Austritt aus der Istanbul-Konvention: Polen belässt es bei der Drohung – bisher

Der Ausstieg aus der Istanbul-Konvention derzeit kein Thema für die konservative Regierung. Doch NGOs kritisieren die strukturelle Gewalt gegen Frauen.
Der heutige polnische Justizminister Zbigniew Ziobro hatte die Istanbul-Konvention schon im Jahr 2014, ein Jahr bevor Polen sie ratifizierte, als „feministische Erfindung“ bezeichnet, die dazu da sei, „schwule Ideologie“ zu begründen. „Man braucht keine Konvention, um zu wissen, dass man eine Frau nicht schlagen soll, es reicht aus, die Bibel zu lesen“, sagte Ziobro.
Im Sommer 2020 verkündeten Politiker:innen der rechtskonservativen Partei PiS in Polen dann, aus der Istanbul-Konvention aussteigen zu wollen.
Doch die Zahlen zur häuslichen Gewalt in Polen deuten wenig überraschend darauf hin, dass Bibelstudium alleine nicht reicht. Laut einer Studie des Meinungsforschungs-Instituts Kantar– ebenfalls aus dem Jahr 2020 – haben 57 Prozent der befragten Polen und Polinnen schon einmal häusliche Gewalt erlebt. Unter den befragten Frauen waren es 63 Prozent. Außerdem beklagten die Autor:innen der Studie eine „beunruhigende“ Akzeptanz von Gewalt – so sagten zum Beispiel zehn Prozent der Männer, dass es innerhalb der Ehe keine Vergewaltigung gebe.
Polen ist immer noch Teil der Istanbul-Konvention
„Seit im Jahr 2015 die PiS-Regierung an die Macht kam, gab es eine rechtsradikale Bewegung“, sagt Aleksandra Magryta von der „Großen Koalition für Gleichheit und Wahlfreiheit“, einer Dachorganisation für Initiativen, die sich für Gleichstellung und liberalere Abtreibungsgesetze einsetzt. Der ultrakonservative Thinktank Ordo Iuris etwa hat sich dafür eingesetzt, die Istanbul-Konvention zu verlassen. „Ordo Iuris hat viele Stellungnahmen verfasst und gesagt, dass die Konvention ein Risiko für Familien sei, weil es dann zu mehr Ehebrüchen kommen könne“, schildert Magryta.
Fast drei Jahre nach der Ankündigung der Regierung ist Polen immer noch Teil der Istanbul-Konvention. „Vor drei Jahren gab es große Proteste für die Konvention, weil wir befürchtet haben, dass unser Präsident sie kündigt“, sagt Magryta. „Dann wurde das Thema zur Seite gelegt.“
Dass es bisher bei der Drohung geblieben ist, die Konvention zu verlassen, liege daran, dass die Regierung ihre Strategie geändert habe, sagt Grzegorz Wrona, der beim Hilfetelefon für Opfer häuslicher Gewalt „Niebieska Linia“ arbeitet.
Polen und die Istanbul-Konvention: Es fehlt weiterhin eine ausreichende Definition von Vergewaltigungen
Einer Novelle des Gesetzes gegen häusliche Gewalt, die der Sejm vor gut zwei Wochen verabschiedet hat, kann er auch Positives abgewinnen. Zum Beispiel wird der Kreis der Geschützten auf nicht zusammenlebende Ex-Partner:innen erweitert. „Das ist sehr gut, denn die Zeit nach der Trennung ist am gefährlichsten für die Opfer“, sagt Wrona.
Aber es fehle weiter die Definition von Vergewaltigung, wie sie die Istanbul-Konvention vorsieht. Und Aleksandra Magryta beklagt, dass Frauen auf vielen Ebenen institutionelle Gewalt erleben. „Es gibt zum Beispiel immer noch die Einstellung, dass eine Frau selbst schuld ist, wenn sie einen kurzen Rock anzieht und dann vergewaltigt wird.“ Es brauche noch viel Zeit, bis die Regierung, Ärzt:innen und alle, die Macht haben, ihre Einstellung änderten.
Nach ihrer Einschätzung ist nicht auszuschließen, dass die PiS-Regierung tatsächlich noch aus der Istanbul-Konvention austritt. Allerdings rechnet sie vor den Parlamentswahlen im Herbst nicht damit. Doch in Magrytas Augen hat sich zuletzt auch etwas getan im Land: „Seit einigen Jahren gibt es ganz große Proteste, vor allem zu Frauen- und LGBTQ-Fragen. Das Bewusstsein in der Gesellschaft ist größer geworden.“