Ausmisten bei Scotland Yard

Eine Untersuchung bescheinigt Londons berühmter Polizei skandalöse Zustände. Es habe über lange Jahre Führungsversagen gegeben.
Rassismus, Sexismus, Homophobie – Scotland Yard habe „als Institution“ versagt und das Vertrauen der Londoner Bevölkerung verloren. Zu diesem Schluss kommt der verheerende Prüfbericht der früheren Spitzenbeamtin Louise Casey. Die umfassende Analyse hat am Dienstag eine Debatte über die Zukunft der berühmten und bei weitem größten Polizeibehörde des Landes ausgelöst. Es habe über lange Jahre „Führungsversagen und mangelnde Standards“ gegeben, teilte die konservative Innenministerin Suella Braverman im Unterhaus mit.
Die 193 Jahre alte Behörde kommt nicht aus den Schlagzeilen: 1999 sprach eine Kommission unter Leitung des pensionierten Höchstrichters William Macpherson von „institutionellem Rassismus“. Das Gremium hatte den Mord an dem schwarzen Jugendlichen Stephen Lawrence untersucht. Dessen mutmaßliche Mörder, allesamt Weiße, kamen davon, weil die Polizei die Untersuchung verschleppte und Hinweise unterschlug.
Louise Casey gehört als Baronin dem Oberhaus an. Schon seit Jahren treten Behörden oder die Regierung an die unerschrockene Frau heran, wenn es um die Aufklärung schwieriger Sachverhalte geht. Im Herbst 2021 wurde sie mit der Untersuchung der Metropolitan Police (MPS) beauftragt, nachdem ein schrecklicher Kriminalfall London erschüttert hatte.
Kritik an Scotland Yard nach Mord an Sarah Everard
Verurteilt für die Entführung, die Vergewaltigung und den Mord an der jungen Londonerin Sarah Everard wurde damals ein Angehöriger der bewaffneten MPS-Einheit, der die Bewachung von Parlament, Regierung und Königshaus obliegt. Weil sich nach der Tat im März 2021 Tausende Frauen im Süd-Londoner Park Clapham Common zu einer stillen Mahnwache versammelten, was dem Buchstaben des Gesetzes nach trotz Abstand und Gesichtsmasken illegal war, wurden die Demonstrantinnen auseinander geprügelt.
Im Januar dieses Jahres erhielt ein weiterer Angehöriger der bewaffneten Elite-Einheit eine lebenslange Freiheitsstrafe für eine Serie von Vergewaltigungen. Mit der Führung der Personenschutz-Abteilung geht Casey in ihrem 363-seitigen Bericht sowie Medieninterviews hart ins Gericht. Dort wie an vielen anderen Stellen der Behörde habe sie „einen Jungensclub“ vorgefunden, dem die Führung „jedes erdenkliche Spielzeug“ genehmigt habe. Hingegen müssen sich einfache Kriminalbeamte mit kaputten Kühlschränken und überfüllten Asservatenkammern herumärgern, weshalb allzu viele Straftaten unaufgeklärt bleiben.
Scotland Yard: Aufklärungsquote nach Vergewaltigungen schwankt stark
„Besonders schockiert“ sei sie beim Studium der Sexualstraftat-Statistik gewesen, gab Casey zu Protokoll. Vergewaltiger, die ihr Opfer ermorden, würden fast immer gefasst, erläuterte die Baronin der BBC; das liege an der überwiegend guten finanziellen und personellen Ausstattung der Mordkommissionen. Lasse der Täter sein Opfer hingegen im Koma zurück, sei die Aufklärungsrate „sehr schlecht“. Drastischer äußerte sich eine Kriminalbeamtin gegenüber Casey: So viele Vergewaltigungen blieben unaufgeklärt, „dass man praktisch sagen muss: Sie sind legal“.
Lediglich 29 Prozent der Beamt:innen von Scotland Yard sind Frauen. Der Anteil von Angehörigen ethnischer Minderheiten liegt bei 18 Prozent, während in London mittlerweile 46 Prozent der Bevölkerung nichtweißen Gruppen angehört.
Das Missverhältnis könnte mit Zwischenfällen zu tun haben wie jenen, welche die für ihre Unerschrockenheit bekannte Casey protokolliert: Einem schwarzen Beamten legten Kollegen eine Banane auf den Stuhl, einem Muslim schoben sie gebratenen Speck in die Schuhe, einem Sikh wurde der Bart abgeschnitten. Wer sich beschwerte, wurde prompt als humorloser Querulant abqualifiziert.
Für die Aufsicht über die 43 500 Menschen starke Behörde ist neben der Innenministerin auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan zuständig. Der Labour-Mann hatte erst im vergangenen Jahr die Polizeipräsidentin Cressida Dick zum Rücktritt gezwungen. Ihr Nachfolger Mark Rowley steht nun unter hohem Druck, den Augiasstall auszuräumen.