftemangel herrscht und Geflüchtete diese Lücken schließen können.

In Bayern und Baden-Württemberg hat sich daher bereits 2018 die Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“ gegründet, die den „Verlust der bereits integrierten und fest angestellten Geflüchteten als Arbeitskräfte“ auf ihrer Homepage als „großen wirtschaftlichen Schaden“ begreift. Zwar existiert seit 1. Januar 2020 die sogenannte Beschäftigungsduldung. Die greift aber nur bei denjenigen, die bereits seit zwölf Monaten geduldet sind, oder seit „mindestens 18 Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden pro Woche“ ausüben. Das reiche für eine „Planungssicherheit“ nicht aus, weil diese Kriterien auf viele arbeitenden Geflüchteten nicht zutreffen.

Baden-Württemberger SPD will Ermessungsspielraum prüfen

Diesen Ansatz scheint die baden-württembergische SPD aufgegriffen zu haben. Am 29. Januar 2020 stellte sie im Landtag den Antrag, die Ausübung des Ermessens bezüglich einer Duldung „gut integrierter Asylsuchender“ trotz einer Ausreisepflicht zu prüfen, um sie nicht abzuschieben. Konkret ging es den Sozialdemokraten um die Frage, wie das die grün-schwarze Landesregierung in der Praxis handhabt und inwiefern in Baden-Württemberg der Spielraum weitestmöglich ausgereizt wird, um eine Abschiebung gut integrierter Menschen zu verhindern.

Als Begründung hieß es, dass es in Baden-Württemberg regelmäßig „zur Abschiebung gut integrierter Asylsuchender, die eine feste Arbeitsstelle hatten“ komme. Weiter dürfe „die Sinnhaftigkeit solcher Abschiebungen ... grundsätzlich bezweifelt werden, daneben entsteht den betroffenen Betrieben ein Schaden durch den Verlust einer benötigten Arbeitskraft. Der Antrag soll dazu dienen, herauszufinden, wie die Möglichkeiten und die Pläne der Landesregierung sind, mit diesen Fällen angemessen umgehen zu können“.

Grünen-Fraktion stimmt fast geschlossen gegen den SPD-Antrag

In der Landtagssitzung am 29. Januar fasste es Andreas Storch (SPD) wie folgt zusammen: „Wir müssen die Menschen, die in Arbeit sind, in unserem Land lassen.“ Und die Grünen, die immerhin mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellen? Die wunderten sich in Gestalt des Abgeordneten Daniel Lede Abal darüber, dass die SPD im Bund Gesetze beschließe, „um dann die Landesregierung zu fragen, weshalb sie diese anwendet. Die SPD hat im vergangenen Jahr Seehofers Migrationspaket durchgewunken, das uns jetzt diese Probleme beschert.“ Ermessen räume zwar gewisse Freiheiten ein, sei aber nicht „Belieben“. Vielmehr bräuchte es eine Gesetzesinitiative im Bundesrat.

Als es schließlich zur Abstimmung des SPD-Antrags kam, die Handlungsrealität in Baden-Württemberg zu prüfen und als Folge womöglich auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, stimmten die Grünen, bis auf zwei Enthaltungen*, geschlossen dagegen – gemeinsam mit der CDU und der AfD. Das ist insofern bemerkenswert, als es in der Sache eigentlich auch ein Anliegen der Grünen hätte sein müssen, Geflüchtete in einer akuten Notsituation vor einer Abschiebung zu bewahren. Als Partei in der Regierungsverantwortung hätten sie die Möglichkeit, eine Verbesserung des Status quo für Asylsuchende umzusetzen, und parallel eine mögliche Gesetzesänderung bundesweit voranzutreiben. Doch an dieser Sitzung im Stuttgarter Landtag zeigt sich beispielhaft, wie Parteipolitik über die Sache und Interessen der Menschen gestellt wird.

*Liebe Leser*innen, in einer ersten Version dieses Artikels hieß es, es habe nur eine Enthaltung bei den Grünen gegeben. Das war falsch. Es waren tatsächlich zwei Enthaltungen. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, diesen zu entschuldigen.

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