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Immer mehr Russen zieht es nach Serbien – das bringt auch negative Folgen

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Von: Thomas Roser

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Man kann Putin in Belgrad nicht entgehen: Auch hier gibt es Putin-Fans.
Man kann Putin in Belgrad nicht entgehen: Auch hier gibt es Putin-Fans. © Vladimir Zivojinovic/AFP

Immer mehr Menschen aus Russland siedeln sich in der serbischen Hauptstadt Belgrad an. Die Einwanderung hat jedoch nicht nur positive Effekte auf die Stadt.

Belgrad – Eine Polizeiabsperrung schützt vor dem Belgrader Café „Russischer Zar“ die Mahnwache der Kriegsgegner:innen. „Stoppt den Krieg in der Ukraine!“, „Putin = Kriegsverbrecher“ oder „Stoppt die Okkupation der Ukraine“ lauten die serbischen, russischen und ukrainischen Aufschriften auf den schwarzen Protestplakaten: Neben den Friedens-Aktivistinnen der Belgrader „Frauen in Schwarz“ sind es vor allem eingewanderte Russ:innen, die in Serbiens russophiler Hauptstadt gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen.

Es sei „interessant“, dass ausgerechnet Russen „an der Front“ von Serbiens eher schwachen Antikriegsprotesten stünden, sagt Sasa Seregina, die aus der Wolga-Stadt Samara stammende Mitbegründerin der Gruppe „Russen, Ukrainer, Weißrussen und Serben gemeinsam gegen den Krieg“: „Wir trafen uns am Tag des Kriegsausbruchs bei einem spontanen Protest vor der russischen Botschaft.“

Flucht aus Russland nach Serbien: Viele wollten schon vor dem Ukraine-Krieg gehen

Wenige Tage nach Kriegsausbruch hatte der blonde Musiker Sergej (Name auf Wunsch geändert) in dem 1800 Kilometer Luftlinie von Belgrad entfernten Sankt Petersburg seinen Job in einem Orchester verloren. „Ich wurde gefeuert, weil ich mich gegenüber Kollegen kritisch über den Krieg geäußert hatte.“ Die Familie seiner Mutter stamme aus Lwiw, die seiner Frau aus Odessa, erzählt der Cellist. „Wir wollten eigentlich schon nach der Annexion der Krim vor acht Jahren aus Russland emigrieren. Der Ukraine-Krieg war der letzte Tropfen, der für uns das Fass zum Überlaufen brachte.“

Eigentlich will Sergej nach Wien. Doch nicht nur weil ihm Belgrad von einem früheren Orchestergastspiel „vertraut“ ist, hat er wie Tausende von Landsleuten vorläufig die Donaustadt angesteuert. Russ:innen benötigen bei der Einreise nach Serbien kein Visum. Da der zwischen Ost und West lavierende EU-Anwärter die EU-Sanktionen nicht mitträgt, fliegt die staatliche Air Serbia als eine der wenigen europäischen Airlines noch immer Moskau und Sankt Petersburg direkt an.

Flucht aus Russland nach Serbien: „Viele Russen eröffnen nun ein Konto bei uns“

Wie das türkische Istanbul, das armenische Eriwan und das georgische Tiflis ist Belgrad seit Ausbruch des Kriegs zu einem beliebten Auswandererziel von oft hochqualifizierten Russ:innen geworden. Mehr als 300 Firmen, vor allem aus dem IT-Sektor, haben seit Anfang März ihren Sitz von Russland, aber auch aus der Ukraine nach Serbien verlegt. Mehr dürften noch folgen.

Das Z gibt dem serbischen Hass auf den Westen neue Kraft.
Das Z gibt dem serbischen Hass auf den Westen neue Kraft. © AFP

„Viele Russen eröffnen nun ein Konto bei uns“, berichtet in der Raiffeisenbank-Filiale am Befreiungs-Boulevard eine Angestellte. Tatsächlich ist Russisch im Zentrum des neuen „Moskau an der Donau“ immer öfter zu hören. In manchen Medien sei von 20 000 bis 30 000 Neuankömmlingen die Rede, berichtet die seit 2010 in Belgrad lebende Seregina. „Aber offizielle Angaben gibt es nicht.“ Ein ihr bekannter Physiker in Moskau habe nach Tiflis emigrieren wollen, doch nun habe er Angst, dass sich in Georgien das ukrainische Szenario wiederholen könnte. „Er plant jetzt die Übersiedlung nach Belgrad.“

Schon nach der sowjetischen Oktoberrevolution 1917 hatten Tausende russischer Künstlerinnen, Architekten, Geschäftsleute und Forschende Belgrad als Hauptstadt des damaligen Königreichs Jugoslawien einen Entwicklungssprung beschert. Auf einen ähnlich „positiven Effekt“ durch die russischen, „meist zur Mittelklasse oder der gehobenen Mittelklasse“ zählenden Einwander:innen hofft Seregina. Doch leider gebe es „auch negative Folgen“: „Es ist in Belgrad noch schwerer geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“

Flucht aus Russland nach Serbien: Die Preise für Wohnungen steigen rasant

Die vermehrte Nachfrage der relativ begüterten Neuankömmlinge hat die Mieten und Wohnungspreise auf dem bereits überhitzten Immobilienmarkt in Serbiens Hauptstadt kräftig klettern lassen. „Die Russen treiben die ohnehin schon sehr hohen Immobilienpreise nach oben“, klagt die Belgrader Steuerberaterin Ana. „Ich fürchte, dass sich Leute mit einem normalen Einkommen hier bald kaum mehr eine Wohnung leisten können“. „Okkupieren die Russen Belgrad und Novi Sad?“, fragt besorgt die Zeitung „Blic“: „Sie kaufen Wohnungen und Wochenendhäuser und scheren sich nicht um den Preis.“

Dennoch stoßen die Neuankömmlinge im russophilen Serbien im Gegensatz zu westeuropäischen Exil-Zielen generell kaum auf Vorbehalte – und haben sich auch nicht für den von ihnen ohnehin meist abgelehnten Krieg von Wladimir Putin zu rechtfertigen. Stattdessen macht ihnen ein anderes Phänomen zu schaffen: In Belgrad treffen sie auf einheimische Putin-Fans.

Flucht aus Russland nach Serbien: Viele haben eine vereinfachte Sicht auf den Krieg

Einerseits sei er „erleichtert“, dass er in Serbien „offen über den Krieg sprechen und dagegen demonstrieren“ könne, sagt der Musiker Sergej: „In Sankt Petersburg wurden unsere Friedensdemonstrationen schon nach 15 Minuten von der Polizei brutal auseinander geprügelt und die Leute verhaftet.“ Andererseits sei er „schockiert“, dass an den Belgrader Souvenirständen Putin-T-Shirts verkauft und willig getragen würden. „Viele Leute hier haben wegen der Nato-Bombardierung im Kosovo-Krieg eine vereinfachte und absurde Sicht des Ukraine-Kriegs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund. Sie unterstützen Putin als Gegner der Nato und seinen Krieg in der Ukraine als eine Art Konterattacke gegen die Nato.“

Nicht nur im Westen haben die Solidaritätsdemonstrationen mit den russischen Aggressoren und die Mauerbilder zu Ehren von Putin in Belgrad für Befremden gesorgt. Sie lebe seit 2010 in Belgrad und die serbische Sicht der russischen Politik sei ihr durchaus bekannt gewesen, sagte die studierte Architektin Seregina: „Aber ehrlich gesagt war ich mir nicht bewusst, wie groß und wie tief verwurzelt die Zustimmung zu Putins Politik ist.“

Flucht nach Serbien aus Russland: Die meisten sind gegen Putin und den Krieg

Der serbische Umgang mit der eigenen Kriegsvergangenheit in den 90er Jahren sei „nicht von einem ausreichenden Maß an Reflexion geprägt“, so die Erfahrung von Seregina. Gleichzeitig sei die „russische Propaganda“ in Serbien „sehr stark – und dominant“: „Die Leute hier können darum leider nicht sehen, was derzeit in der Ukraine und Russland eigentlich passiert. Es geht nicht um einen Krieg zwischen zwei Staaten. Die Ukraine kämpft für die Freiheit von ganz Europa.“

In russischsprachigen Facebook- oder Telegram-Gruppen tauschen sich die russischen Neu-Belgrader:innen jedoch weniger über den Krieg oder Putin, sondern vor allem über praktische Alltagsfragen wie die Eröffnung von Bankkonten, Schulen oder Sportclubs für die Kinder oder Restaurants in ihrer neuen Heimat aus. Die überwältigende Mehrheit ihrer Landsleute, die nun nach Belgrad gelangten, sei gegen den Krieg und gegen Putin, ist sich Seregina sicher.

Sergej zuckt bei der Frage, wie lange er mit dem Verbleib im Exil rechne, mit den Schultern. „Das Leben wird schon irgendwie weitergehen“, sagt er. „Aber ich werde sicher nicht nach Russland zurückkehren, solange Putin an der Macht bleibt.“

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